Einfach Klassik.

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CD-Review: Eva Zöllner – voces, señales

In der Neuen Musik ist das Akkordeon ein sehr präsentes Instrument. Bietet es durch seine interessante Konstruktion doch viele Möglichkeiten der Klangmanipulation, und der Erforschung neuer musikalischer Wege. Die Akkordeonistin Eva Zöllner hat sich schon seit langem ihren Platz auf dieser Bühne erarbeitet, durch immer neue und interessante Projekte und Kooperationen, zum Beispiel im Zöllner-Roche-Duo zusammen mit der Klarinettistin Heather Roche. Folgerichtig auf diesem Weg veröffentlicht Eva Zöllner nun ihre erste Solo-CD „voces, señales“. Wenn man der Frage nach dem Albumtitel folgt, dann kommt man über die Neue Musik hin zur folkloristischen Tradition des Akkordeons, und hier im Speziellen der lateinamerikanischen. In Kolumbien ist das Instrument populär und an vielen Straßenecken zu hören. Ein logischer Schritt war es da für Eva Zöllner, mal nachzusehen, ob es in einem Land mit so viel Akkordeontradition auch zeitgenössische Verwendung das Instrumentes gibt. 

Klanglandschaften

Und so hat sie Kontakt zu sechs auf dem Album vertretenen Komponist*innen aus dem Land hergestellt um deren Werke umzusetzen. Dabei bleibt das Akkordeon ganz klar Soloinstrument, trotz des meist umfassenden Einsatzes von elektroakustischen Klangquellen und Geräuschkulissen. Tatsächlich nehmen diese Akustikereignisse und Klanglandschaften für mich auf dem Album oftmals die Rolle eines klassischen Orchesters ein, mit dem Eva Zöllner interagiert, und vor dessen Hintergrund sie spielt und handelt. Besonders deutlich wird das in „Posdomingo 02.10.2016“ von Ana Maria Romano. Die Komponistin verarbeitet darin ihre herbe Enttäuschung über eine politische Entwicklung in ihrem Land, dem gescheiterten Referendum zum Friedensabkommen mit der FARC Guerilla-Bewegung. Der Zuspieler baut hier zunächst bedrückend drohende Klangkaskaden auf, bevor dann das Akkordeon als alleinstehendes Soloinstrument mit einsteigt. In der Folge werden auch O-Töne und Klangminiaturen eingestreut, in die sich Eva Zöllner nahtlos integriert, um dann aber wieder daraus hervorzutreten. Mit ihrer in den Möglichkeiten großspektralen Klanggestaltung treibt sie die Unsicherheit und Verzweiflung in Romanos Musik nur noch weiter voran, und geht in kraftvollen Austausch mit den beunruhigenden Klangereignissen im Hintergrund.

Eva Zöllner, Goto © Camo Delgado Aguilera
Eva Zöllner, Foto © Camo Delgado Aguilera

Mit traurigem Couleur geht es weiter in „Canto del ave negra“ von Carolina Noguera Palau, das von einem Lied des Vallentano, der traditionellen Musik lateinamerikanischer Kultur, inspiriert ist. Ein gefangener Vogel betrauert darin seine verlorene Freiheit und Eva Zöllner drückt das in ihrem Spiel eher mit Schwere denn mit klassischer Traurigkeit aus, was in mir gleich die Frage aufwirft, ob Tiere so trauern wie Menschen, oder ob sie es überhaupt tun. Das Akkordeon steht hier ganz allein, passend zum tierischen Hauptakteur, und die Akkordeonistin nutzt den Klangraum auch ganz für sich, weckt Neugierde mit leisen ostinatoähnlichen Schwingungen, und spielt die zweifelnden Melodien in interessanten Dynmikverläufen.

Große Dynamik mit Eva Zöllner

Dynamik ist generell ein wichtiger Aspekt für Eva Zöllner, denn Neue Musik bietet dabei oft weitaus höhere Bandbreite an alls klassische Musik oder umliegende Epochen. 

„Nacido en el Valle, el rio y la montaña“ von Carlos André Rico wendet sich erneut dem Vallentano zu, greift gleich zu Beginn ein musikalisches Thema sehr gegenständlich auf, führt es aber schnell ad absurdum und damit hinüber in die Klangwelt zeitgenössischer Komposition. Generell ist dieser interepochale Transfer Ricos Hauptanliegen in diesem Stück, und Eva Zöllner scheint dabei mit ihrer Erfahrung und Vorbildung in der Ausführung ein Heimspiel zu haben.

Ein richtiger Schatz auf dem Album ist für mich „Brother“ von Natalia Valencia Zuluaga. Es verkörpert den Wunsch nach Menschlichkeit und Empathie in der Gesellschaft der als Folge der problematischen und schmerzhaften Geschichte Kolumbiens erwächst. Eva Zöllner spielt dabei klein und intim, holt mich als Zuhörer näher heran, und schafft es die vielen Sekundintervalle nicht als konflikthaftes Spannungsfeld sondern hoffnungsvoll und zukunftsgerichtet zu spielen. Die hellen, lichtdurchfluteten Harmoniken gegen Ende des Stückes kommen wie gemalte Aquarelle, in denen Dissonanzen zwar starke Gegenpole bilden, aber nie in Düsternis ziehen.

Eva Zöllner, Goto © Camo Delgado Aguilera
Eva Zöllner, Foto © Camo Delgado Aguilera

Und auch das letzte Stück des Albums tut dies nicht. Die Musik in „Un amor, puro e incondicional“ von Jorge Gregorio García Moncada entsteht um die Erzählung der Mutter des Komponisten herum, die von einem Ereignis in der politischen Geschichte Kolumbiens erzählt. Die Ermordung des Politikers Jorge Eliécer Gaitán hatte im Land jahrzehntelange Gewalt zur Folge, und dieses Zeitzeugnis verbindet der Komponist mit dem früher auch durch seine Mutter erlebten Akkordeonspiel. Eva Zöllner wird hier zu einem einzelnen Instrument in der Gesaamtkomposition, tritt als Charakter eher zurück und stellt sich in den Dienst der Geschichtserzählung. Sie bettet ihr Spiel ein in die Frauenstimme und anderen Klangereignisse, und hilft auf diese Weise am besten dabei Einblicke zu erhalten in die reiche Kultur und Geschichte Kolumbiens.

Man muss sich mit diesem Album schon beschäftigen und auseinandersetzen, wenn man das aber tut, dann erfährt man nicht nur erstaunliche Tatsachen aus einem anderen Kulturkreis, man kommt in Kontakt mit den unterschiedlichen Gefühlswelten eines anderen Volkes, sowie den Durchlässigkeiten und Wechselwirkungen verschiedener musikalischer Epochen.

Titelfoto: Eva Zöllner, Foto © Camo Delgado Aguilera

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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