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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker – Jubiläumskonzert

Wer Cello spielt, spielt nicht einfach nur Cello. Dieses Instrument ist ein Statement. 
Cellist*innen sind freundlich, bestimmt und gleichzeitig anschmiegsam. Nicht nur, weil sie sich an das Cello schmiegen, sondern auch, weil sie Begleitende und Solist*innen gleichzeitig sein müssen. Kurz gesagt: Cellospieler*innen haben meist einen frohen Charakter und sorgen für ein gutes Betriebsklima.

Wenn sich dann also gleich eine ganze Gruppe solcher Menschen auf die Bühne bewegt, darf man einen herzerfrischenden Abend erwarten. Und diese Erwartung haben die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker voll erfüllt, als sie mit einem wundervollen Konzert ihr 50-jähriges Bestehen feierten.

Die 12 Cellisten ganz bescheiden

Das Ganze beginnt bereits überraschend, nämlich mit einer kurzen Zugabe, einer Haydn-Fuge. Für Menschen mit Liebe zur historischen Aufführungspraxis mag diese ordentlich „Wumms“ haben, jedoch spiegelt sich darin die große Spielfreude dieses Ensembles.
Solocellist Ludwig Quandt begrüßt daraufhin das Publikum und erwähnt: „Wir sind nicht ganz normal, deswegen haben wir mit einer Zugabe angefangen“. Er freut sich, dass die 12 Cellisten vollzählig seien. Das sei in diesen Zeiten nicht selbstverständlich. Vielleicht wissen bei diesen Worten nur anwesende Musiker*innen, was genau das bedeutet: Das Gefühl, bis zum letzten Moment nicht zu wissen, ob man wie geplant auftreten kann, ist ein zermürbendes und die Kulturschaffenden haben es seit 18 Monaten immer und immer wieder. Auch erwähnt Quandt, dass nicht alle Kolleg*innen ihren gewohnten Part spielen würden und dass er hoffe, dass sie trotzdem durchkämen. Das zeugt von wunderbar sympathischer Bescheidenheit.

Die 12 Cellisten im Konzert, Foto © Ole Schwarz
Die 12 Cellisten im Konzert, Foto © Ole Schwarz

Und natürlich muss bei einem Jubiläum das Werk erklingen, das als Gründung der 12 Cellisten angesehen wird: Der „Hymnus“ von Julius Klengel.
Julius Klengel, Mitte des 19. Jahrhunderts geboren und als Cellist ebenso berühmt wie als Pädagoge, schrieb dieses Stück für seine Celloklasse. Nach der Uraufführung verschwand es im Niemandsland. Die 12 Cellisten waren es, die es aus dem Dornröschenschlaf geholt haben und damit begann deren Erfolgsgeschichte.

In den letzten 50 Jahren haben sich viele Celloklassen und Celloensembles an diesem Stück versucht. Ausgerechnet der Beginn ist eine Herausforderung, soll er doch durchsichtig sein und harmonisch klar. Generell entscheidet das Differenzieren der Dynamiken der 12 Stimmen über die Qualität der Darbietung.
Natürlich gelingt den Zwölf das so gut, dass die Gänsehaut beim Zuhören schon sprießt, noch bevor das erste Solo einsetzt, ganz zu schweigen von den wunderschönen Soli durch die gesamte Gruppe, sehr leidenschaftlich in allen Stimmen.
Dieser Hymnus ist offensichtlich für das geschrieben, was das Publikum beim Hören des Cellos am liebsten macht: Schmelzen.

Es wird im Anschluss spannend mit Boris Blachers „Blues, Espagnola und Rumba Philharmonica“. Vom ersten Moment an ist man gefangen im Blues. Beim zweiten Satz, Espagnola, kann man kaum glauben, wie synchron die Pizzicati sind (Quandt dirigiert), zumal es rhythmisch immer komplizierter wird. Beim Rumba wird das Cello zum Percussion-Instrument. Gleichzeitig gibt es fast Etüden-artige Läufe, in denen die Virtuosität der Ensemblemitglieder voll zur Geltung kommt. Kaum zu glauben, dass dieses Stück entstanden ist, weil einer der 12 Cellisten Boris Blachers Tochter, die per Anhalter unterwegs war, mitgenommen hat. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie erstens die Tochter des Komponisten sei und zweitens, dass sie sich gerne revanchieren würde (was ihr Vater dann mit einer Komposition für die 12 Cellisten getan hat). Das Leben spielt manchmal ein verrücktes Spiel.

Herz und Seele geöffnet

Während sich die Gruppe auf das nächste Stück vorbereitet, begrüßt Ludwig Quandt die zugeschalteten Zuhörer*innen aus Japan. Dort ist es in dem Moment ungefähr vier Uhr morgens und trotzdem fällt es nicht schwer zu glauben, dass zahlreiche Menschen an den Bildschirmen kleben, um dieses Konzert zu verfolgen. Umso schöner ist es wahrscheinlich, dass die Cellisten nun ein japanisches Volkslied spielen, „das dort jeder kennt“: Kōjō no Tsuki, sinngemäß übersetzt mit „Ruine im Mondlicht“, das von Rentarō Taki vertont und von Shigeaki Saegusa bearbeitet wurde. Ein wunderschönes Arrangement, das abermals Herz und Seele öffnet.

So hätte der Sprung zu den Filmmusiken „Catch me if you can“ von John Williams (Bearbeitung von David Riniker) und La Strada von Nino Rota (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann) nicht größer sein können. Doch passt diese Musik gut, denn die Arrangements sind spielerisch und virtuos. So virtuos, dass Ludwig Quandt in seiner Moderation sogar das „catch me“ auf die Töne bezieht, die es in diesem Arrangement zu fangen gilt.
Tatsächlich staunt man an diesem Abend öfter über die Arrangements von David Riniker. Er ist ein wahrer Meister im Verteilen der Stimmen, im Finden von Effekten, auch, wenn es um Bodypercussion geht.

Mit George Gershwins Popsong „Oh, Kay!: Clap Yo’ Hands“ (Bearbeitung von Michail Tsygutkin) nehmen die Zwölf dann richtig Fahrt auf, haben Spaß. Der nächste Titel, George Shearings
„Lullaby of Birdland“ trügt ein wenig, denn dieser Jazz-Standard ist kein Wiegenlied, sondern verleitet in der Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann zum Mitgrooven. Mit „Caravan“ ist dann das energetische Level für eine gründliche Pause erreicht. 

Die 12 Cellisten, Foto © Uwe Arens
Die 12 Cellisten, Foto © Uwe Arens

Die Rückblicke auf 50 Jahre, die in der Digital Concert Hall in der Pause geboten werden, sind ebenso berührend wie informativ. Quandt fasst es wunderbar zusammen: „Es geht nicht um Leben und Tod, sondern zum Glück nur um Auf- und Abstrich“. Und doch merkt man, wie viel die 12 Musiker*innen an Freud und Leid verbindet.

Und so passt der Titel „Twelve Angry Men“ im Wortlaut nicht zu den Geschichten aus der Pause, wohl aber musikalisch ins Programm. Denn zunächst erlaubt sich jede*r Mitspieler*in eine eigene musikalische Stimmenäußerung, bis sich irgendwann all diese Stimmen verschieben. Das hört sich wirklich wütend an und hat etwas von Honeggers „Pacific 231“: wie eine Dampflok treibt die Musik durch die 12 Celli.

Klingt gefährlich

Hintergrund dieses Auftragswerkes an Brett Dean war der Film „Die Zwölf Geschworenen“ aus dem Jahr 1957. Die Geschichte handelt vom Schicksal eines jungen Puerto-Ricaners, der des Mordes angeklagt ist und dem die Todesstrafe droht. Die zwölf Geschworenen müssen über Schuld oder Unschuld urteilen. Nach langen Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten setzt sich am Ende die ausgewogene Meinung eines einzigen Geschworenen gegen alle anderen elf durch – mit einer Ausnahme. Ein Geschworener glaubt immer noch, dass der Angeklagte schuldig ist. Seine Verstocktheit kann jedoch der Einmütigkeit, mit der er konfrontiert wird, nicht standhalten: So wie sich seine Stimme in der Gruppe verliert, so taucht auch das Anfangsmotiv als Echo in den letzten Takten des Werks wieder auf. Wie das klingt? Gefährlich.

Da tut das „Sous le ciel de Paris“ (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann) richtig gut. Es ist Celloensemble-Spiel wie im Bilderbuch: Jede Stimme hat mal ein Solo und alle können sich entspannen. Jedoch nur, um anschließend noch einmal in südamerikanische Gefilde abzutauchen mit 
„A Don Agustin Bardi“ von Horacio Salgán (Bearbeitung von David Riniker), und „The 12 in Bossa Nova“ von Wilhelm Kaiser-Lindemann mit Perkussion am Cello und schon mal dem ein oder anderen „Uh! Ah.“ als Stimmt-Effekt. Astor Piazzolla rundet die Sache ab, von ihm erklingt Escualo in der Bearbeitung von David Riniker.

Die 12 Cellisten, Foto © Stephan Roehl
Die 12 Cellisten, Foto © Stephan Roehl

An dieser Stelle erwähnt Ludwig Quandt, wie schwer es war, aus dem groß gewachsenen Repertoire von etwa 5 Stunden Spielzeit der 12 Cellisten dieses Konzert zu extrahieren. „Jetzt wissen wir, was ein Streich-Konzert ist“, sagt er schmunzelnd und meint damit nicht den Auf- oder Abstrich, sondern das Durchstreichen der Vorschläge.

„Yesterday“ – muss sein

Dass aber unbedingt „Yesterday“ von den Beatles erklingen muss, ist offensichtlich. Gänsehaut ist garantiert, die Stimmen sind wieder einmal wunderbar transparent. Die Bearbeitung von Rudolf Weinsheimer ist perfekt für diese Besetzung und man hätte fast glauben können, dass noch mehr Genuss gar nicht möglich ist – wären da nicht die Zugaben.
Zunächst hört man Ennio Morricones „Man with a harmonica“, wobei die Mitglieder der 12 Cellisten nochmal in die Vollen gehen. Es ist ein Stück, das die volle Kraft von 12 Cellisten zum Ausdruck bringt.
Mit viel Spaß bei „Pink Panther“ bei verschiedenen Effekten und viel Schmelz mit Hildegard Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ beenden die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker einen fantastischen Abend.

Und wie wird es weiter gehen? Es taucht in den Sozialen Medien immer wieder die Frage auf, warum das Verhältnis von Männern und Frauen bei diesem Ensemble noch so ungleich ist.
Dazu muss man nur noch einmal den Anlass des Konzertes bedenken und wie lange dieses Ensemble gewachsen ist. Es braucht Zeit, bis neue Mitglieder hinzukommen und hoffentlich werden es dann auch mehr Frauen sein.
Eine Kritik, die jedoch berechtigt ist – und da wünschen wir uns Veränderung, liebe 12 Cellisten: Es gibt genügend Werke von Komponistinnen, die sich für diese Besetzung bearbeiten ließen. Wie schön wäre ein Programm mit Amy Beach, Lili Boulanger, Joan Tower. Inspiration dafür gäbe es direkt bei euch in Berlin: Beim VAN Magazin und seinen 250 Komponistinnen… 

Titelfoto © Ole Schwarz

Veranstaltung

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker – Jubiläumskonzert zum 50-jährigen Bestehen
Live-Streams in der Digital Concert Hall am 9. Januar 2022

Programm

Julius Klengel
Hymnus G-Dur op. 57

Boris Blacher
Rumba philharmonica

Anonymus
Kōjō no Tsuki, Japanisches Volkslied (Bearbeitung von Shigeaki Saegusa)

John Williams
Catch Me If You Can (Bearbeitung von David Riniker)

Nino Rota
La strada (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann)

George Gershwin
Oh, Kay!. Clap Yo‘ Hands (Bearbeitung von Michael Zigutkin)

George Shearing
Lullaby of Birdland (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann)

Juan Tizol/Duke Ellington
Caravan (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann)

Brett Dean
Twelve Angry Men

Hubert Giraud
Sous le ciel de Paris (Bearbeitung von Wilhelm Kaiser-Lindemann)

Horacio Salgán
A Don Agustin Bardi (Bearbeitung von David Riniker)

Wilhelm Kaiser-Lindemann
The 12 in Bossa Nova

Astor Piazzolla
Fuga y Misterio aus der Operita María de Buenos Aires (Arrangement von José Carli)

John Lennon/Paul McCartney
Yesterday (Arrangement für 12 Violoncelli von Werner Müller)

Icon Autor lg
Katja Zakotnik fand durch eine zufällige Begegnung zum Cello, welches sie sofort ins Herz schloss. Nur fünfeinhalb Jahre, nachdem sie in Maribor (Slowenien) zur Welt gekommen war, legte sie schriftlich fest, dass sie Cellistin werden will. Schon bald gewann sie ihren ersten Wettbewerbspreis, viele weitere, auch internationale Preise sollten folgen. Sie absolvierte ihr Studium an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Aus Sehnsucht nach südlichem Flair bewarb sie sich gleichzeitig an der Akademie Walter Stauffer Cremona bei Mailand. Dort aufgenommen, durfte sie von 2003 bis 2005 monatliche Meisterklassen bei Prof. Rocco Filippini besuchen. Aufbauend auf ihr Diplom in Hannover in 2005 mit der Höchstnote, folgte sie der Einladung des berühmten Cellisten Bernard Greenhouse (Beaux Arts Trio) an die US-amerikanische Ostküste, wo sie insgesamt sechs Monate studierte. Neben der Intensität in ihrem Spiel zeichnet diese Künstlerin innovatives und modernes Denken aus. Sie bildete sich zur Konzertpädagogin weiter und studierte nebenberuflich Kulturmanagement und Kulturmarketing. Ihr Markenzeichen sind neue Konzertformate sowie moderierte Themenkonzerte. Der WDR nannte sie „Konzertformat-Erfinderin“. Die Begeisterung, die Katja Zakotnik in den Zuhörern entfachen kann, lässt ihre Konzerte ausnahmslos zu eindrucksvollen Momenten werden. Website: www.cellistin.de
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