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Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Instrumentales und Vokales beim Usedomer Musikfestival

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

Große Sinfonik, facettenreiche Folklore und viel Kammermusik, eine musikalische Inselrundfahrt, Musikalisch-Literarisches zu Rachmaninow (150. Geburtstag), ein Preisträgerkonzert der regionalen Musikschulen Wolgast-Anklam, Uecker-Randow und Greifswald („Jugend musiziert“) sowie ein Liederabend mit dem Gewinner des Wettbewerbs Young Concert Artists in New York  – das bisherige Programm des Usedomer Musikfestivals bleibt sich hinsichtlich programmatischer Vielfalt treu; neugierig machende Kontrastangebote – wie aus Gesagtem unschwer zu ersehen – inbegriffen! Selbst dabei aber blieb es nicht. Richten wir den Blick noch einmal auf David Geringas, der, wie jedes Jahr, mit einem Kammermusikabend seinen traditionellen, meist etwa einwöchigen Meisterkurs für junge Cellist*innen auf Schloss Stolpe eröffnete. Geringas ist hier seit langem Kult, Stolpe ebenso. Als Lehen Gerhards von Schwerin schon 1251 erwähnt, im 16. Jahrhundert mit einem Renaissance-Schloss versehen und (im baulichen Zustand von 1910) seit 2001 schrittweise denkmalgerecht saniert, ist das Schloss im Herbst jährlicher Treffpunkt einer großen, stabilen Geringas-Gemeinde. So auch am 22. September. Der Saal randvoll, die Erwartungen hoch, den Fans jeder Ton einen Applaus wert! Der Meister und Ian Fountain am Flügel starteten mit einem eher unterhaltsamen Verwöhn-und Wohlfühlprogramm. Das bezog sich auf Lieder und Romanzen von Mendelssohn-Bartholdy, Wagner, Tschaikowski, Jāzeps Medinš und Karl Davidow, ehe mit Kodálys Cellosonate op. 4 ein deutlich konzertanterer Charakter in den Mittelpunkt rückte. Der 2. Teil des Programms bestätigte dies mit dem Cello-Solo-Stück „Das Buch“ von Pēteris Vasks und dem Brahmsschen Klarinettentrio op. 114.

David Geringas, Ian Fountain und Ints Dalderis, Foto © Geert Maciejewski
David Geringas, Ian Fountain und Ints Dalderis, Foto © Geert Maciejewski

Mithin insgesamt eine stilistisch attraktive Gratwanderung. Sie begann mit klangschöner, durchweg romantischer Unterhaltsamkeit und ließ – durchaus kontrastierend – ungarische, folkoristisch orientierte Moderne (1909/1910) folgen – wahrlich spannend, klanglich höchst kontrastreich und fesselnd. Fortsetzung dann mit dem lettischen Komponisten, der höchst unorthodoxe Spielweisen, dissonante Härten und energische Aggressivität ebenso zu kultuvieren weiß, wie mit Glissandi und Flageoletts sowie gesungenen Vokalisen arbeitende Klangspären des fast schon Unirdischen. Das Finale dann mit Brahmsscher klanglich herber Altersstrenge, liedhafter Schlichtheit und so gar nicht altersmüde scheinender Kraftentfaltung und Wirkungsmächtigkeit. Dies alles herzhaft, mit viel Agogik, feiner Dynamik und wohl bevorzugtem al-fresco-Stil ins fesselnd Große. Und einem Klarinettisten, dem man auf Usedom schon früher begegnete, damals allerdings als Kultusminister Lettlands: Ints Dalderis. Heute nun als sein Instrument virtuos handhabender Klarinettist. 

Es sei in diesem Zusammenhang ergänzt, dass Geringas Tage später ein weiteres mal beim Usedomer Musikfestival in Erscheinung trat. Diesmal „nur“ mittelbar, als „Chef“ eines Konzerts mit den Teilnehmer*innen seines diesjährigen Meisterkurses (26. 9.). Auch dies eine Veranstaltung auf Schloss Stolpe mit größtem Publikumszuspruch. Geschuldet dem besonderen Reiz, jungen, teils noch ganz jungen Musiker*innen auf bestimmten Wegstrecken ihrer Karriere zu begegnen, sich dabei ein Bild vielfältiger, auch schon recht individueller Gestaltungsabsichten machen zu können und diese dann auch noch als zumeist künstlerisch beeindruckend zu erleben. So auch diesmal, was hier an folgendem Programm festgemacht wurde: Acht Kursteilnehmer*innen (international) musizierten Sätze von Haydn (D-Dur und C-Dur-Konzert), Schumann (a-Moll-Konzert), Schostakowitsch (2. Konzert, Sonate), Rachmaninow (g-Moll-Sonate), Solina (Prelude), Gusev (Calypso, Uraufführung) und Rostropowitsch (Humoreske op. 5).

David Geringas, Ian Fountain und Ints Dalderis, Foto © Geert Maciejewski
David Geringas, Ian Fountain und Ints Dalderis, Foto © Geert Maciejewski

Zwischen solcherart massiven Cello-Hochburgen gab es aber auch ganz andere Töne: vokale, leisere, intime, konfessionell gebundene. In der Evangelischen Kirche Krummin, malerisch am Achterwasser gelegene ehemalige Zisterzienserinnen-Klosterkirche aus dem 14. Jahrhundert, gastierte die SCHOLA CANTORUM RIGA. Ihr Gründer und Leiter seit mehr als zwei Jahrzehnten: Guntars Prānis, Professor und Rektor der Jāzeps Vītols Latvian Academy of Musik in Riga, auch international gefragter Spezialist für mittlalterliche Musik; und nicht nur die Lettlands. Dem entsprach auch die Programmauswahl, die vor allem gregorianische Gesänge und Beispiele spätmittelalterlichen polyphonen Repertoires berücksichtigte. Das reichte (mit Beispielen) vom Sequenziar eines Notker Balbulus (9. Jh.) über Codices, Antiphonare sowie andere Sammlungen bis in das 15. Jahrhundert und betraf Quellen aus Cambrai, Limoges, St. Maur des-Fosses, Paris, Lund und Riga. Eine Zeitreise also, in der musikpraktisches Musizieren in ihrer ganzen Vielfalt zu beobachten war: von der Ein- bis zur Dreistimmigkeit, im Wechsel von Vorsänger und Chor, im antiphonarischen Gegenüber und – nicht zuletzt – im unüberhörbaren Wandel von Klangvorstellungen; etwa der mit den Zeiten zunehmenden „Melodisierung“ der Einzelstimmen und den Anfängen harmonischen Denkens. Ein besonderer Akzent: die Benutzung von Drehleier und Handtrommel, gelegentlich auch die eines Glöckchens. Zur Ausführung nur soviel: ein kompetenes, souverän die mittelalterliche Gesangspraxis beherrschendes Männerseptett!  

Musik vorwiegend der Stille, der inneren Sammlung, der Meditation in dazu sehr passender Umgebung – ein attraktiver Kontrapunkt im Gesamtprogramm des Usedomer Musikfestival.

Titelfoto @ Geert Maciejewski

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