Es gibt viele gute Gründe, die Augen zu schließen und sich seiner Lieblingsmusik hinzugeben. Dabei dürften alle eines gemeinsam haben: in eine andere Welt abtauchen zu können. Für mich persönlich kommt dazu, dass ich musikalische Kontraste liebe und beim Hören daraus große Inspiration für meine eigene Arbeit ziehe. In diesem Jahr gab es viel Musik, die ich bis zur Haarspitze genossen habe; nachfolgend die fünf abwechslungsreichsten Klassik-Alben 2020, die ich mit euch teilen möchte.
1. András Schiff & Jörg Widmann: Johannes Brahms – Clarinet Sonatas
Dieses Album hat mich sprachlos gelassen. Wenn wir von Kontrasten sprechen – hier sind sie auf allen Ebenen zu finden: In der Auswahl der Werke (Brahms – Widmann), im Spiel, in der Interpretation. Seit jeher war mir das Musizieren von András Schiff ein Lehrmeister – bei Bach, bei Beethoven und nun auch bei Brahms. Er ist der einzige Pianist, bei dem ich das Gefühl habe, ich könnte während seines Spiels die Noten aufschreiben, weil es so transparent ist. (Und ich schweige mich an dieser Stelle bewusst über meine Ergebnisse in Melodie-Diktaten während meines Musikstudiums aus…)
Bei den Klarinettensonaten von Brahms ist der Klavierpart voller Fülle und trotzdem weder zu schwer noch überladen. Jörg Widmann an der Klarinette entpuppt sich als perfektes kammermusikalisches Pendant, weil auch er so fantastisch Musik macht, dass man glauben könnte, die Klarinette sei nur eine Verlängerung seines Körpers.
In der Mitte des Albums angesiedelt sind von ihm komponierte „Fünf Intermezzi“ für Klavier solo, die Schiff ebenfalls sehr kontrastreich einfängt. Ob Brahms oder Widmann – die CD lohnt sich wegen jedes einzelnen Tones.
2. World Choir for Peace – Peaceful Choir
Wer regelmäßige:r Besucher:in dieses Blogs ist, hat vielleicht gesehen, dass ich diese CD rezensiert habe und sie mir sehr gefallen hat. Tatsächlich aber hat sie noch mehr: Ich bin sehr berührt von dieser Musik und der Nachricht, die sie transportiert. Fest davon überzeugt, dass Singen die Welt per se schon besser macht (und wir viele Schwierigkeiten nicht hätten, wenn führende Politiker und Machthaber singen würden), möchte ich euch die Werke dieses Albums ans Herz legen. Und nicht nur das! Lest über die Hintergründe der Kompositionen oder schaut die vom Chor zur Verfügung gestellten Videos. Und dann schreibt mir bitte, dass ihr ein warmes Herz habt.
3. Lera Auerbach: 72 Angels – In Splendore Lucis
Wieder ist es Chor, doch dieses Mal kombiniert mit Saxophonquartett in einer höchst überirdischen Mission. Natürlich hat es mit der Corona-Krise zu tun, dass mir dieses meditative Werk gut getan hat, allerdings liebe ich die Musik von Lera Auerbach grundsätzlich sehr, genau wie ihre philosophischen Gedanken. Wundervoll auch ihre Motivation, diese Musik geschrieben zu haben: interreligiöse Verständigung. Wo sonst könnte das gelingen, wenn nicht über die Musik.
4. Fauré Quartett: Fauré
Das Fauré Quartett hat mich vor einigen Jahren eingefangen, als ich mich durch verschiedene Interpretationen des Brahms Klavierquartetts gehört habe. Ich habe eine Schwäche für diese Kammermusikbesetzung, aber weiß auch, wie schwer ein homogener Klang zu erreichen ist. Das Fauré Quartett ist diesbezüglich einfach unglaublich. Die Vier atmen und singen zusammen, dass man nur noch in der Musik versinken möchte.
Trotzdem war ich erst skeptisch – nicht jedes Werk von Fauré klingt wie die wohl bekannte Sicilienne, manchmal sind seine Kompositionen auch eine Hör-Herausforderung. Doch einmal eingeschaltet, war ich süchtig. Für dieses Album – Fauré mit dem Fauré Quartett – war es höchste Zeit.
5. Spark: Be Baroque
Was wäre die Welt ohne Kollegen, die einem ein Schmunzeln ins Gesicht zaubern und das immer wieder?
Die „klassische Band“ Spark macht vor nichts halt und bleibt dabei der Klassik trotzdem treu, ohne sie zu verunstalten. Das letzte Mal habe ich sie live mit dem Countertenor Valer Sabadus gehört und dieser sang, begleitet von den Spark-Musikern, Rammstein. Ja, richtig gelesen: Musik von Rammstein, der Metal-Band. Ich habe die vage Vermutung, dass es weltweit das erste Mal war, dass Rammstein erklang und sich keiner im Publikum bewegt hat. Es war schließlich ein klassisches Konzert mit einem klassischen Publikum, da bleibt man sitzen…
Ein besseres Bild lässt sich jedoch kaum finden für den unglaublich weiten Bogen, den Spark spannt. Ihr neues Album „Be Baroque“ sprüht Impulse des Barock in die Gegenwart und wieder zurück und man hat beim Hören vor allem eins:
Spaß.