Einfach Klassik.

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We’re all mad here! Die 5 besten Wahnsinnsszenen in der Oper

Irrer Blick, blutverschmiertes Kostüm und ein stimmliches Feuerwerk: Wenn ein Charakter in einer Oper wahnsinnig wird, ist meist eines dieser Merkmale (oder auch alle drei davon) obligatorischer Begleiter. Vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik fasziniert und inspiriert der Wahnsinn Komponist*innen, obwohl er als medizinische Diagnose seit Jahrzehnten passé ist. 

Der Wahnsinn als medizinische Diagnose

Bereits in der Antike klassifizierte Platon den Wahnsinn (darunter verstanden wurden grundsätzlich Verhaltensweisen, die von der Norm abwichen) in nützlich und krankhaft. Als nützlich wurden etwa meditative Zustände oder manische Phasen voll Produktivität betrachtet; als Ursachen wurden körperliche Auslöser oder göttlicher Einfluss genannt. In der heidnischen Tradition und später auch im Christentum, insbesondere im Mittelalter, wurde Wahnsinn mit dunklen Mächten in Verbindung gebracht und davon ausgegangen, dass Dämonen oder Geister von einem Körper Besitz ergriffen haben. In der Aufklärung verschob sich der Fokus hin zu rationaleren Erklärungen und so entstanden vielfältige Theorien über die Ursache des Wahnsinns: entzündete Gehirnhäute durch bitter gewordene Galle wurden ebenso in Betracht gezogen wie eine angeborene Fehlfunktion der Vernunft.  

Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Wahnsinn empirisch beobachtet und diagnostiziert, dabei prägten allerdings immer noch – aus heutiger Sicht – völlig absurde Theorien den Diskurs. So wurden etwa anhand der Schädelform Intelligenz und moralische Verfassung bestimmt und davon ausgegangen, dass Frauen besonders anfällig für Wahnsinn seien, da die Gebärmutter im Körper wandere. Ende des 19. Jahrhunderts entstand daher mit der Hysterie (abgeleitet vom griechischen Wort für Gebärmutter: hystera) eine neue Modediagnose. Die Behandlungsmöglichkeiten waren beschränkt und häufig nicht zielführend; mit dem Aufkommen der Psychoanalyse gelang immerhin langsam ein Paradigmenwechsel. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts gibt es zunehmend wirksame Therapieansätze sowie geeignete Medikamente und die Begriffe wie Geistesgestörtheit oder Wahnsinn verschwanden aus dem medizinischen Sprachgebrauch. 

Die Darstellung von Wahnsinn in der Oper 

Stets präsent ist der Wahnsinn auch in der Opernliteratur vom Barock bis zur Gegenwart; das Interesse an diesem Gemütszustand ist dabei nicht weiter verwunderlich, bieten doch Symptome wie Halluzinationen, extreme Gefühlsschwankungen und irrationales Handeln die ideale Steilvorlage für spannende Geschichten und emotionale Musik. Als erste Oper mit einer Wahnsinnsszene gilt dabei La finta pazza von Francesco Sacratis aus dem Jahr 1641. Auch Vivaldi (Orlando furioso) und Händel (Orlando) vertonten im frühen 18. Jahrhundert den Wahnsinn, wobei zu jener Zeit beim Publikum vorrangig Schrecken (oder auch Belustigung) hervorgerufen werden sollte, und Mozart schickte 1781 in seiner Oper Idomeneo die Elettra in den rasenden Wahnsinn. In der Romantik waren später hingegen besonders Stoffe beliebt, in denen eine möglichst unschuldige Frau durch äußere Tragödien wahnsinnig wird. Ihre Blütezeit erlebte die Wahnsinnsszene dann im frühen 19. Jahrhundert, insbesondere im italienischen Belcanto, als Gaetano Donizetti und Vincenzo Bellini reihenweise weibliche Figuren in den Wahnsinn schickten, während sie eine lange Szene bestehend aus Rezitativ, Aria, Scena und Cabaletta singen. Und auch in der französischen Oper lebten Frauen gefährlich, etwa die Ophelia in Ambroise Thomas‘ Hamlet. Während Sopranistinnen auf der Opernbühne des 19. Jahrhunderts am häufigsten wahnsinnig werden, ereilt das Schicksal durchaus auch andere Stimmlagen: So verliert Verdis Nabucco den Verstand, nachdem er von einem göttlichen Blitz getroffen wird und mit Mussorgskys Boris Godunov darf zur Abwechslung mal ein Bass den Verstand verlieren. Und auch in Opern des 20. Jahrhundert sind vereinzelt noch Wahnsinnige zu finden, etwa 1945 Peter Grimes in Brittens gleichnamiger Oper oder 1998 Blanche DuBois in André Previns A Streetcar named Desire.

Hingerichtet, zwangsverheiratet und von Schuldgefühlen geplagt

Als erklärte Liebhaberin von Wahnsinn auf der Opernbühne freue ich mich über jeden Charakter, der den Bezug zur Realität verliert, aber für die größten Endorphin-Schübe sorgen bei mir letztlich immer ausflippende Sopranistinnen, deren Arien ganz großes Kino bieten. Und so schaffen es folgende Szenen in mein ganz persönliches Ranking des besten Opernwahnsinns: 

Platz 5: Anna Bolena

Dass Anna Bolena in Donizettis gleichnamiger Oper durchdreht, ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn immerhin wurde sie vom eigenen Ehemann zum Tode verurteilt, weil dieser eine andere heiraten will. Und so träumt sie sich vor der Hinrichtung in „Piangete voi? … Al dolce guidami“ nochmals mit entrückten Klängen und herrlichen Legatobögen in die Zeit ihrer ersten Liebe zurück, bevor sie dem sündigen Paar, das am Tag ihres Todes heiratet, mit einigen Textzeilen vergibt, deren Inhalt nicht so recht zum aggressiven Drängen der Musik passen will.

Platz 4: I Puritani

Zu engelsreiner Musik wird die unschuldige Elvira in ihrer Arie „Qui la voce sua soave“ wahnsinnig, weil ihr Geliebter Arturo vermeintlich untreu ist. Passend zur Opferrolle klingt auch ihr Wahnsinn zunächst lyrisch und süßlich, bevor sie in der Cabaletta doch noch ein Koloraturfeuerwerk starten darf. Entgegen ihrem Wunsch stirbt sie übrigens nicht: Am Ende der Oper herrscht Friede, Freude, Eierkuchen und Elviras Wahnsinn ist verschwunden. 

Platz 3: Salome

Offiziell wird das Finale von Richard Strauss‘ Salome zwar selten zu den Wahnsinnsszenen gezählt, aber eine Prinzessin, die sich den Kopf eines Propheten in einer Silberschüssel servieren lässt, um ihn dann zu küssen, erfüllt definitiv die Kriterien des Wahnsinns. Die von Strauss dazu komponierte Musik schillert und lauert dabei wie eine Raubkatze vor dem tödlichen Sprung und zieht in rauschhaften Bann.

Platz 2: Macbeth

Von Schuldgefühlen geplagt entwickelt Lady Macbeth einen ausgeprägten Waschzwang, den sie in „Una macchia è qui tutt’ora“ besingt, bevor sie sich (vermutlich) selbst tötet. Guiseppe Verdi hat eine beklemmend sphärische Wahnsinnsszene komponiert, die von der Sopranistin einerseits volle vokale Attacke und andererseits – mit fortschreitendem Wahnsinn – immer entrückter schwebende Höhen verlangt.

Platz 1: Lucia di Lammermoor

Die Arie der Lucia di Lammermoor in Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper ist zweifellos DER Klassiker unter den Wahnsinnsszenen. Nach erzwungener Heirat ersticht Lucia ihren Ehemann noch in der Hochzeitsnacht und wird in Folge wahnsinnig. „Il dolce suono“ bietet pure Verzweiflung und virtuose Koloraturen der Titelheldin, einen sich musikalisch steigernden Spannungsbogen und im Idealfall eine Glasharmonika, die dem Delirium klanglich näher ist als die Flöte, die bei der Uraufführung ja auch nur deswegen zum Einsatz kam, weil der Glasharmonikaspieler seinen Dienst kurzfristig quittierte. 

Titelfoto von Kyle Head @unsplash

Icon Autor lg
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Musik – und insbesondere Klassik – immer eine große Rolle gespielt hat, weil mein Großvater Komponist, Pianist und Dirigent war. Meine ersten eigenen musikalischen Versuche mit der Blockflöte waren allerdings von wenig Erfolg gekrönt, denn geduldiges Üben gehörte noch nie zu meinen Stärken. Musik begleitete mich trotzdem stets und als Teenager entdeckte ich schließlich meine Liebe zur Oper. Seither verbringe ich einen Gutteil meiner Freizeit in Opernhäusern und Konzertsälen – immer auf der Jagd nach dem besonderen Live-Erlebnis. Hauptberuflich bin ich Lehrerin und versuche, Kinder für Bildung im Allgemeinen und die deutsche Sprache im Besonderen zu begeistern. Durch das Schreiben über Musik kann ich zwei meiner großen Leidenschaften miteinander verbinden.
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