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Einfach Klassik.

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„Verbesserung“ der Beatles: Das Feuerbach-Quartett im Theater Marl

Die Musik der Beatles gilt als unantastbares Heiligtum. Wer sich outet, kein Fan zu sein, macht sich schnell als Vertreter einer „Minderheitenmeinung“ verdächtig – gefährlich genug in diesen Zeiten. Aber vielleicht bewahrt gerade das eigene Dasein als „Nicht-Beatles-Fan“ den objektiven und damit letztlich auch umso wertschätzenderen Blick für die Kompetenz der Aneignung beim Feuerbach-Quartett.  

Mittlerweile haben sich die vier Musiker*innen aus Aserbaidschan, Deutschland, Polen und Russland an Rammstein, Michael Jackson, Led Zeppelin, Nirvana und zahllosen anderen Bands brillant abgearbeitet. Jamila Musayeva (Violine), Max Eisinger (Violine), Eugen Hubert (Viola) und Lukas Kroczek (Cello) wollten einfach mehr, als sich nur in immer neuer Konkurrenz bei der Reproduktion klassischen Repertoires messen lassen. Sie holen damit in bestem Sinne ihr Publikum ab, das anscheinend ähnliches empfindet auf jährlich bis zu 100 Konzerten nicht nur in ehrwürdigen Konzertsälen, sondern in Clubs, auf Festivals und anderswo. Und so war auch das Marler Theater bis auf den letzten Platz gefüllt…

Jamila Musayeva, Max Eisinger
Jamila Musayeva, Max Eisinger, Foto © Stefan Pieper

Brahms, Britten, Beatles 

„Brahms, Britten, Beatles“ nennt das Feuerbach-Quartett sein aktuelles Programm. Die für diesen Abend ausgewählte Programmreihenfolge wirkte im ersten Konzertteil des Abends aber etwas holperig: Das Thema aus Schuberts Streichquartett mit Versatzstücken aus der Beatlesnummer „Eleanor Rigby“ zu fusionieren geht in Richtung einer Häppchenkultur, gegen die sich große Kunst auflehnen muss. Dadurch fällt das Hineinversinken in die Ausdruckswelt von Johannes Brahms Ersten Streichquartett schwer. Auch, wenn die vier spätestens beim zweiten Satz in den Tiefenschichten der Komposition angekommmen waren, hat Brahms doch so viel mit Lebens- und Empfindungsreife zu tun, dass nicht jede „Nachbarschaft“ in einem Programm unproblematisch ist.

Max Eisinger, Jamila Musayeva, Foto © Stefan Pieper
Max Eisinger, Jamila Musayeva, Foto © Stefan Pieper

Nach der Pause ging die Rechnung ganz anders auf, was nun so richtig empfänglich machte für die kreative Finesse und riesige Spiellust dieses Quartetts: Benjamin Brittens „Simple Sinfonie“ in einer Übertragung auf vier Streichinstrumente lässt diese anmutige Komposition noch luftiger wirken. Und ja – jetzt funktionierte auch der Übergang zum Beatles-Themenschwerpunkt: Was für eine facettenreiche Palette an fantasievoller Arrangierkunst offenbarte sich jetzt in jeder Ausdeutung der hochverehrten Originale! Eines davon musiziert Cellist Lukas Crozek für sich alleine und singt auch dazu. Statt der ursprünglichen Gitarrenbegleitung funkelt eine prachtvolle von barocken Prinzipien beeinflusste Auszierungskunst. Egal ob „Blackbird“, „Come Together“, „Help“, „Obladi-Oblada“, „Hey Jude“ oder schließlich „Let it be“– erfahrbar wird durch die feinsinnige Arrangierkunst des Feuerbach-Quartetts, welch zeitlose melodische Erfindungskraft in den meisten Beatles-Nummern drinsteckt.

Zum Schluss erklingt ein elegisches Stück – so vertraut, als hätte man es erst gestern gehört. Welcher Song von welcher Gruppe ist das denn jetzt noch mal? Eine Anfrage bei Max Leidinger nach dem Konzert gibt Aufschluss: „Hysteria“ von Muse. Sicherlich zehn Jahre her, dass es mal im eigenen CD-Player lief. Aber darum ging es an diesem Abend: Dinge wieder lebendig zu machen.

Eugen Hubert, Lukas Kroczek, Foto © Stefan Pieper
Eugen Hubert, Lukas Kroczek, Foto © Stefan Pieper

Feuerbach-Quartett: Neue Wege für den Konzertbetrieb

Mit dem Konzert des Feuerbach-Quartett im Theater Marl möchte das Leitungsteam dieser Konzertreihe bestehend aus Evelyn Fürst-Heck und Bruce Wadsworth frische Akzente für ihr Stammpublikum und vor allem, neues Publikum für konzertante Darbietungen „abholen“. Marl erfreut sich seit 50 Jahren einem Musikleben, das für eine kleine Stadt am Nordrand des Ruhrgebiets ohne Beispiel ist. Ein kurzer Blick auf die Historie: Nach dem Ungarn-Aufstand im Jahr 1976 flohen die besten Musiker des Landes, wurden hier heimisch und riefen die Philharmonie Hungarica ins Leben. Dieser Aufbruchsgeist färbte ab. Mit dem Marler Debut entstand eine Konzertreihe für Bundespreisträger bei jugend musiziert. Auch Reinhold Friedrich hat einst (im Jahr 1976!) in Marl debutiert, woran er sich noch lebhaft erinnert. Ebenso ist bei Gerhard Oppitz, Anne Sofie Mutter, Lars Vogt der Name dieser Stadt in der künstlerischen Vita tief verankert ist. Später sind Preisträgerkonzerte in Kooperation mit dem ARD-Wettbewerb hinzu gekommen, ebenso die Spezialreihe „Voices“ für die aktuelle Vokalmusik-Szene und immer wieder Meisterkonzerte mit der höchsten Liga internationaler junger Kammermusik. Das alles hat sämtliche provinzielle Einsparorgien beim Kulturbudget überlebt und wird schon seit Jahren durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geadelt, der die Konzerte regelmäßig sendet.

Sendetermin für das Feuerbach-Quartett: 

WDR 3, „Das Konzert“  

Donnerstag, 10. März 20:05h

Rezensierte Veranstaltung

Samstag, 29. Januar 2022
Stadttheater Marl

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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