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Einfach Klassik.

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CD-Review: Alessandro Perini – The Expanded Body


Instrumentierung und Spieltechniken sind beim Hören von Neuer Musik noch wichtiger, als anderswo. Sobald ich in das Thema eingestiegen war, erschloss sich mir eine Fülle von neuen Klängen und Möglichkeiten, die aber für andere Hörer*innen oft mit einer Eingangsschwelle versehen sind. Das macht die Vermittlung von Neuer Musik nicht einfacher, gleichsam aber auch sehr lohnenswert. 

Der italienische Komponist Alessandro Perini bietet wie viele andere auch, in seiner Arbeit reichlich Möglichkeiten, Spiel- und Instrumentierungskonzepte in der heutigen Zeit kennen zu lernen. Auch für ihn ist es selbstverständlich, in der Komposition die Brücke zu elektroakustischer und rein elektronischer Klangerzeugung nicht nur zu überschreiten, sondern sich auch oft auf der „anderen“ Seite aufzuhalten. Dem nicht genug, überraschte er mich in seiner neuesten Veröffentlichung “The Expanded Body” mit einem ganz eigenen Konzept, das ich so nicht erwartet hätte. Bevor ich es ausschreibe möchte ich die Bemerkung machen, dass es sich auch in diesem Fall immer lohnt, das klangliche Endergebnis zu erleben, bevor man sich in theoretischer Betrachtung verliert. Jedoch, ganz ohne Theoretisieren geht es für mich trotzdem nicht, dafür erfahre ich durch die Begleittexte zum Konzept Perinis zu viel, das das Klangerlebnis verändert. 

Alessandro Perini_ The Expanded Body


Eines der überraschenden Konzepte auf dem Album “The Expanded Body” ist die Modifikation des Klangs klassischer Instrumente mit Hilfe von motorgetriebenen Mechanismen. Beim zweiten Stück “Intorno alla traccia” werden zum Beispiel zwei Klappen der Klarinette von einem Motor gespielt, wodurch Zusammenarbeit und auch Konflikt zwischen Mensch und Motor entsteht, und das Spiel so nicht mehr für Menschen allein ausführbar ist. Zusätzlich wird das Stück für Solo-Klarinette mit Zirkularatmung ausgeführt, wobei die Klarinettistin Natalie Eikrsson mit Vorsicht und Bedacht, trotz der Fremdeinwirkung, die Musik behutsam entstehen lässt.

Auf dem Album veröffentlicht Alessandro Perini insgesamt sieben Stücke, die zwischen 2016 und 2020 entstanden sind. Besetzungen und ausführende Künstler*innen sind hierbei sehr unterschiedlich, von Solostücken bis zu Ensemblewerken.

Letzteres steht gleich am Beginn des Albums mit “Space/Spectrum”, einem Werk für Kalimba, drei Toy Pianos und elektronischen Klängen. Simone Beneventi und das Ars Nova Ensemble entführen uns dabei in eine mit Bilderbuchspannung ausgekleidete, aber doch heimelige Dachbodenatmosphäre, die bei Toy Pianos ja schnell entsteht, wogegen sich Perini in seiner Komposition aber auch nicht zu sträuben scheint. Die elektronischen Klänge, die oft als Zäsuren eingespielt werden, liegen meist im Klangspektrum der übrigen Instrumente, so dass sich die gesamte Komposition etwas eigentümlich in ein bestimmtes Frequenzband einordnet. 

Experimentelles Klangerlebnis

In einem weiteren Solostück “On that day my left ear became a frog”, diesmal für Violine, erfahren wir wieder von einem neuen Konzept Perinis. Eigentlich ist es eine ganz einfache Frage, die längst hätte gestellt werden können. Wie klingt die Violine, nicht für uns Hörer*innen mit dem durch die Luft übertragenen Schwingen der Saiten, sondern wir würde sich Geigespielen anhören, wenn man der Bogen wäre? Um das auszuprobieren hat Perini einen eigenen Geigenbogen konstruiert, dessen Schwingung aufgenommen und verstärkt wird. Das klingt recht kratzig, würde man denken, und das stimmt auch. Die Klänge sind sehr perkussiv und wild, und ergeben ein experimentelles Klangerlebnis, gerade für Menschen wie mich, die schon seit Jahren begeistert sind von den klappernden, kratzenden und scheppernden Klangwelten der allseits beliebten, zufälligen Hosentaschen-Telefonanrufen.

Alessandro Perini hört
Alessandro Perini hört


Tonal aufgelockerter ist da dann “Epicentro” für Klavier und zehn Vibrationsmotoren, die Kontakt zu den Saiten haben, und die über MIDI von Notation kontrolliert werden, die auch die Musikerin mit ihren Fingern auf den Saiten ausführt. Irene Bianco scheint in diesem komplexen Aufbau mühelos die musikalischen Klanglandschaften zu formen, die aus den erstaunlich vielfältigen Geräuschquellen der Instrumentanordnung entstehen können. Ich musste mich hier tatsächlich vom theoretischen Ansatz des Stückes lösen, und wieder mehr zum uninformierten Hören finden, um die Musik erreichen zu können.

Alessandro Perini überrascht

Überraschende Gegenstände oder Bestandteile als Instrumente oder Klangquellen zu verwenden ist ein weiterer Ansatz Alessandro Perinis in dieser Werksammlung. So fragte er sich in “Steel string quartet”, wie Stahlsaiten klingen könnten, wenn sie als Schnüre von Schaukeln fungieren, auf denen die Musiker*innen sitzen, die sie spielen. Und auch hier erlebte ich nach dem Verständnis für das Konzept wieder eine beeindruckende, neue Klangwelt, die mit klanglichen Möglichkeiten verblüfft, die aber Auch Perinis Vorliebe für die Beeinflussung von Saitenschwingung aufzeigt.

Im für den Gitarristen Ruben Mattia Santorsa geschriebenen “Rondò” geht es dann an die Stimmechaniken einer elektrischen Gitarre, die von Motoren kontrolliert und über MIDI ständig moduliert werden. Dadurch schwankt die Stimmung von drei Saiten des Instrumentes ständig, und es entsteht eine seltsam schwebende Atmosphäre, in der Santorsa selbst das Stück expressiv ausführt.

Interessante Harmonik begeistert

Der Titel das abschliessenden Stücks “N-S” steht für North-South. Hier folgen Cello und Klavier einer Tonaufnahme, in der sich Eis- und Schneeklänge mit dem Spiel einer Kalimba abwechseln, jedoch nie verschmelzen. Perini zeigt damit die Unvereinbarkeit dieser Sphären auf, begleitet und analysiert vom Duo Dillon-Torquati. Die Aufnahme konnte bei mir jedoch nicht so sehr das Gefühl der Beschau der Sphären hervorrufen, sondern sie lebt eher in kleinen, abgeschlossenen Klangräumen, die mich jedoch mit interessanter Harmonik begeistern.

Neugier auf Neues und Interesse an der Frage was Klang eigentlich ist führen mich persönlich immer wieder zu Veröffentlichungen wie “The Expanded Body” von Alessandro Perini, und ich habe dann häufig sehr spannende Erlebnisse damit. Dieser Musik zu begegnen ist auf jeden Fall eine lehrreiche und vielleicht eine bereichernde Erfahrung.

Die Tracks

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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