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Einfach Klassik.

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Interview mit dem Rastrelli Cello Quartett

Vier Cellisten, die alle aus Sankt Petersburg stammen, schlagen mit ihrer Musik Brücken, wo andere sie gerade zum Einsturz bringen. In der Freude liegt die Kraft dieses Musizierens und ein Konzert ist doch in erster Linie ein menschliches Erlebnis. Aus Anlass des 20jährigen Jubiläums widmet sich das Rastrelli Cello Quartett auf seiner neuesten CD ausschließlich eigenen Werken. Im angeregten Kneipen-Talk nach dem Konzert in der Solinger Stadtkirche redeten Kirill Timofeev, Kira Kraftzoff, Misha Degtyareff und Sergio Drabkin über das, woraus sich der „Rastrelli-Effect“ – so der Titel neuen Aufnahme für das Label solo musica – ergibt.

Wie sind die Eigenkompositionen auf dieser CD entstanden? 

Kirill Timofeev: Sie sind während der letzten Jahre unserer Zusammenarbeit entstanden, jeder von uns hat dabei versucht, seine eigene Stimme zu finden. 

Gab es einen Auslöser für dieses Projekt?

Kirill Timofeev: Am Anfang stand das, was für uns am wichtigsten ist, nämlich der starke Wunsch, die Musik, die jeder von uns in seinem Inneren hört, mit anderen zu teilen. Zuerst mit den Kollegen und jetzt mit dem Publikum. 

Sie haben sich ja schon früher als die meisten anderen auf eine Art stilistisches Crossover spezialisiert. Was war die Idee dahinter? 

Kirill Timofeev: Wir wollen in unseren Konzerten ein Programm aufbauen. Große zyklische Werke von Haydn oder Schumann spannen schon einen weiten programmatischen Bogen, der manchmal zu wenig Raum für Gestaltung lässt. Und nur klassische Musik zu präsentieren, ist einfach zu einseitig, wenn man ans heutige Publikum denkt. Nur Jazz zu spielen wäre ebenfalls viel zu wenig. Uns kommt es auf den Mix an. 

Würden Sie sich als Pioniere sehen? 

Kirill Timofeev: Vielleicht. Als wir damit rauskamen, haben manche Leute uns mit dem finnischen Quartett „Apocalyptica“ verglichen. Wir kannten sie bis dahin nur aus der Presse. Ich denke, Apocalyptica wissen schon, wer wir sind. Jeder einzelne ist ein sehr feiner, guter Cellist. 

Rastrelli Cello Quartett
Rastrelli Cello Quartett, Foto © Alexey Fedorov

Das Rastrelli Cello Quartett ist aber nun doch breiter aufgestellt und weniger auf der Show-Ebene unterwegs. Wie sehen Sie das selbst? 

Kirill Timofeev: Klar. Wir sehen hier auch eine Gefahr, wenn man sich nur auf eine Schublade spezialisiert. 

Wir haben dafür heute das Glück, dass wir uns alles erlauben können. 

Mittlerweile spielen ja viele Kammerensembles Piazolla und arrangieren sich Jazz- und auch Rocknummern. Wie kommt es, dass dies bei Ihnen doch viel besser als bei die meisten anderen klingt? Haben Sie eine spezifische Herangehensweise, um die Musik für sich passend zu machen? 

Kirill Timofeev: Wir wissen einfach, wie jeder spielt und haben eine Menge Spaß dabei. Wenn es uns gefällt, dann gefällt es vielleicht noch ein paar mehr Leuten. Ich habe das Gefühl, es fängt jetzt gerade erst richtig an. Nach 20 Jahren kann man das vielleicht mal sagen (lacht)

Wie vereint ihr vier Celli zu einer einzigen Stimme?

Kirill Timofeev: Diese klanglichen und harmonischen Reibungen machen uns fast körperlichen Spaß. 

Sie sind ja auch noch in anderen Kontexten unterwegs, zum Teil solistisch und Sie, Herr Timofeev haben gerade eine Duo-CD mit dem Pianisten…. heraus gebracht. Welchen Stellenwert haben diese Projekte neben der Arbeit mit dem Rastrelli Cello Quartet? 

Kirill Timofeev: Das Rastrelli-Quartett ist unser gemeinsamer Hauptjob, wo jeder 90% einbringt. Die letzten 10% entfallen jeweils auf den Rest. Mischa macht übrigens auch etwas mit Elektronik, der hat auch schon mit Giora Feidman eigene Stücke im Duo aufgenommen. 

Giora Feidmann ist das Stichwort. Mit dem haben Sie ja schon zusammen gearbeitet. Wie hat Sie dieser berühmte Musiker beeinflusst?

Kirill Timofeev: Giora kann unglaublich spielen. Er ist sehr wach. Auf der Bühne ist er präsent wie eine Rakete. Und er hat uns beigebracht, professionell zu sein. Er hat uns eine wichtige Philosophie vermittelt: Egal, ob wir vor 50 oder 20 000 Leuten spielen, es geht immer um maximale Qualität. Menschen sind immer gleich, egal, ob es viele oder wenige sind, welche von der Musik berührt werden. Musik ist für Giora Feidmann etwas Sakrales. Für uns auch. Wir haben auf Konzerten mit ihm viel gelernt. Vor allem, weil diese Konzerttourne macht enorm Spaß. Wir brauchen sie, wie ein Sportler, der aufs Spielfeld gehen muss. Oone Training geht nun mal nichts. 

Wie haben Sie die Pandemiezeit erlebt, in denen Konzerte verboten waren? 

Kirill Timofeev: Wir haben einige Streamingkonzerte vor der Kamera und im leeren Saal gespielt. 

Kira Kraftzoff: Wir waren in diesem Moment so glücklich, dass wir wieder spielen durften. Es war das erste Mal nach so langer Zeit. Wenn man fast zwei Jahre lang nicht konzertiert hat, fühlt sich das wie Seiltanzen an. 

Empfanden Sie dies auch als anstrengend? 

Kira Kraftzoff: Anstrengung ist ein völlig falsches Wort. Auch das haben wir bei Giora gelernt. Alles, was da ist anderen Menschen zu geben, ist doch keine Anstrengung, sondern pures Glück. Wer Musik lernt, sollte das Wort Anstrengung aus seinem Wortschatz verbannen. Ebenso Adjektive wie „schwierig“ oder „kompliziert“. Nichts ist schwierig. Es gibt nur viel zu lernen. Wenn ein Musiker auf der Bühne nicht genießt, was er tut – wie soll er das an ein Publikum weiter geben? Wir spielen enorm schwierige techische Sachen. Niemand sonst macht das auf dem Cello, was wir spielen und ich denke, niemand kann das so wie wir. Aber wir denken nicht, dass das kompliziert ist. Im den Moment, wo du sowas denkst, passiert schon ein Fehler. Aber so lange Du denkst, dass die Musik einfach Musik ist, ist alles möglich. Das Wort anstrengend war das Lieblingswort von allen Studierenden. Ich frage sie, warum machst Du diesen Beruf, wenn das alles so anstrengend ist? Vor Menschen aufzutreten und Musik mit ihnen zu teilen ist doch eine Riesen-Freude. Wir müssen die gute Laune bringen und ihnen etwas Positives geben nach der langen schweren Arbeit. Solange Du so was anstrengend findest, funktioniert es nicht. Bei uns sagen viele, sie merken, dass es uns selbst Spaß macht. 

Hatten Sie Schlüsselerlebnisse dafür in Ihrem Leben? 

Kira Kraftzoff: Zum Beispiel beim einem Konzert der Rolling Stones in Stuttgart. Ein Freund schenkte mir ein Ticket. Ich spiele übrigens auch E-Gitarre und kenne jedes Riff von den Stones. Erst wollte ich gar nicht dahin. Aber der Freund sagte mir: Du musst das live erleben. Wir haben 300 Euro für einen Stehplatz gezahlt, standen stundenlang in der prallen Sonne, haben die Vorgruppe gehört. Dann kamen diese alten Knacker – und haben in 20 Sekunden 60000 Menschen total hypnotisiert! Die spielen schon seit 50 Jahren dieselben Sachen, aber es macht ihnen so viel Spaß. Und weil dies so ist, sind alle davon gefesselt. Das war für uns eine starke Lehre, wie man richtig seinen Job macht.

Ich hatte bei diesem Konzert auch das Gefühl, am liebsten würde ich selbst mitspielen! 

Kira Kraftzoff: Danke, das klingt so, als wenn wir unsere Aufgabe richtig erfüllt haben. Mission accomplished!

Rastrelli Cello Quartett
Rastrelli Cello Quartett

Ich habe gehört, dass dieses Konzert aufgrund geringer Vorverkaufszahlen kurz vor der Absage stand. 

Kirill Timofeev: Der Vorverkauf war schlecht und es ist üblich, ein Konzert dann abzusagen. Aber jetzt sind wir sehr froh, dass wir das Konzert nicht abgesagt haben und es sind ja doch spontan recht viele Leute gekommen. Insgesamt können wir uns nicht beklagen. Und wir sind dankbar, dass wir eine Neustarthilfe seitens der Initiative Musik bekomme. Wir hoffen, dass dies ein echter Neustart wird! 

Kira Kraftzoff: Es muss wieder das passieren, dass mehr Leute ins Konzert gehen. 

Womit habt ihr argumentiert, als ihr den Förderantrag geschrieben habt?

Kirill Timofeev: Eben damit, dass wir etwas an die Menschen weiter geben wollen und uns daher am Publikumserfolg viel gelegen ist. Wenn mir nichts weitergeben wollen, fehlt etwas auf Dauer. Ich denke, solche Argumente kommen gut an bei den Entscheidungsträgern. Wir haben der Jury einfach das geschrieben, was wir denken. Es macht keinen Sinn, irgendwem etwas vorzuspielen. 

Haben Sie früher schon mal Straßenmusik gemacht? Ich frage deshalb, weil viele Musiker dies als grundlegende Basisschule erleben, wie man ein Publikum „packt“…

Kirill Timofeev: Das haben wir ganz früher mal gemacht und eher aus der Not heraus. Wir haben damit Geld fürs Studium verdient, das war schon in Deutschland. Leider wird auch Straßenmusik immer stärker von den Behörden tot reglementiert. Du muss eine Erlaubnis vom Amt bekommen etc… dadurch stirbt das immer mehr. So vieles wird immer enger gemacht. 

Wenn Sie jetzt aktuell, vielleicht auch durch dieses CD-Projekt ausgelöst, ein Fazit ziehen wollten, wie würde dies ausfallen? 

Es hat sich für uns erneut bestätigt, dass Musik das feinste Kommunikationsmittel unter Menschen ist.

Vielen Dank für dieses Interview!

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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