Das Streichquartett ist eine ganz eigene Disziplin. Sowohl als Besetzung als auch als Werkform. In der vielleicht beliebtesten Kammermusikformation finden Musiker*innen eine sehr große Werkauswahl, aber auch sehr viel Konkurrenz. In meinem Streichquartett-Kartenspiel überbieten sich die über 40 oder 50 Jahre alten Ensembles mit Diskographien, deren Umfang auch in den 40 bis 60 Veröffentlichungen liegen! Da braucht man als junge Gruppe doch gar nicht erst anzufangen. Trotzdem gründen sich neue Quartette unbeirrt, und das nicht in naivem Idealismus. Hochkarätige Musiker*innen finden sich zusammen und erarbeiten langwierig und akribisch Programme. Als Musikliebhaber*in lohnt es sich also erst recht in diesen Fällen hinzuhören, sind die zu erreichenden Qualitätsniveaus doch sehr beachtlich.
Pure Schönheit
Das Malion Quartett ist solch ein Ensemble, das 2018 gegründet, dank guter Planung und Besetzung schnell aufstieg und Beachtung fand. Dass der erste Tonträger der Gruppe aber erst fast fünf Jahre später erscheint finde ich dann eher sympathisch. Denn darauf kombinieren Alex Jussow (Violine I), Miki Nagahara (Violine II), Lilya Tymchyshyn (Viola) und Bettina Kessler (Violoncello) drei Werke aus ihren Anfangsjahren, und man hört die viele Arbeit, die in den Vortrag geflossen ist. Besonders interessant ist aber, auf welche Weise man das hört. Werke wie diese, Beethovens 1. Streichquartett F-Dur, op. 18, Jörg Widmanns 1. Streichquartett, und Johannes Brahms 2. Streichquartett a-Moll, op. 51, bieten bei weitem genug Tiefe und Anspruch für langwierige Bearbeitung, aber sie fördern dann eben auch auf einer sehr emotionalen Ebene die pure Schönheit von Musik zu Tage, und die gilt es für die Ausführenden des Malion Quartett nunmal in erster Linie umzusetzen. Und das über drei verschiedene musikalische Epochen hinweg. Nicht allen Streichensembles gelingt das, nicht immer erreicht mich ein technisch noch so perfekter Vortrag. Vielleicht ist es manchmal der Qualitätsdruck, Termindichte, oder einfach nur die Tagesform, aber diese “kalten” Aufführungen haben wir alle erlebt. Wäre das bei Malion Quartetts Erstling auch so, dann wäre das auf technischer Ebene immer noch beachtlich, aber würde in unserem Onlinemagazin nicht besprochen werden.
Nein, gerade Widmanns Quartett bringen die vier Musiker*innen derart zum glänzen, die anspruchsvolle Klangerzeugung Neuer Musik zu Beginn des Werkes nutzen sie zur Einführung in das Werk, um dann im weiteren Verlauf aber die Harmoniekaskaden und -verschiebungen richtiggehend als Krimi aufzuführen. Die Geigen ziehen Glissandostimmen enervierend ineinander, freche Pizzicati springen durch den Raum, verträumte Melodien schweben über vagen Ostinati und mäandernde Zweiklänge sind auf der Suche nach dem Nichts. Die Erzählkraft dieses Werkes und seines Vortrags durch das Malion Quartett ist verblüffend, mitreissend und begeisternd. Es ist für mich schon immer ein besonderer Moment, wenn ich ein Stück der Neuen Musik in meinem Player auf Repeat stelle, wie in diesem Falle geschehen.
Malion Quartett ausdrucksstark
Höchst kunstvoll und ausdrucksstark stehen aber auch die anderen beiden Quartette auf dem Album, sind es doch schon fast Gassenhauer der Quartettliteratur. Beethovens Streichquartette sind etwas wie das non plus ultra im Genre, und die No. 1 besticht da mit noch etwas simplerer Schönheit. Die vielen einprägsamen musikalischen Themen in diesem Werk arbeitet das Malion Quartett sehr plastisch heraus, und gestaltet die Melodieverläufe mit emotionaler Dynamik. Das ist vor allem im dritten Satz sehr gut zu beobachten. Das komplexe Konstrukt aus Lautstärkeveränderungen, Strichstärke und -geschwindigkeit ist bei den Musiker*innen so verinnerlicht, dass sie diese Sequenzen wirklich aus ihrem inneren heraus spielen können. Das führt zu einer sehr ehrlich wirkenden Präsentation der Musik, was auch im Adagio-Satz des Beethoven-Quartetts auf ganz andere, einfühlsame Weise deutlich wird.
Und dann kommt schließlich der Brahms, mit dem sich das Malion Quartett selbst nochmal eine ganz andere Interpretationswelt zugesteht. Besonders interessant finde ich hierbei, wie die Vier die Führungs- und Begleitstimmen gegeneinander austarieren, sowohl in den Laustärkeverhältnissen, als auch in der Vordergründigkeit von Spieltechniken. Das ist nicht immer simpel und klar geplant, was beim Hören große Entdeckerfreuden und Abwechslungsreichtum beschert. Gerade im zweiten Satz “Andante moderato” kultiviert das Ensemble Beschaulichkeit und verwendet dazu auf den ersten Blick Stimmeinigkeit, um dann aber doch im Verlauf des Satzes die zunehmenden und geschickt eingeführten Gegenläufigkeiten der unterschiedlichen Stimmen zu betonen.
Noch besser hätte das neue Album des Malion Quartetts nur sein können, wenn es in Dolby Atmos-Qualität vorgelegen hätte, das hätte die Spielfertigkeiten der vier Musiker*innen noch beeindruckender dargestellt. Abgesehen davon haben wir hier aber ein mitreißendes Quartettalbum, das nicht nur Genrekenner in seinen Bann zieht.
Titelfoto © Felix Broede