Das Thema scheint unerschöpflich: Nach wie vor sind die meisten heute aufgeführten bekannten Komponisten immer noch männlich, obwohl auch und gerade zahllose Komponistinnen in allen Jahrhunderten produktiv waren, aber heute größtenteils in Vergessenheit geraten sind – oft aufgrund von mangelnder Wertschätzung oder einfach wegen fehlenden gesellschaftlichen Möglichkeiten zur Verbreitung der eigenen Kunst. Wie viele andere mittlerweile, sorgen auch die Sopranistin Yvonne Prentki und der Pianist Benedikt ter Braak für Abhilfe. Auf ihrem gemeinsamen Debütalbum „Ich sehe still vorüberziehen“ bringen sie bisher unentdeckte oder bislang kaum entdeckte Schätze von Komponistinnen zu Gehör.
Im Zentrum dieser neuen CD für das Label ARS steht das Liedschaffen von Josephine Lang. Yvone Prentki und Benedikt ter Braak demonstrieren durch ihre kleine Lieder-Gesamtschau, dass man sie gut und gerne zu den besonders vielseitigen, hochbegabten Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts zählen darf. Viele ihrer Werke sind noch nie veröffentlicht worden, aber sie offenbaren eine Ausdrucksfülle, die kaum Grenzen kennt. Yvonne Prentki und Benedikt ter Braak machen in ihrer symbiotischen Interaktion auf Anhieb die ganzen Empfindungen erfahrbar: Vor allem um die sehnsüchtigen, und „leiden-schaffenden“ Aspekte von Liebe geht es. Manchmal steigert sich dies ins Tragische hinein -etwa, wenn Yvonne Prentki das „Stummsein der Liebe“ besingt. Noch mehr in drängende Seelentiefen zieht das Stück „Am Grab“ hinein, das eben so klingt, wie es der Titel vorgibt. Yvonne Prentki und Benedikt ter Braak werden mit Stimme und Klavier diesen in Töne gesetzten Seelenzuständen in jedem Moment souverän gerecht, vor allem die Sopranistin überzeugt hier mit einer reichen emotionalen Bandbreite von zart bis verletzlich.
Es gibt auch gesellschaftliche Aussagen
Eine etwas andere Diktion pflegen die Lieder von Ethel Smyth, einer britischen Komponistin und Frauenrechtlerin. Lieder wie „Requies“ und „Before the Squall“ sind ebenfalls von romantischer Verinnerlichung getragen bei einer starken Verbindung zur Natur. „Requies“ beschreibt die Ruhe des Meeres nach dem Sonnenuntergang, während „Before the Squall“ in die Atmosphäre vor einem aufziehenden Sturm versetzt. Aber es gibt auch Beiträge mit einer gesellschaftlichen Aussage: Das Lied „A Room of One’s Own” von Virginia Woolf bricht eine Lanze für das Leben von Schriftstellerinnen und Komponistinnen – Virginia Woolf und Ethel Smyth waren gut miteinander befreundet.
Nadia Boulanger hat es zu echter Berühmtheit gebracht – vor allem als herausragende Musikpädagogin, ohne deren Wirken Astor Piazolla oder Maurice Ravel nie zu denjenigen geworden wären, für die sie heute verehrt werden. Auch Nadia Boulanger hat sich dem Liedfach verschrieben, wenn sie intime Töne und zarte Seelengemälde aufhorchen lässt. In ihren Stücken „After Sunset“ und “Three Moods of the Sea”, zaubern der Gesang von Yvonne Prentki und Benedikt ter Braaks sensible Klavierbegleitung allemal genug subtile atmosphärische Bildkraft.
Der Auftakt zu diesem ausdrucksstarken Stimmungskaleidoskop dieser CD kommt übrigens aus männlicher Feder. Richard Strauss kreierte seinen vierteiligen Zyklus „Mädchenblumen“, um verschiedenen weiblichen Charaktereigenschaften jeweils eine Blume zuzuordnen. Er musste es wohl wissen. Für das Duo aus Yvonne Prentki und Benedikt ter Braak ist dies Anlass genug, auch mal die verspielte, leichtfüßige Seite hervorzukehren.