Einfach Klassik.

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Der Pianist Rafał Blechacz verzaubert Usedom

Ein Beitrag von Ekkehard Ochs

Wenn es bei einem Musikfest thematisch um Polen geht, dann darf natürlich ein Name nicht fehlen: Chopin! Und so hat es denn auch das Usedomer Musikfestival nicht an entsprechenden Angeboten fehlen lassen. Ja, mehr noch! Man hat mit Rafał Blechacz  gleich einen der großen Repräsentanten polnischer Pianistenschule gewinnen können: 1985 geboren, in Bydgoszcz ausgebildet, Gewinner des 1. Preises und aller Sonderpreise  beim 15. Warschauer Chopin-Wettbewerb (2005) sowie Exklusivkünstler bei der Deutschen Grammophon, ist der vielfach für seine Aufnahmen  ausgezeichete und 2016 mit einem Thema zu Aspekten von Metaphysik und Ästhetik in der Musik promovierte Pianist inzwischen seit langem in den bedeutendsten Konzertsälen zu Hause. Sein Spiel begeistert das Publikum weltweit und veranlasst die Kritik übereinstimmend zu Lobeshymnen. Er sei der „Belcanto-König am Klavier“, ein „wichtiger Advocat der Musik von Chopin“ und im Übrigen „einer der fünf wichtigsten…Pianisten der Gegenwart“. Nun hat er sich auch auf Usedom vorgestellt; mit einem Soloabend in der Evangelischen Kirche des Seebades Ahlbeck (2. Oktober) und mit Chopins e-Moll-Klavierkonzert op. 11 im großen Kraftwerkssaal des Historisch-Technischen Museums Peenemünde (6. Oktober).  

Rafał Blechacz, Foto © Geert Maciejewski
Rafał Blechacz, Foto © Geert Maciejewski

Mozart, Beethoven, Chopin und Szymanowski – das Ahlbecker Programm  war schon eine Visitenkarte mit diversen Ansagen. Etwa die, dass hier ein brillanter Techniker am Werke war, dem selbige allerdings sehr offensichtlich „nur“ unabdingbar notwendiges Mittel zu höheren Zwecken war. Da wäre schon mal ein Blick auf das gewählte Promotionsthema von Nutzen, das ihm – nach eigener Aussage – geholfen habe, „die Freiheiten und Grenzen musikalischer Interpretationen besser zu verstehen.“ Ein Interpret also, der sich um das innerste Wesen seiner Gestaltungsobjekte kümmert! Diesem nachzuspüren bleibt allerdings rezeptive Eigenarbeit des Hörers, die bei aller Ambivalenz möglicher Sichtweisen aber unbedingt lohnt. Den Interpreten können wir danach nicht fragen, aber wir hör(t)en ihn. Etwa mit der Mozartschen A-Dur-Sonate KV 331. Ihr fehlte hier jeder Weihrauch, glänzte dafür aber mit Inspiration, betörender Sanglichkeit, mit Grazie und spielerischer Raffinesse ohnehin und ließ überdies nie vergessen, dass handwerklich-künstlerisch hoher Anspruch und Aspekte handfester, auch attraktive Virtuosität und musizierfreudige Kraftentfaltung einbeziehende Unterhaltsamkeit bestens zusammenpassen. Blechacz war dabei ganz diesseits, schwebte mental weder hier auf Wolke sieben noch bei Beethovens cis-Moll-Sonate op. 27/2. Gab es ihn dort, den  vielzitierten „Mondschein“ im 1. Satz? Eher nicht. Dafür den sehr ruhigen, innigen, friedlichen („geheimnisumwitterten“?) Nachvollzug gelöst wirkender Beziehungen zwischen in ihren Bewegungsabläufen deutlich unterschiedenen Ober-, Unter- und Mittelstimmen. Blechacz verfährt dabei gänzlich unsentimental, dennoch nicht ohne Gefühl. Auf einen gelegentlich empfundenen Bezug dieses Satzes zu Bach und Nachwirkungen etwa auf Chopin sei hier lediglich verwiesen. Auf die beiden folgenden Sätze, vom Interpreten höchst lebendig zwischen Anmut und kontrastreichem, auch virtuosem  Furor verortet, trifft er ohnehin kaum zu. 

Evangelische Kirche Ahlbeck, Foto © Geert Maciejewski
Evangelische Kirche Ahlbeck, Foto © Geert Maciejewski

Auf besondere Weise „zu Hause“ erwies sich Blechacz erwartungsgemäß mit Karol Szymanowskis Variationen b-Moll op. 3 und Chopins h-Moll-Sonate op. 58. Mit Ersterem konnte er dem Kenntnisstand selbst des klavierbegeisterten Musikfreundes sicher ein gewichtiges AHA-Erlebnis vermitteln. Dieses op. 3, wie der Komponist überhaupt zu den weißen Flecken gängiger Musikpraxis gehörend, erwies sich in einer fulminanten Interpretation als ungemein spannende und in jeder Hinsicht anspruchsvolle Folge höchst differenzierter Variationen; ein Staunen machender Parforce-Ritt in pianistische Extrembereiche und ein harmonisch-stilistischer Grenzfall hin zu den modernen Ausdrucksmitteln des frühen 20. Jahrhunderts. Szymanowski – wahrlich eine ungemein anregende, aber auch aufregende Gestalt nicht nur polnischer Musikgeschichte. Dass der Komponist dabei in Form, Sprache und Mentalität hörbar seinen wichtigsten Vorgänger und Landsmann Chopin mit ins Spiel bringt, ist offensichtlich. Spürbar ist diese wichtige Inspirationsquelle nicht zuletzt in dessen Sonaten, von denen die dritte in h-Moll dem auch hier zu ganz großer Form auflaufenden Pianisten zur überzeugenden Demonstration einer mitreißenden Chopin-Interpretation geriet. Da fehlte keine denkbare Ausdrucksnuance, blieb keine Möglichkeit einer fast bestürzend kontrastreichen, agogisch  detailreich konturierten, „wortreichen“ und aussagekräftigen  „musikalischen Rede“ ungenutzt; von stürmischer, erregter Dynamik und enormer Energie einerseits, hingehauchtem Scherzocharakter, milder, fantasieartiger Klangentfaltung und  bravourös ausladender Gestik andererseits ganz zu schweigen. Blechacz schafft es, jeglichen äußeren Aufwand – und der ist nicht gering – so in seine Gestaltung einzubinden, dass er als unabdingbar notwendig, ja selbstverständlich erscheint. Sein Chopin verleitet nicht zum genussvollen, selig lächelnden Augenschließen, er fordert Ohr wie Verstand gleichermaßen und verleiht damit dem Werk eine so nicht immer zu hörende Bedeutsamkeit von ebenso intensiver und eindringlicher Mitteilungsdichte. 

Rafał Blechacz, Alan Gilbert, Foto © Geert Maciejewski
Rafał Blechacz, Alan Gilbert, Foto © Geert Maciejewski

Wenige Tage nach diesem Klavierabend bestätigte sich alles bisher Gesagte auch auf konzertantem Terrain. Blechacz musizierte am 6. Oktober in Peenemünde das Chopinsche 1. Klavierkonzert e-Moll op. 11. Hier besaß er im Orchester der NDR Elbphilharmonie unter Alan Gilbert einen Partner, mit dem ihn offensichtlich gleiche Gestaltungsabsichten verband. Gilbert sorgte mit viel Einsatz und Einfühlungsvermögen dafür, dass der gern unterschätzte Orchesterpart eine sehr differenzierte und stets markant artikulierte Eigenständigkeit besaß. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe, und dies auch dort, wo es sich „nur“ um Begleitfunktionen handelte. Ein Dialog, bei dem es offensichtlich um viel ging, dem in „Rede“ und „Gegenrede“ -gepaart mit entsprechend prägnanter, ausdrucksstarker, oft recht frei wirkender „Gestik“ – viel fesselnde Stringenz innewohnte. Da schien dann selbst eine rasant perlende Virtuosität lediglich einem nicht selten dramatischen Ausdruck zu dienen. Nicht Effekte waren wichtig, das beeindruckende Offenlegen von Sinnzusammenhängen und wirkmächtigen Erlebnisbereichen aber schon. Und das betraf den Solisten wie das Orchester gleichermaßen!                              

Rafał Blechacz, NDR Elbphilharmonieorchester, Foto © Geert Maciejewski
Rafał Blechacz, NDR Elbphilharmonieorchester, Foto © Geert Maciejewski

Letzteres löste an diesem sonnigen frühherbstlichen Sonntagnachmittag zwei weitere Aufgaben. Und dies – es sei pauschal formuliert – mit denkbar bravourösem Erfolg. Es ging um Claude Debussys Symphonische Skizze „La Mer“ und um Maurice Ravels 2. Suite aus der Choreographischen Symphonie „Daphnis et Chloé“. Im Riesenraum der ehemaligen Kraftwerkshalle verzauberten die Gäste mit Klangwelten von betörender, klare Konturen verwischender Farbigkeit. Schemenhaftes Pulsieren, schwebendes Tönen von ganz zart und fast unhörbar bis hin zu im Wortsinne stürmischen Ausbrüchen bei Debussys Eindrücken von Wind, Wasser und Wellen. Ähnliches bei Ravel, der mit ebensolcher Kunst raffiniertesten Instrumentierens den Bogen gleich weit spannt und seine choreographisch intendierten Klangbilder mit zarter Morgenstimmung beginnen und als orgiastischen Tanz enden lässt.

Großartige Stücke hinreißend musiziert! Ein würdiger Abschluss des diesjährigen Saisonausklangs im insgesamt acht Musikfeste vereinenden „Musikland Mecklenburg-Vorpommern“ – auch wenn das Usedomer Musikfestival seine Saison erst wenige Tage später beendet.   

Titelfoto © Geert Maciejewski   

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