Es gibt Veröffentlichungen, da weiß ich sofort, daß ich sie hören muss. Das Streichquartett Quatuor Modigliani habe ich hier im Blog bereits mit Begeisterung besprochen.
Jetzt bringen die vier Franzosen mit “Schubert: Octet” eine ganz frische Aufnahme des Werkes heraus, und offenbaren so die Lust an der Kooperation mit weiteren Musiker*innen. Franz Schubert orientierte sich bei der Komposition zwar am Septett von Ludwig van Beethoven, fügte der Besetzung jedoch eine zweite Violine hinzu, so daß die Streichersektion nun aus einem klassischen Streichquartett und einem Kontrabass bestand, der auf der vorliegenden Aufnahme von Knut Erik Sundqvist gespielt wird.
Begründete Entwicklung
Diese Änderung in der Besetzung machte Schubert, um einerseits Streicher gegen Bläser im Klang besser auszubalancieren, und andererseits um mehr Möglichkeiten zu haben, in den Streichern mit Klangräumen zu spielen und so letztlich einen noch symphonischeren Klang der Streicher zu erreichen. Und alle an der Aufnahme von “Schubert: Octet” Beteiligten haben sich Schuberts Intentionen sehr zu Herzen genommen. Was diese Einspielung so auszeichnet ist nämlich die gesamte Balance der Farben und Instrumentengruppen. Immer scheinen Streicher gegen Bläser, Tiefen gegen Höhen, Solomelodien gegen Ensemblekräfte perfekt austariert zu sein, was bei weitem nicht alle existierenden Aufnahmen dieses Werkes schaffen. Die hohe Virtuosität der Beteiligten ermöglicht das, denn im Zentrum agiert ein Streichquartett, das seit vielen Jahren auf höchstem Niveau funktioniert wie eine gut geölte Maschine. So können die vier Franzosen in dieser Einspielung oft als feste Basis stehen, wenn sie zum Beispiel die einprägsamen Akkordmelodien im dritten Satz solide unterfüttern, oder im vierten Satz, wo sie die vielen streicherlastigen Sequenzen breit gestalten. Und stets spielt Sundqvist am Bass mit, als wäre er schon immer dabei gewesen.
Balance
Dem gegenüber stehen die natürlich komplett spontan zusammen gekommenen Bläser mit Bruno Schneider am Horn und Dag Jensen am Fagott, die beide so bewundernswert leicht und problemlos an Quatuor Modigliani andocken und so gruppendienlich spielen. Gerade Schneider intoniert seine regelmäßig aus dem Verbund ausbrechende Stimme mit erstaunlicher Sicherheit und Eleganz. Vor allem im fünften Satz fällt die gestaltende Rolle des Horns wiederholt auf, und dennoch muss Schneider hier auch immer wieder wohl dosierte Kooperationen mit der Klarinette oder den Streichern eingehen, was erfreulicherweise durchweg gelingt.
Heimlicher Star
Jetzt habe ich mir meinen heimlichen Star der Aufnahme bis hierher aufgespart, aber sie nimmt einfach auch hier eine Sonderstellung ein, und überrascht damit durchaus. Für den Klarinetten-Part konnte nämlich Sabine Meyer gewonnen werden, die nun wirklich niemanden mehr überraschen muss, aber mir wird nun wieder klar, warum sie diesen bekannten Namen hat. Die routinierte Klarinettistin spielt ihre immense Erfahrung auf der Aufnahme “Schubert: Octet” voll aus, agiert mit so viel Fingerspitzengefühl, taucht im Ensembleverbund einfach weg, wenn sie will, steigt in einer Solomelodie kurzzeitig auch in der Fomantsteuerung in höhere Höhen auf, oder öffnet in Zweitstimmen wie mit Magie fast operettenhafte Klangräume. Den langsamen zweiten Satz beginnt sie zum Beispiel mit der Beschaulichkeit eines Mozart Klarinettenkonzerts, um dann später im Satz die luftigen Solomelodien klar, aber trotzdem weich zu präsentieren, bevor sie sie scheinbar mühelos in die Hände der Violine übergibt. Und dann, ab und an, wenn es denn notwendig ist, dann spielt Sabine Meyer den Klebstoff, der diese hervorragenden Musiker im letzten Schliff zur kompletten Einheit verbindet.
Schliesslich, im sechsten und letzten Satz kann Meyer auch wieder auf ihre atemberaubende Virtuosität zurückgreifen, indem sie die schnellen, als Einwürfe gehaltenen Verzierungen mit einer bestechenden Lockerheit und Weichheit präsentiert.
Flöhe hüten
Der hohe Interpretationswille aller Musiker*innen der Aufnahme “Schubert: Octet” unterstreicht auf so geschmackvoll deutliche Weise die Besonderheit dieses Werkes, das mit seiner fröhlichen, lebensbejahenden Art in Schuberts Gesamtwerk ja schon eine Sonderstellung einnimmt. Und auch wenn man beim ersten Kennenlernen des Albums manchmal Anflüge von Sorge darüber hat, ob dieses komplexe Gebilde denn auf Dauer standhaft bleiben wird, so wird bei genauerem Hinhören deutlich, dass es dem Ritt auf einer Kanonenkugel gleicht, in diesem Werk mit einer mehr oder weniger spontanen Besetzung Ausgewogenheit erreichen zu wollen. Man könnte alternativ auch einen Sack Flöhe hüten. Und erstaunlicherweise gelingt das dem gesamten Ensemble hier perfekt.
Da sich darum glücklicherweise die Musiker*innen kümmern, können wir uns einfach nur zurücklehnen und – zuhören!