Einfach Klassik.

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Verdis „Requiem“ am Theater Vorpommern

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

Totensonntag und sein Vor- wie Umfeld – Tage des Erinnerns, des besonders intensiven Gedenkens, sehr persönlich geprägt oder auch von gesellschaftlicher Relevanz. Dies alles mit dem tröstenden Wort, vielfach aber auch mit der Leiderfahrungen jedweder Art mildernden und auch aufbauenden Kraft und Wirkung von Musik. Sehr unterschiedlich sind die dabei nutzbaren Rahmen und Formen, oft genug aber fokussieren sich diese vor allem im religiös geprägten Totengedenken auf die traditionelle Form der katholischen lateinischen Totenmesse, des Requiems. Ihre Gattungsgeschichte ist lang. Die Reihe entsprechender Textvertonungen ist es nicht minder. Und sie kann auf Ergebnisse verweisen, die von der Gregorianik über Renaissance, Barock, Klassik und Romantik bis hin zu stilistisch unglaublich variierenden Großwerken des 20. und 21. Jahrhunderts reichen. Zum „Kanon“ entsprechender Kompositionen zählt unbedingt Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“ für vier Solostimmen, Chor und Orchester. Das Werk verdankt seine Existenz der sehr persönlichen Trauer Verdis um zwei allerdings sehr wichtige Persönlichkeiten: Gioacchino Rossini (gestorben 1868) und Alessandro Manzoni“ (gestorben 1873). Beide galten Verdi als für ihre Bereiche wichtigste Repräsentanten Italiens; der eine für die Musik, der andere für die Literatur. Letzterer war für ihn  gar ein „Heiliger“. Gründe genug, beiden eine wahrlich großdimensionierte musikalische Totenmesse zu widmen. Basierend auf dem lateinischen Messetext verband sie allerdings den sehr persönlichen Bezug  mit einer Botschaft „an alle“. 

Theater Vorpommern präsentiert

Und genau so waren jene vier Aufführungen dieses Werkes gemeint, die das Theater Vorpommern im Vorfeld des Totensonntags am 7., 8., 10. und 11. November als 3. Philharmonisches Konzert in Stralsunds Großem Haus präsentierte. Aufgeboten wurden dazu  das Philharmonische Orchester und der Opernchor des Theaters, der Opernchor der dem Theater Vorpommern seit langem mit Gemeinschaftsprojekten verbundenen Stettiner Opera na Zamku und einem Solistenensemble mit Katharina Constanti (Sopran), Sanja Anastasia (Mezzosopran), Rodrigo Porras Garula (Tenor) und Alexei Botnarciuc (Bass). Am Dirigentenpult stand GMD Florian Csizmadia. Er war der spiritus rector einer Aufführung, die den Verdischen Parforce-Ritt durch so hochsensible wie abgründige Erlebnis- und Gefühlswelten des Menschlichen glaubhaft erscheinen ließ. 

Die Stärke der Aufführung – wir sprechen hier vom 8. November – lag im Ausschöpfen der vielen höchst variablen Gestaltungsmöglichkeiten, die Verdi mit seiner Textvertonung bietet. Das ist nicht selten eine interpretatorische Gratwanderung, denn da sind (vorher!) Entscheidungen zu treffen. Sie beziehen sich – natürlich – auf den O p e r n komponisten Verdi. Und damit auf ziemlich alte Fragen: etwa, ob sein Requiem nicht doch eher eine „Oper im Kirchengewande“ ist (Hans von Bülow), vielleicht gar „seine beste Oper“ (G. B Shaw), in jedem Falle aber ein Produkt des „geborenen Theaterkomponisten“ (E. Hanslick); und damit musiksprachlich jenseits (seinerzeit!) gängiger Vorstellungen von Kirchenmusik. Hintergrund ist der zweifellos deutliche dramatische Stil, dem theatralische Nähe nicht abzusprechen ist, der deshalb aber nicht zwangsläufig als für ein solches Werk unzulässig zu bezeichnen wäre. In Stralsund hat man Verdi durchaus beim Wort genommen und beherzigt, „dass diese Messe nicht so gesungen werden darf, wie man eine Oper singt…“ Zugegeben, das ist nicht eben konkret formuliert, obwohl Verdi sich dabei dezidiert auf Gestaltung der „Charaktere“ bezieht. Aber es gibt im Hinblick auf die Interpretation durchaus individuellen Ermessensspielraum, sowohl was den konzeptionellen Einsatz der Interpreten als auch Hörerfahrung und Aufnahmewillen einer ja stets heterogenen Hörerschaft betrifft. 

Probe zu Verdis Requiem, Foto © Lukas Stoffregen
Probe zu Verdis Requiem am Theater Vorpommern, Foto © Lukas Stoffregen

Das Angebot des Theater Vorpommern suchte eine Mitte, die im Drastischen jede bloß klangwirksame Veräußerlichung und im zurückhaltend Lyrischen, Intimen jede Sentimentalität vermied. Im Übrigen setzte man im überaus kontrastscharf angelegten Ablauf der Sätze ganz auf emotionale Verinnerlichung und Vertiefung. Keinerlei Widerspruch also zwischen liturgischem Text und seiner adäquaten, die ganze Bandbreite zwischen Himmel und Hölle, Angst, Verzweiflung – und Trost, brachialen Klangkaskaden und gefühlstief unter die Haut gehenden, kantablem Melos. Und dass Verdi als Meister so individueller wie wirksamer Orchestrierungskunst auch hier alle Register seines auch feinst Klangschattierungen souverän handhabenden Könnens zieht, darf nic ht nur nicht verwundern; verwunderlich wäre allenfalls das Gegenteil! 

Klangliche Opulenz

Für das Philharmonische Orchester Vorpommern waren hiermit die notwendigen Standards gesetzt. Und es gab sichtlich kein Problem damit, ihnen vollauf zu genügen. GMD Csizmadia ließ so exakt wie inspiriert musizieren, sorgte hier für rasanten Schwung, sprachgestisch prägnante Rhetorik und bildhafte Realistik, bevorzugte dort die feine Klinge bis zu lyrisch intimem Versenken und klanglich schmerzlicher, kantabler Entrücktheit. Es lohnte, den häufig sehr direkten Eindruck klanglicher Opulenz nicht für das Ganze zu nehmen und darüber den vielgestaltigen Einfallsreichtum, die vielen Details kompositorischen Arbeitens samt dynamischer Feinheiten nicht auch als das Werk besonders prägend wahrzunehmen. Und damit einem zwar wirkungsvollen, aber eben vorwiegend al-fresco-Eindruck zu erliegen. 

Das gilt natürlich in gleicher Weise für die Chorpartien wie für die der Solisten. Erstere lagen bei den beiden oben benannten Chören in besten Händen. Nicht sonderlich groß besetzt – etwa 50 Mitglieder – aber ausgestattet mit viel Klangsensibilität und im kräftigen Vollklang nur gelegentlich vom Orchester an den Rand gedrängt, präsentierten sie sich als eine der stabilen, gestalterisch prägenden Säulen der Auffühung. 

Barocke Fugenkunst

Den Eindruck einer sich letztlich zu existentieller, bekenntnishafter Aussage durchringenden Aufführung komplettierte das Solistenquartett als dritte tragende Säule im Konstrukt der Messe. Ihm oblag das direkte Vermitteln eines großen Teils jener Botschaften, die den Text der Messe und damit ihr Anliegen bestimmen. Und das auf charakteristische, Verdische Weise. Gefragt also auch hier die jeweilige Angemessenheit stimmlichen Einsatzes, das Abwägen von Effekt und Affekt, die Suche nach größter Wahrhaftigkeit des Ausdrucks. Und das ganz unabhängig davon, mit welchen musikalischen Mitteln das gerade geschieht. Etwa zwischen gregorianischen Anklängen, altitalienischer, von Palestrina berührtem a-cappella-Stil, barocker Fugenkunst oder spätromantisch geprägter Orchestersprache. Volle stimmliche und gestalterische Präsenz ist allerdings immer gefragt. Katharina Constanti – Mitglied des Theater-Ensembles – setzte hier Ausrufezeichen. Große, klare, tragfähige Stimme, ausdrucksstark, von agiler Beweglichkeit, klanglich nuancenreich, voller Spannung und dramatischer Intensität – auch im Leisen. Vieles davon galt auch für Sanja Anastasia, im Klang etwas dunkler, voluminöser scheinend und mit hörbarer Affinität zu einem Verdi besonders dramatischer Prägung. Ein solcher bestimmte dann vor allem die Herren Garula und Botnarciuc. Stimmgewaltig alle beide, beide aber auch in der Art des Singens deutlich geprägt von der Arbeit für die Bühne. Zurückhaltung üben, intensiv und eindringlich gestalten, auch das können sie. In der Erinnerung allerdings bleiben eher ihre mit großem Pathos, nicht selten auch forciert eingesetzten Stimmen, die – in den wichtigen Soloquartetten – schon mal zu harmonisch schwerlich deutbaren Grenzgängen gerieten. Für den Gesamteindruck der Aufführung darf das aber, da dennoch von belebender, ausdrucksstarker Gewichtigkeit, als marginal gelten. 

Fazit des Abends am Theater Vorpommern: knappe eineinhalb Stunden hochemotionaler Bekenntnismusik waren für ein intensiv mitgehendes Publikum heftigen Beifall wert.

Titelfoto © Lukas Stoffregen

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