Nach der Eröffnung des Usedomer Musikfestival mit dem Baltic Sea Philharmonic war das NDR Elbphilharmonieorchester der Stargast zum Abschlusskonzert der Veranstaltung im Historisch Technischen Museum in Peenemünde. Unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha wirkte der Geiger Vadim Gluzman als Solist für das Violinkonzert No. 2 Op. 129 von Dimitri Schostakowitsch mit.
Und das war für mich im Vorfeld eine sehr überraschende Auswahl, gilt das Werk doch als düster und etwas spröde. Dies mag vielleicht zum manchmal martialisch und bedrückend wirkenden Auftrittsort passen, nicht jedoch zum Abschlusskonzert eines so bunten und vielfältigen Musikfestivals einer kulturerfüllten und landschaftlich atemberaubenden Region. Ich war also gespannt, was die beteiligten Künstler*innen mit diesem Konzert anstellen würden.
Abschlusskonzert mit modernem Beginn
Zu Beginn stand jedoch ein neues Werk des estnischen Komponisten Jüri Reinvere auf dem Programm, mit “Schoß des ungeheuren Lichts” präsentierte er die deutsche Erstaufführung, und diese war gleich ein besonderer Genuss für Kenner der zeitgenössischen skandinavischen Klassik. Kunstvoll und dem Genre angemessen führte das Orchester durch einige Anklänge an Sibelius, Vasks oder Rautavaara und stellte Balancen her, zwischen düster drohendem Schlagwerk und tiefen Bläsern auf der einen Seite, und hell malenden, naturverbundenen Streichern auf der anderen. So blieb das Publikum sichtlich beeindruckt von den großen Dynamikauslenkungen und den reichen Klangfarben in Reinveres Werk, während in diese Stimmung hinein Vadim Gluzman die Bühne betreten konnte.

Die Vorahnung über den Charakter des 2. Violinkonzertes von Schostakowitsch beschlich den Saal dann schon merklich, und auch die beteiligten Musiker*innen brauchten wohl weite Teile des ersten Satzes, um in die Interpretation zu finden. Natürlich gibt die Komposition dem Solisten in diesem Abschnitt auch kaum eine andere Möglichkeit, als in dieser bedrückenden Stimmung zu bleiben. Doch dann kam die Kadenz, in der Gluzman dann endlich sein großes Interpretationskönnen freilassen konnte, und einen sehr berührenden und lieblichen Vortrag gab, mit richtiggehend modellierten Tonansätzen und feiner Agogik. Und plötzlich rutschten die Besucher*innen in der Halle auf den Stühlen nach vorne, bis sie auf den Kanten derselben saßen und mit Hochspannung das Geschehen auf der Bühne verfolgten. Das Orchester nahm in der Folge des ersten Satzes die höhere Intensität Gluzmans auf, und begab sich in immer ausgedehntere Spielfreude. Das war dann ein perfekter Ausgangspunkt für den langsamen zweiten Satz. Für die ist Schostakowitsch ja berühmt, und alle Beteiligten setzten hier den ersten zentralen Punkt dieses Abschlusskonzertes.

Juraj Valcuha dirigierte jetzt mit Lust und war sehr investiert, leitete mit weit ausgreifenden Bewegungen das Ensemble, blieb aber immer weich und harmonisch, und ließ dabei dem Solisten genug Raum für die Gestaltung des Konzertes. Zum Ende des Werkes hin trieben sich dann Gluzman und das Orchester gegenseitig voran in einen begeisternden dritten Satz, in dem verschiedene Instrumentengruppen des Ensembles immer wieder schöne Kooperationen eingingen, wobei überraschende Energien freigesetzt wurden. Einmal mehr konnten wir hier eindrucksvoll erfahren wieviel Kraft aber auch Widersprüchlichkeit in Schostakowitschs Musik steckt, aber auch wie gut sich das Violinkonzert dann doch für dieses Abschlusskonzert eignete.
Feuervogel energievoll
Im zweiten Teil bot das Orchester dann den Feuervogel von Igor Strawinsky schön energievoll dar, wobei man sagen kann, dass das Werk schon sehr passend dafür war, die Stärken genau dieses Orchesters auszuspielen, denn das NDR Elbphilharmonieorchester zeichnet sich für mich durch seine hohe Agilität bei Dynamikänderungen aus, und als meine “Crescendokönige” konnten die Musiker*innen so den Feuervogel vortrefflich geniessen. Zusätzlich garnierten die Klarinetten mit ihren warmen Einwürfen und die Hörner mit ihrer perfekt ausgefüllten zentralen Rolle den Vortrag.

Der Dirigent führte das Orchester dabei oftmals mit Bedacht und leichtem Druck aufs Bremspedal durchs Werk, was sich dann in Ravels “La Valse” als letztem Programmpunkt dieses Abschlusskonzertes doch wieder schlagartig änderte, als Valcuha erfrischend theatralisch agierte, und so den besonderen Facettenreichtum dieser Komposition herausarbeitete. So bewegten sich die Beteiligten zwischen sinfonischer Größe und Walzerstimmung schwankend dem Ende dieses für das gesamte Usedomer Musikfestival würdigen Abschlusskonzertes entgegen, und das Publikum spendete ein letztes Mal ausgiebig und begeistert Abschlussapplaus.