Einfach Klassik.

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Vokalensemble SLIXS begeisterte in Greifswald

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Greifswalds Bachwoche hat sich in den bisherigen 79 Jahren ihrer Existenz sehr gewandelt. Ein bloßes Podest ehrerbietiger, ja kultischer Verehrung für den Thomaskantor war sie eigentlich nie; eher „Tatort“ für den lebendigen, stets beziehungsreich historische Umfelder, Zeitgenossen und bis in die Gegenwart reichende musikalische wie musikgeschichtliche Entwicklungen einbeziehenden Umgang mit ihm und seinem Werk. Öffnung also, die in den letzten ein, zwei Dezennien besonders deutlich werden und auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. Will heißen: weiteres Öffnen hinsichtlich neuer, publikumswirksamer Veranstaltungs- und Darbietungsformen, ein breiterer,   unvoreingenommener Blick auf neue Zielgruppen und – damit verbunden – unorthodoxer Umgang mit dem so geliebten Erbe. Da wehte und weht schon mal ein freierer, auch fröhlicherer Geist durch geheiligte Räume, fallen ästhetisch bislang unangreifbare Festungen, ohne dass der Grundtenor eines Festivals geistlichen Musik ins Wanken geriete. Im Gegenteil: die Bachwoche besitzt  inzwischen ein einladend breites, weit über den engeren Bachbezug hinausgehendes Spektrum an Angeboten.

Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski
Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski

Ein Beispiel gab es kürzlich mit dem Konzert des Vokalensembles SLIXS aus Mitteldeutschland. Fünf Männer und eine Frau machen sich anheischig, Chorisches Singen – hier kleinstbesetzt ¬ von traditionellen Darbietungszwängen, gängigen Stilbildungen  und Ähnlichem zu befreien. Und das seit den 1990er Jahren! Man staunt, nicht eher davon gewusst zu haben, zumal das Ensemble höchst professionell agiert. 

Und das mit durchaus eigener Note, auch wenn das Verfahren, etwa Bachs Instrumentalmusik vokal wiederzugeben, nicht neu ist – man denke an die Swingle Singers – und es an Gruppierungen, die sich an Jazz, Rock, Pop, Funk, Klezmer und Ähnlichem ausprobieren, nicht mangelt. 

Nun also die SLIXS in Greifswalds Dom St. Nikolai. Der Riesenraum ausverkauft, die Erwartungen hoch. Und die Befürchtung, kolossale Lautsprecherbatterien könnten die ohnehin problematische, weil hallige Akustik des Domes ins Unerträgliche potenzieren, groß. Aber Entwarnung und Genugtuung darüber, dass der Aufwand (mit großem Mischpult) klanglicher Optimierung galt; angenehmes, klares Hören bis in den entferntesten Winkel. Selten an diesem problematischen Ort so zufrieden gewesen!

Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski
Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski

Und es lohnte, denn SLIXS hatte Hörenswertes zu bieten. Alle sechs natürlich Profis und gewaschen mit sämtlichen Wassern stilistisch unorthodoxen Singens. Was ja auch heißt, sich vom traditionellen, gar „schönen“ Singen weitestgehend zu verabschieden und gesangstechnisch wie stilistisch und ästhetisch ungewohnte, neue Wege zu beschreiten. Sprache, Artikulation,Tongebung, Phrasierung, Klangfärbung, Metrik, Rhythmik und Dynamik sind, wenn nicht schon quasi neu zu erfinden, so doch in völlig neuen Zusammenhängen zu nutzen. Das eröffnet ungeahnte klangliche Möglichkeiten, die zudem in Verbindung mit darstellerischen Momenten, (mund)percussiven Einlagen oder auch wechselnden Lichtszenarien von ungeahnter Wirkung sein können. 

SLIXS hatte in dieser Hinsicht eine Menge zu bieten.  Nicht immer war ungeachtet humoriger und informativer Moderation so ganz klar, worum es ging. Aber so viel schon: etwa um Bach, dem man sich, da auf Tasteninstrument oder Violine nicht zu Hause, eben auf anderem, vokalen Wege nähern müsste. Also der Griff zu dessen Goldberg-Variationen  oder dem bekannten a-Moll-Violinkonzert, was es nötig machte, sich hinsichtlich der Verteilung auf nunmehr sechs Stimmen einiges einfallen lassen zu müssen. Der immanenten Musizierfreudigkeit unter den Aspekten dann möglicher neuer Artikulationen tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Anders das Bild bei Purcell und dem Griff nach dessen berühmten „Remember me“ aus der Oper „Dido and Aeneas“. Hier lag der Anteil klanglicher Verfremdung (Improvisation, Einbezug von Geräuschen, „schräge“ Harmonik) sehr hoch, verhalf andererseits aber dem gesamten Stück zu recht großer Attraktivität. Wie denn – für das Gesamtprogramm zutreffend – die klanglich vielfach höchst intensivierte Machart der gebotenen Stücke und deren Wirkung im großen Raum („Gänsehauterfahrung“) konstitutive Bestandteile solcher Programme sein dürften. Gerade auch dort, wo Autoren und Akteure völlig frei zu walten und schalten beliebten, es also um die Schaffung neuer Stücke ging. Hinsichtlich benutzter Texte war dann schon mal von Shakespeare die Rede, oder von Rimbaud, recht oft von „trauriger“ Musik, seltener von fröhlicher. Erstere in bezug auf eine Ballade von Prince, Letztere dezidiert als Tanzlied, in und mit dem besonders deutlich wurde, was in solcher Besetzung und mit den entsprechenden künstlerischen Ambitionen aufführungspraktisch möglich ist. Das reicht vom (fast normalen) Singen auf meist silbengeprägte „Texte“, über „richtige“, aber lautsprachlich veränderte Texte bis zu unorthodoxen Tongebungen wie Schnalzen, Nachahmung von Instrumenten (gern Bläser), Hauchen und Zischen. Auch „Klangteppiche“ sind beliebt. Das hier insgesamt nicht von traditioneller „harmonischer“ Musik die Rede ist, muss kaum betont werden. Nicht wegzudenken ist das Einbeziehen von diversen, auch lautstark begleiteten (Stampfen) Bewegungsmustern, die zusammen mit metrisch-rhythmischen Finessen (sich wiederholenden Kurzformeln) – dann schon mal den Charakter des Rituellen erreichend –  das Aussehen gestalteter Szenarien annehmen.

Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski
Vokalensemble SLIXS, Foto © Geert Maciejewski

So geschehen in einem glänzend moderierten Finale, für das man die gesamte Hörerschaft im Saal aktiv einbezog. Da war musikalisch dann alles drin, eine performance von erstaunlicher Wirkung, fast ein Theaterstück mit viel Bühnenbewegung, kolossaler, vom Raum mitgetragener und verstärkter (munderzeugter) Geräuschkulisse und natürlich sängerischen Aktionen. Das ganze wirkte – sollte wirken! – wie Rückschau und Schilderung des menschlichen Urzustands, wozu das klangorgiastische Umfeld auf der Bühne und das kollektive rhythmische Klatschen im Saal nicht wenig beitrugen; fast eine schamanenhafte Vorstellung. Sehr fesselnd! Sehr begeisternd! 

Die Zustimmung war spontan und überwältigend. Machbar so etwas aber auch nur, wenn sich Vollprofis und Erzmusikanten darum kümmern. 

Für die Bachwoche war das ein dicker, besonderer Pluspunkt!  

Titelfoto © Geert Maciejewski  

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