Prolog
Viele Menschen die ich kenne haben eine besondere Beziehung zur Musik Johann Sebastian Bachs. So auch ich. Ich höre sie mit Hingabe und ehrfurchtsvoller Freude, ich könnte meiner Freundin stundenlang zuhören, wenn sie Bach spielt. Aber Bach am Klavier selbst spielen scheint für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Während ich mit einigen Scarlatti Sonaten ganz gut zurecht komme, fordern mir selbst die einfachsten Stücke des großen Meisters mehr als alles ab. Nicht von ungefähr spricht mich also die heute besprochene CD sehr an.
Jedes Exemplar einer Veröffentlichungsreihe in einem Blog einzeln zu besprechen braucht schon sehr gute Gründe. “When The Violin” ist eine als Trilogie geplante Gesamtveröffentlichung des Geigers Vijay Gupta, dessen ersten Teil ich bereits beschrieben habe. Dort findet man auch mehr Information über Gupta, die ich hier nicht wiederholen möchte.
When The Violin – Teil zwei
Was ich dagegen nicht oft genug erzählen kann, sind die gewichtigen Gründe dafür, warum ich das Schaffen des erfahrenen Musikers so unterstützenswert finde. Vijay Gupta produziert und verkauft die Aufnahmen dieser Reihe selbst. Eine Plattenfirma scheint nicht beteiligt zu sein. Er konzipiert die Alben um die Violinsonaten von Bach herum – auf “Transcendent Night” Sonate Nummer zwei, und fügt ein modernes Werk hinzu, in diesem Fall “Nocturne” von Kaija Saariaho, eine Hommage an ihren Lehrer Witold Lutoslwaski. Und es würde noch ein wichtiger Teil fehlen, würde er nicht auch ein Stück von seiner Frau, der Komponistin Reena Esmail spielen, über die ich nun auch schon oft geschrieben habe. Die Eheleute bilden ein Künstler*innen-Duo, das die klassische Musik unserer Zeit gleichzeitig prägt, gestaltet und auch perfekt abbildet. Und das sind für mich mit die wichtigsten Impulse, durch die die Geschichte klassischer Musik heute weiter geschrieben wird.
Für dieses Album wählte der Geiger “Darshan: Bihag”, den ersten Satz aus Esmails “Darshan”, den sie im hindustanischen Rag Bihag gesetzt hat.
Aber, da gibt es noch ein weiteres Konzeptionselement, an das Gupta die Struktur seines zweiten Albums geheftet hat, das Gedicht “Als ich schlief letzte Nacht” des spanischen Dichters Antonio Machado, in dem es um persönliche Fehler geht, und was durch Vergebung später noch Positives aus ihnen entstehen kann. Ein wiederkehrendes Thema in Guptas Schaffen, und wohl auch bei jedem wachen Individuum, das ein Menschenleben durchläuft.
Im “Nocturne” spielt sich der Geiger mit Interpretationslust durch die vielen, modernen Spieltechniken, und zeigt gleichzeitig die Fragilität dieser Komposition auf. Federleicht gestrichene, gläserne Töne lässt er lange bestehen, ohne sie verschwinden zu lassen. Die Wahl als erstes Stück auf dem Album halte ich für eine schöne Öffnungsmöglichkeit der Hörenden für Neue Musik.
Persönlicher Weg
Im Hauptwerk, der zweiten Violinsonate von Bach, geht Gupta immer weiter seinen ganz persönlichen Weg, die drei Sonaten umzusetzen. Bei dieser Aufnahme hat er einen Barockbogen verwendet. Nicht dass mir der Unterschied direkt auffallen würde, insgesamt ist die Entscheidung aber ein Beitrag dafür, dass er das Werk mit so tief entwickelter Interpretation präsentieren kann. Der Geiger scheint besonderen Wert auf die Besonderheiten dieser Sonate zu legen, und führt die weit gefassten Verzierungen im Grave mit Bedacht und Betonung aus. Das ermöglicht es ihm, diese ganz besondere Atmosphäre gleich zu Beginn des Werks zu etablieren, auch mithilfe der kunstvoll modellierten Lautstärkeverläufe in langen Noten.
In der Fuge dreht sich eigentlich alles um kompositorische Struktur. Dieser grundlegenden Anforderung an diesen Satz ist Vijay Gupta aber längst entwachsen, und beschäftigt sich lieber damit, die Musik trotz und mit den technischen Mechaniken und Gerüsten sehr erzählend darzubieten. Dafür setzt er ganz bewusst wohl dosierte, aber nicht unbemerkt gebliebene Agogik ein, mit der er sein eigenes Tempo durch die Noten findet.
Mit am meisten bei Guptas Aufnahmen beeindruckt mich seine eigene Agenda in der Planung seiner Darbietung. Das “Andante” ist viel gepriesen wegen seiner Schönheit und seines Anmuts. Vijay Gupta wird diesem Ruf in seinem Spiel gerecht, trifft aber trotzdem stets seine eigenen Entscheidungen über die Ausführung von Details, wenn er einzelne Noten in der Lautstärke überraschend weit zurück nimmt, oder Notenlängen wieder merklich mit Agogik versieht.
Zauberhafter Abschluss
Fans von Esmails Musik kennen “Darshan”. Es, oder Teile davon von Gupta gespielt zu hören ist immer ein großes Vergnügen. Es ist fast ein wenig, als käme der Vortrag direkt vom Erzeuger. Mit seiner einfühlsamen Artikulation entführt uns der Geiger tief in die Welt der Rags, deren atmosphärische Erscheinung noch gefestigt wird von den vielen Glissandi, die Gupta mit höchst präzise geplanten, zeitlichen Verläufen spielt, ein zauberhafter Abschluss für das Album.
Insgesamt ist “Transcendent Night” ein wunderbarer, starker zweiter Teil in der Reihe, dessen Hörgenuss der bei lautem Hören erstaunlich prominente Grundrauschpegel nicht wirklich schmälern kann.