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Einfach Klassik.

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Das Ligeti-Experiment in der Kölner Philharmonie

In der Kölner Philharmonie zog das WDR-Sinfonieorchester ein junges Publikum erfolgreich in die Wunderwelt von drei verschiedenen Kompositionen des György Ligeti hinein. Das Ligeti-Experiment anlässlich des 100. Geburtstages dieses Komponisten hatte unter Beteiligung der Folkwang-Universität und der Kölner Hochschule für Musik und Tanz im Vorfeld des Konzertabends mit vier verschiedenen Schulen kooperiert, um junge Menschen neugierig zu machen. Die Veranstaltung fand im Rahmen der deutschlandweiten ARD-Woche der Musik statt.

György Ligeti wäre im Mai dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Einige seiner Musikstücke haben heute Kultstatus. Dem großen Teil seines umfangreichen Werkes geht es aber wie vielen anderen, richtungsweisenden musikalischen Großtaten des 20. Jahrhunderts: Sie werden vom konventionellen „Klassikbetrieb“ allenfalls mal am Rande gewürdigt, wo viele Programmverantwortliche von Angst geplagt sind, ihr Publikum möglicherweise zu vergraulen oder zu vertreiben. Wie aufregend und auch unterhaltend die Welt jenseits von Dur und Moll auch für die spotify-Generation sein kann, demonstrierte das Ligeti-Eperiment durch tatkräftige Projektarbeit: Kleine Ensembles hatten in den Schulen Ligetis Werke aufgeführt. In Projektgruppen setzten sich die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Aspekten aus Leben und dieses wichtigen Komponisten auseinander. Beim Konzert in der Kölner Philharmonie ging die Rechnung schließlich auf: Die Ränge waren gefüllt mit Menschen, deren Durchschnittsalter eher 20 und nicht 60 plus war. 

Diverse Filme wären nichts ohne Ligetis Musik 

Cineasten kennen Ligetis Musik oft sogar eher als den Komponisten selbst. Für die Film-Meisterwerke von Stanley Kubrick wie „2001“, „Eyes Wide Shot“ oder „Shining“ sorgen sie für atmosphärische Grundsubstanz. Aber Györgi Ligeti, der von 1923 bis 2006 lebte, steht für noch so viel mehr. Keine Frage, dass bei einem Kölner Konzert vor allem dessen Bezüge zu dieser Stadt im Vordergrund stehen. Ligeti kam mit wenig Geld in die Domstadt, lebte spartanisch und stellte alles in seinen Dienst am musikalischen Fortschritt, trieb voller Leidenschaft die Arbeit des legendären Studios für elektronische Musik vor – und hat phasenweise mal bei Karl-Heinz Stockhausen gewohnt. Das Verhältnis zwischen den beiden Neutönern war nicht frei von Spannungen, später hat Stockhausen den Ungarn – vermutlich aus konkurrenzbehafteter Eitelkeit heraus – wieder aus Köln vertrieben, so dass es ihn schließlich nach Wien verschlug. 

Sarah Aristidou, Foto © Stefan Pieper
Sarah Aristidou, Foto © Stefan Pieper

Die Moderation von Johannes Büchs leistet das, was sie soll: Eine greifbare, spannende Story aus der endlosen Flut biografischer Daten herauskristallisieren. So etwas macht neugierig. Und so geht praktische Musikvermittlung, wie es neuerdings auch einen genauso heißenden Studiengang gibt, an der Essener Folkwang- Hochschule sowie an der der Kölner HfMT. 

Erfahrungsräume jenseits des musikalischen Alltagsbewusstseins 

Zur Musik an diesem Abend und ihrer Wirkung aufs junge Publikum: Drei Werke von Ligeti stellten drei ganz verschiedene Säulen im Schaffen des ungarischen Komponisten heraus. Mit „Lontano“ präsentierte das WDR-Sinfonieorchester eines der ambitioniertesten Klangkompositionen. Mit weit gespannten Flächen, die alle mehr oder weniger aus einem einzigen Ton hervorgehen, sich dabei immer weiter ausbreiten und verästeln. Ein idealer Opener, um damit Ohren und Fantasie beim Publikum zu öffnen. Roderick Cox hat das Orchester souverän im Griff. Mit disziplinierter Präzision schichten die Radiosymphoniker die Klangebenen übereinander. Das zieht hinein in Tiefen weit jenseits des musikalischen Alltagsbewusssteins. Das Staunen darüber sorgte dann auch für Beifallsstürme in der Essener Philharmonie. Und passierte noch mehr um die reine Musikaufführung herum: Nach der Aufführung nahmen die Beteiligten das Innenleben der Komposition didaktisch unter die Lupe. Hinter der überwältigenden suggestiven Wirkung, stehen zahllose funktionale Details, die an sich schon spektakulär sind: Etwa die unfassbare Konzentrationsleistung des Bassklarinettisten, der über 30 Sekunden mit einem einzigen Luftzug einen Ton an der Grenze zur Hörschwelle spielt. Auch gibt es zahllose Klangmanipulationen, die eben später dieses unvergleichliche Ganze bilden, in dem ein feines Netzwerk von kleinsten intervallischen Schwebungen den Begriff der Mikropolyphonie prägte. 

Die Volksmusik Osteuropas wurde zum Nährboden

Ligeti stammte aus Siebenbürgen und hat ähnlich wie Béla Bartók die Volksmusik indigener Kulturen dokumentiert. Das alles fließt hinein in sein Concerto Romanesc, welches das WDR-Sinfonieorchester klanggewaltig und tänzerisch beschwingt nach vorne gehend musizierte. Dadurch blühte eine große Vielseitigkeit von in die Zukunft blickenden Strukturen aber es lebt auch eine bezaubernde, tiefempfundene Fantasie. Fantasie wirkte in der Kölner Philharmonie auch in Synergie mit anderen Kunstformen: Zu den aufblühenden und manchmal filigranen Klängen praktizierte die Künstlerin Iryna Bilenka-Chaplin eine Echtzeit-Sandmalerei, die – abgefilmt und hoch über der Bühne projiziert – das Gehörte mit ornamentalen Strukturen visualisierte, aber auch poetische Bilder aus dem Leben von György Ligeti in den feinen Sand zeichnete. 

Das Ligeti-Experiment, Foto © Stefan Pieper
Das Ligeti-Experiment, Foto © Stefan Pieper

Adenauer hat`s verboten…

Wer von Ligeti redet, ist auch schnell bei Béla Bartók, denn dieser war ein großes Vorbild. Bartóks Kompositionen gehören ebenfalls nicht zu den „Hits“ im Konzertrepertoire. Seine Ballettmusik vom „Wunderbaren Mandarin“ wurde im Jahr 1928 in Köln uraufgeführt. Der damalige Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer verbot dann weitere Aufführungen des Werks. Bestand Gefahr, dass die rauschhafte Musik oder die etwas skandalträchtige Story voller Sex and Crime die Menschen zu sehr vom Pfad des bürgerlichen Anstands, für den Adenauer später zur Symbolfigur sollte, wegtrieb? Wie dem auch sei: Auch Bartóks Orchestersuite, die aus diesem Ballet hervorging, ist weit voraus mit ihrer kühnen Harmonik und ihren Collagenverfahren, in denen impressionistische Klangverführungen von greller, treibender Exstase abgelöst werden. Und ja: Das WDR-Sinfonieorchester hätte durchaus noch tiefer in die vielen Facetten eintauchen können, in denen sich die ganze Radikalität dieses Werkes entschließt. So wirkte dieses Werk doch etwas zaghafter, als es eigentlich gemeint ist. Hier geht noch mehr. 

Ästhetische Widerständigkeit mit groteskem Spaßfaktor

Sollte vielleicht noch etwas Energie aufgespart werden für das furiose, irgendwie auch groteske Finale? Hier sind wir wieder bei Ligeti und zwar bei seiner einzigen Oper „Le Grand Macabre“, die auf jeden Fall genug ästhetische Widerständigkeit transportiert und aus welcher unter dem Titel „Mysteries of the Macabre“ ein konzertantes zweisätziges Exzerpt zur Aufführung kam. Musik und Inhalt dieses einzigen Bühnenwerks des gefeierten Komponisten wirken in jedem Moment wie eine Attacke auf alles, was wohlgeordnet sein möchte – vielleicht hätte Adenauer auch dieses Werk gerne verboten, wenn er im Jahr der Uraufführung 1996 noch gelebt hätte. Die Handlung, wenn man die absurden und obsessiven Aktionen in dieser Oper überhaupt so bezeichnen kann, finden statt in einem imaginären Land, wo merkwürdige Herrscherfiguren bizarre Praktiken ausüben. Endzeitstimmung, Sarkasmus, absurder Humor, aber auch böse satirische Herrschaftskritik gehen miteinander einher. All dies bündelte sich im extremen, an dadaistische Lautpoesie erinnerenden Koloraturgesang von Sarah Aristidou, die in groteskem Schockästhetik-Clownsoutfit auftrat und mit ihrer halsbrecherische Stimmakrobatik den perkussivven Impulsen, überkochenden Klangeruptionen und Elementen aus comicartiger Filmmusik Paroli bot.

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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