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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Trio Orelon in der Marler Konzertreihe „next!“

Nichts bleibt für immer gleich – auch nicht in einem Theater, das seit über 50 Jahren internationale Klassik-Größen und die Besten des musikalischen Nachwuchses präsentiert. Beim Auftritt des Trio Orelon erzeugte eine neue Lichtregie fast schon eine Art dezente Club-Atmosphäre. Ein Bekenntnis zu mehr Lockerheit und neuen Darbietungsformen relativiert bei der Konzertreihe „next“ keineswegs den Anspruch, höchste künstlerische Qualität zu liefern. Eben das hat die – seit diesem Jahr auch offiziell – von Evelyn Fürst-Heck kuratierte Konzertreihe mit dem renommierten ARD-Wettbewerb gemein, von dem regelmäßig eine handverlesene Auswahl zu den alljährlichen Gastspielen nach Marl eingeladen wird. Der ARD-Wettbewerb muss künftig wohl auf die Liste bedrohter Arten gesetzt werden, aber dazu noch später…

Trio Orelon wollen das Beste geben

Dem Anspruch, das Beste zu geben, haben sich seit fünf Jahren auch Judith Stapf, Violine, Arnau Rovira i Basctompte, Cello und Marco Sanna am Klavier verschrieben. Sie gewannen nicht nur einen ersten Preis beim ARD-Wettbewerb, sondern holten sich auch den Publikumspreis. Warum, das bewiesen sie bei ihrem gefeierten Auftritt im Marler Theater zuhauf: Dieses Ensemble spielt nicht nur exzellent, was zahllose andere heute auch können. Ihr Alleinstellungsmerkmal ist ein leichtfüßiger, luftiger Klang, der sofort erkennbar ist und in dem sich jener Konsens widerspiegelt, in dem Judith Stapf, Arnau Rovira i Bascompte und Marco Sanna selbstverständlich aufgehen. In Marl wurde hörbar, dass ihnen auch der nächste, wichtige Schritt gelingt: Nämlich, solche Kompetenzen in den Dienst einer höheren musikalischen Aussage, einer Werkidee zu stellen. Joseph Haydns Klaviertrio Nr. 10 Es-Dur, Hoboken XV:10 verströmt auf Anhieb eine anmutige Schwerelosigkeit, in der Haydns satztechnische Geniestreiche nicht mehr Schwierigkeiten, sondern selbstverständliche Mittel für einen höheren Zweck werden. Pianist Marco Sanna erzeugt auf dem Steinway eine weitgespannte Farbenpalette voller Brillanz und fokussierter Präsenz. Das passt gut zum silbrig glänzenden Violinton von Judith Stapf, während der Cellist mit einem schwelgerisch singenden, von tiefer Emotion gesättigten Ton jeder Gefühlsnuance – auch bei den nachfolgenden Werken – gerecht wird. 

Trio Orelon, Foto © Stefan Pieper
Trio Orelon, Foto © Stefan Pieper

Das Orelon-Trio erforscht ausgiebig das Repertoire und möchte Unentdecktes zugänglich machen. Viel Aufarbeitungsbedarf herrscht nach wie vor bei den Werken vieler verkannter Komponistinnen aus früheren Jahrhunderten, die aus gesellschaftlichen Gründen oft nicht die Anerkennung erhielten. Das Orelon-Trio hat diesbezüglich in den letzten Jahren wirklich zahlreiche weiße Flecken auf der Musikalischen Landkarte ausgefüllt – nicht zuletzt mit ihrer Debut-CD, die sie ganz der amerikanischen Komponistin Amy Beach gewidmet hat. Auch Amanda Mayers Klaviertrio offenbart das Feinste und Innigste, was die frühe Romantik hervorgebracht hat. Das Trio Orelon lieferte mit der Interpretation dieses selten aufgeführten Stückes damit die idealtypische Definition von Kammermusik.

Schubert als finale Steigerung

Aber alles lässt sich noch steigern: Das zeigte sich nach der Pause, als sich die drei Schuberts spätem Trio Es-Dur Opus 100 D 929 annehmen. Ihre spezifische Herangehensweise an dieses mächtige Werk wirkt vor allem ehrlich und authentisch. Eben so, wie junge Menschen von heute im Alter von Mitte 20 bis Mitte 30 im Idealfall Schubert spielen. Neugierig und lebenshungrig klingt dies, auch wenn gerade in diesem Trio schon deutlich die Lebensbilanz am Ende von Schuberts viel zu kurzem irdischen Dasein mitschwingt. Den ersten Satz lassen die drei heiter und fröhlich aufleben. Tiefgründigkeit scheint hier nur am Rande durch, aber sie ist da. Und wie. Eben weil Judith Stapf, Arnau Rovira i Bascompte und Marco Sanna schon seit vielen Jahren ihre eigene Deutung dieses Meisterwerks weiterentwickeln. Der zweite Satz erinnert mit seinem motorischen Pochen an die Tragik der Winterreise, was kein Zufall ist. Nach einem temperamentvollen Scherzando entführt vor allem der Finalsatz in eine höhere Sphäre, indem Elemente aus den vorherigen Sätzen immer wieder auftauchen, was in seinen überraschenden Wirkungen einem fast den Boden unter den Füßen wegziehen konnte.

Trio Orelon, Foto © Stefan Pieper
Trio Orelon, Foto © Stefan Pieper

Als Dank für die stehenden, begeisterten Emotionen „rockten“ die drei im wahrsten Sinne des Wortes Lili Boulangers „D un matin de printemps“– damit lenkte das Orelon-Trio einmal mehr den Fokus auf eine bemerkenswerte Komponistin, die schon 1917 viel zu früh verstarb. Die unwiderstehliche Mischung aus fröhlicher Ausgelassenheit und tiefer Empfindung in diesem Stückes konnte einem in dieser Direktheit den Atem verschlagen. Abermals klang der Beifallsjubel nicht nach „gesetztem Klassik-Publikum“, sondern nach etwas, was hier gerade im Hier und Jetzt neu entsteht.

ARD-Wettbewerb auf der Abschussliste? 

Das Thema „ARD-Wettbewerb“ brennt zurzeit angesichts geplanter „Reformen“ bei den ARD-Medienanstalten. Hinter vielen wohlfeilen Bekundungen von offizieller Seite setzen monströse Spar- und Kürzungspläne gerade mal wieder die Hochkultur auf die Abschussliste. Beschlossene Sache ist, dass der renommierte Wettbewerb ab 2024 nur noch mit der Hälfte seiner Mittel auskommen muss. Phasenweise war sogar zu lesen, dass über 2024 hinaus der Wettbewerb im Ganzen zur Disposition stehe. Judith Stapf, Violine, Arnau Rovira i Bascompte und Marco Sanna können aus eigener Erfahrung bestätigen, dass bei ihnen bislang keine Kompetition wie dieser in München ausgetragene Wettbewerb so viel internationale „Sichtbarkeit“ und eben auch zuhauf neue Engagements und Auftrittsangebote generiert hat. Das Orelon-Trio ist seit seinem Wettbewerbserfolg eigentlich kontinuierlich auf Tournee und das voraussichtlich bis 2025. Dringend sollten einige „Entscheider“ und Funktionäre auf den Verwaltungsebenen der ARD zu den „next“-Konzerten nach Marl eingeladen werden, um mitzuerleben und nachzufühlen, welche elementaren kulturellen Kostbarkeiten hier zur Disposition stehen.

Titelfoto © Stefan Pieper

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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