Einfach Klassik.

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Shorena Tsintsabadze Cover.

CD Review: Shorena Tsintsabadze – Georgian Project

Die georgische Pianistin Shorena Tsintsabadze erfuhr ihre musikalische Ausbildung hauptsächlich in Moskau, baute danach ihre Karriere weiter in den USA auf und kehrte schließlich in ihr Heimatland zurück. Dort fühlt sie sich künstlerisch am meisten gebraucht. Vielfältig ist ihr Engagement für das heimische Musikleben: Sie organisiert Festivals und macht sich als Förderin wichtiger musikpädagogischer Einrichtungen verdient. Aber dies schließt eine unermüdliche Konzerttätigkeit und regelmäßige, durchdacht konzipierte CD-Produktionen keineswegs aus. Da schien es eine Frage der Zeit, bis eine repräsentative Gesamtschau der georgischen Komponistenszene aus Geschichte und Gegenwart auf einem Tonträger für das Label ARS erscheinen würde. 

Shorena Tsintsabadze – Traditionsbewusstsein gepaart mit Weltoffenheit 

Das Spektrum auf der jetzt vorliegenden CD „Georgian Project“ reicht von tief verwurzelten Traditionen in der Volksmusik bis hin zu modernen Einflüssen, Filmmusik und sogar Jazz. Denn das kommt heraus, wenn sich georgische Komponisten seit dem 19. Jahrhundert aus jahrtausendealten kulturellen Praktiken, Folklore und orthodoxem Gesang bedienten und die Musik zugleich immer auch eine Art Echokammer für aktuelle Strömungen aus der ganzen Welt blieb.Shorena Tsintsabadze weiß bestens, wie man darauf eine abwechslungsreiche Dramaturgie für einen Tonträger baut: Zakharia Paliashvilis „Elegy“ aus dem Jahr 1922 entfaltet sich wie ein sanfter, schwelgerischer Traum. Paliashvili, bekannt für seine emotionalen Kompositionen, reflektiert in diesem Stück eine tiefe persönliche Trauer. Tsintsabadze arbeitet diese zarte Melancholie mit viel Feingefühl heraus, was viel schwebende Eleganz freisetzt.

Shorena Tsintsabadze

Ganz anders geht Aleksi Machavarianis „Khorumi“ aus dem Jahr 1939 zu Werke. So geht es, einen traditionellen georgischen Kampftanz musikalisch abzubilden. Tsintsabadze weiß, den stürmischen 5/8-Takt dieser rituellen und dissonanzenreichen Musik mit entsprechend viel Energie aufzuladen. Noch mehr musikalische Dramatik füllt in Revaz Lagidzes „Rondo Toccata“ den Hörraum. Da stürzen die Tonskaskaden herab, und die Fallhöhe zwischen glitzernden Höhen und tiefschwarzem Bass ist immens. Einen meditativen Ruheraum bietet daraufhin Otar Taktakishvilis „Poem“. Diese zarte Elegie verlangt nach Innehalten und lädt zur Introspektion ein – Minimalismus als hohe Kunst, mit wenigen Tönen umso mehr Tiefe zu erzeugen.

In Otar Taktakishvilis „Poem“ lässt Shorena Tsintsabadze mit feiner Sensibilität die kontemplative Stimmung des Werkes intensiv zur Geltung kommen. Ein energetischer Parforceritt ist danach wieder Sulkhan Tsintsadzes „Prelude Nr. 6 in B Minor“, wo die kraftvolle, zugleich rhythmisch präzise Ausführung den Puls des Zuhörers wieder in die Höhe treibt. Hellere Farben leuchten auf in Bidzina Kvernadzes „Musical Moment Nr. 2“ – ebenso wie jazzharmonische Elemente. Etwas nostalgisch geht es weiter, denn Vazha Azarashvilis Stück heißt auch „Nostalgia“, in dem ruhig auch mal etwas Sentimentalität gestattet sei, um in vergangene Erinnerungen einzutauchen.

Theater als politisches Statement

Ein großer Themenblock widmet sich dem Œuvre von Giya Kancheli, vor allem seinen Film- und Theatermusiken und so etwas hat in der bewegten Geschichte des Landes auch politisches Gewicht. Nicht nur zu Sowjetzeiten, sondern auch schon viel früher war ein freies kulturelles Leben in Georgien mit Herausforderungen verbunden. Schon im 19. Jahrhundert versuchte das Russische Reich die georgische Sprache aus dem öffentlichen Leben zu verbannen wodurch schon ein Bekenntnis zur eigenen Sprache zu einem mutigen Akt des Widerstands wurde. Später machte eine Inszenierung von „König Lear“ durch Robert Sturua im Jahr 1986 Geschichte, wie überhaupt Aufführungen von Shakespeares Werken oft zum Symbol für einen Kampf gegen Unterdrückung wurden – auch und vor allem gegen Unterdrückungstenzenden seitens einer allmählich zerfallenden Sowjetunion. Kancheli hat eine Vielzahl von Theatermusiken geschaffen, neben Shakespeare waren auch viele Brecht-Aufführungen ein Lieblingsthema. Nicht weniger als 23 Miniaturen aus diesen Schaffens-Kontexten hat Shorena Tsintsabadze für die vorliegende Aufnahme ausgewählt.

Shorena Tsintsabadze
Shorena Tsintsabadze

Zum Finale des Programms darf ausschweifend gefeiert werden in Sandro Nebieridzes Stück „Allegroba“, einem aktuellen Auftragswerk für dieses Projekt, bei dem im übrigen der Komponist selbst einen zweiten Klavierpart übernimmt. Das Stück wirft mit wilden Cluster-Klängen um sich, stürmt hitzig voran und reibt die Töne in Dissonanzen aneinander, schöpft dabei auch aus dem Freigeist des Jazz. Das alles dürfte Programm sein: „Allegroba“, ist nach einem Fest benannt, das die regionale Identität in der georgischen Region Guria feiert und fröhlich-wütend ein Bekenntnis dazu artikuliert. Klingendes Fazit: Hier lässt sich wohl niemand durch irgendetwas unterkriegen. Tsintsabadze zelebriert auch so etwas mit Bravour und Verve. 

Überhaupt ist die pianistische Einlösung dieser Demonstrationen kulturellen Reichtums mal wieder untadelig gelungen. So viel Temperament hier alle Dämme bricht, so wirkt alles stets kontrolliert und fokussiert ganz im Dienst des jeweiligen Stückes. Shoreena Tsintsabadze geht dabei so gestalterisch variabel zu Sache, dass sie immer wieder scheinbar mühelos, das Ruder herumreißt, um von einem pianistischen Zustand in einen anderen zu wechseln. Auch das tut dem kurzweiligen, „Entdecker-Programm“ auf dieser CD ausgesprochen gut. 

Zum tieferen Verständnis sämtlicher Hintergründe trägt zudem ein sehr ausführlicher Booklettext bei, den die Pianistin wieder selbst verfasst hat.

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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