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Einfach Klassik.

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Weinberg Schwerpunkt mit der Kremerata Baltica in der Elbphilharmonie

Man kann es nicht oft genug betonen. Es ist eine sehr schöne Entwicklung, dass dieses Jahr an mehreren Spielstätten ein Schwerpunkt auf das Werk des Komponisten Mieczyslaw Weinberg gelegt wird. Als guter Freund von Schostakowitsch wurde Weinberg immer zunächst als dessen Adlatus gesehen. Dass es große Unterschiede zwischen beide Persönlichkeiten gibt, und dass Weinberg sehr wohl eine ganz eigene musikalische Sprache hat, war lange nicht im Fokus. Das soll sich jetzt ändern, und sein Werk soll auch in Zukunft in Programmen wiederzufinden sein. Auch in der Elbphilharmonie gibt es derzeit einen Weinberg-Schwerpunkt, und es ist eine gute Idee, dafür Gidon Kremer zu gewinnen, der schon seit Jahrzehnten in seinen Programmierungen auf das Werk des polnischstämmigen Komponisten aufmerksam macht. Dabei half ihm schon seit über 20 Jahren die von ihm gegründete Kremerata Baltica, ein Kammerorchester mit dem er Kontakte und Kommunikation unter jungen Musikern aus dem Baltikum fördern möchte. 

Federleichte Töne

Beim Konzert im kleinen Saal der Elbphilharmonie, das ich nur wenige Tage nach dem Besuch in der Laeiszhalle geniessen konnte, spielten aber zunächst nur Gideon Kremer und Madara Petersone Weinbergs Sonate für zwei Violinen op. 69. Und sie gingen gleich mit kräftigem Strich und vielen Bogengeräuschen energisch in das Werk. Vor allem Petersone spielte mit sehr energetischer Haltung, und so erzeugten beide eine immense Spannung, an der sie geschickt die vielen gegenläufigen Melodien aufreihten. Diese intensive Kooperation im Spiel dieses Werkes setzte sich aber auch in den folgenden Sätzen der Sonate fort, auch während Kremer im zweiten Satz viele Melodien mit expressiver Erzählstimme spielte, oder als Petersone im letzten Satz viele Töne mit federleichter Durchsichtigkeit ansetzte.

Die Kombination von Werken befreundeter Komponisten in Konzertprogrammen ist mit Recht beliebt, gibt sie doch der Zusammenstellung noch mehr Kontext. Die Hinzunahme eines Stücks von Dimitri Schostakowitsch im Weinberg Schwerpunkt ist daher nachvollziehbar. Die Wahl des Antiformalistischen Rajok war für mich auf den ersten Blick allerdings eine Überraschung. Auf den Zweiten aber nicht mehr. Weist der Rajok doch hin auf die gleichen politischen Repressionen, unter denen auch Weinberg seinerzeit zu leiden hatte. Und das Kammerorchester setzte das Werk zusammen mit dem Bass Alexey Mochalov begeisternd um. Die beißende Ironie begleitet von Spott und Humor nahmen sich alle Künstler als Leitbild. Mochalov sang seine Parts mit schauspielerischem Geschick und agierte dabei wie ein Conférencier, der durch den Vortrag führte. Die Orchestermusiker stellten sich mit sichtbarer Begeisterung den hohen Anforderungen, war in der ursprünglichen Fassung ja ein Chor geplant, der durch den Mangel an Platz und Ensemblegröße während des Spiels von den Orchestermusikern selbst gesungen wurde. Diese ungewöhnliche Entscheidung wurde aber mit so viel Entschlossenheit und Überzeugung ausgeführt, dass alle im Publikum mit freudiger Überraschung staunend beobachteten. Scheinbar mühelos wechselte das Orchester vom normalen Vortrag in die vielen tutti gespielten Pizzicato-Passagen und dann in zusätzlichen Gesang, dabei immer sicher die Balance für Mochalovs Vortrag optimierend. Diese Zusammenstellung von Fähigkeiten und Entscheidungen im Vortrag brachten dann auch das Publikum immer öfter von verhaltenem Schmunzeln zu befreitem Gelächter, so wie es der Komponist wohl auch intendierte. Tosender Applaus am Ende des Rajoks quittierte dann die Leistung aller Musiker in dieser Interpretation gebührend und erwirkte sogar noch eine wiederholte Passage als Zugabe.

Weinberg-Experten

Kulminativ schwer zu überbieten, dachte man, jedoch war für die zweite Hälfte des Abend ja “The Chronicle of Current Events” geplant, ein von Gidon Kremer konzipiertes Projekt über das Leben Weinbergs, in dem eine Zusammenstellung von Auszügen aus einigen seiner Werke begleitet von einem Video des Künstlers Artem Firsanov gespielt wurde. Weiterhin stiessen die Sopranistin Vida Mikneviciute und der Pianist Georgijs Osokins hinzu. Gespielt wurde unter anderem aus der Sinfonie Nr. 21 »Kaddish« (Auszug), Arie / aus: Klaviertrio op. 24, Musik zum Zeichentrickfilm »Kanikuly Bonifatsiya« (Die Ferien des Bonifazius) oder Allegretto / aus: Klavierquintett op. 18. Alles war stimmig zusammengestellt und wurde vom Ensemble zu einem homogenen Vortrag geformt, und man erkannte spätestens jetzt, dass diese Musiker mittlerweile echte Experten für Weinbergs Musik sind. Ob wohldosiert unter das Video gelegter Teppich oder lebhafter Gegenpart zu den von Kremer so lebendig vorgetragenen Solostimmen, alle Spielarten durchlief das Ensemble mit geeintem Vorgehen und mit großer Spielfreude. Während die Videoprojektion für mich in gutem Einklang mit der Musik stand, so konnte ich doch inhaltlich kaum Verbindungen zum Leben Weinbergs erkennen, was der Qualität des Vortrags aber nicht abträglich war. 

Besetzung:

Kremerata Baltica
Madara Petersone Violine
Alexey Mochalov Bass
Vida Mikneviciute Sopran
Georgijs Osokins Klavier
Gidon Kremer Violine
Artem Firsanov Video

Programm:

Mieczysław Weinberg – Sonate für zwei Violinen op. 69
Dmitri Schostakowitsch – Antiformalistichekiy Rayok / Antiformalistischer Rajok

„The Chronicle of Current Events“ – Musik von Mieczysław Weinberg zu seinem 100. Geburtstag mit filmischen Visualisierungen

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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