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Einfach Klassik.

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Von Mozart bis Ligeti – Festspiele MV auf Rügen

Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs

Mit Mozart, Haydn, Strauss, Brahms und Britten – die beiden Letzteren zumindest in einer Bearbeitung oder in  Auszügen –  sowie nordischer Folklore hatte sich das Danish String Quartet schon in den ersten Tagen des Festspielfrühlings 2024 der Festspiele MV auf Rügen als breit aufgestellt und von hinreißend musikantischer Stringenz erwiesen. Mit zwei weiteren, unterschiedlich besetzten Konzerten konnten weitere, sehr kontrastreiche Akzente gesetzt werden. Eher traditionell das erste mit Mozart (Divertimento F-Dur KV 138 (125c), Schubert (Streichquintett C-Dur op. posth. 163 D 956) und einem „Ausreißer“ in die klassische Moderne, nämlich Dmitri Schostakowitschs 7. Streichquartett (fis-Moll op. 108), das zweite dann sehr unorthodox  mit einem ausschließlich dem Komponisten György Ligeti gewidmeten Programm. 

Die konträren Reibungspunkte liegen auf der Hand. Sie scheinen nicht unvereinbar; auch wenn hinsichtlich gravierender Unterschiede etwa im Material, seiner Verarbeitung und der zwangsläufig sehr verschiedenen Stilistik Welten zu liegen scheinen. Denn deutlich wird in allen Fällen der musiksprachlich natürlich jeweils unterschiedliche, stets aber unüberhörbare Drang zu einer den Hörer mitnehmenden Ausdrucksmusik. 

6 von insgesamt 100 Metronomen, Foto © Oliver Borchert
6 von insgesamt 100 Metronomen, Foto © Oliver Borchert

Bei Mozart natürlich sowieso. Sein nicht zu unterschätzendes Divertimento – auch in Streichorchesterfassung bekannt – ist schon so etwas wie ein „Ohrwurm“ und kam unter den Händen der vier musizierfreudigen Dänen entsprechend inspiriert, will heißen mit Spielwitz, Charme, auch rustikal oder – im langsamen Satz – mit empfindungsintensiver Tongebung „zur Sprache.“ Dann ein Schubert, dem Robert Schumann, hätte er nicht nur die große C-Dur-Sinfonie, sondern auch dieses Werk gekannt, die gleichen „himmlischen Längen“ zugestanden haben dürfte.  In der Gutskapelle Boldevitz gab es sie also: eine 55- Minuten-Wanderung durch abwechslungsreichste, oft nur scheinbar  unproblematische seelische „Landschaften“, die den Hörer mental schon mal gewaltig durchrütteln konnten. Ein Schubert, der immer wieder Staunen macht und als Gattungsbeleg für das Streichquintett (mit 2. Cello!) im 19. Jahrhundert ohne Beispiel ist. Und mächtig unter die Haut geht! Besonders dann, wenn er, wie beim Spiel des Danish String Quartets, so unmittelbar, ja elementar gerät. 

Nicholas Swensen, Foto © Oliver Borchert
Nicholas Swensen, Foto © Oliver Borchert

Musiziefreudige Entspannung einerseits (Mozart) und hochproblematisiertes Künstlertum andererseits (Schubert) umrahmten ein Werk Schostakowitschs, das kaum weniger Ausdruck höchst individualisierten Komponierens ist. Das 7. Streichquartett entstand 1960 und ist dem Gedenken an Schostakowitschs erste Ehefrau, Nina Wasiljewa, gewidmet. Von nur wenig über zehn Minuten Dauer, fällt das dreisätzige, attacca durchkomponierte Werk durch seinen dominanten lakonischen Grundgestus auf, der gleichwohl auch die intensive (klagende?!) Melodie (Mittelsatz) kennt, wie die bestürzende Rasanz einer finalen Fuge. Eine gewisse Monotonie und die teils klangkarge Konzentriertheit des Ganzen, die Widmung und ein Verebben des Werkes im „morendo“ legen, wenn nicht gar einen tragischen, so doch schmerzlich-erinnerungsträchtigen  Grundcharakter nahe. Es gibt allerdings auch Autoren, die das Werk als „heiter“ einordnen.Für die Interpreten des Abends schien Letzteres nicht zuzutreffen. Ihnen gelang eine hochkonzentrierte, durchaus eigenwillig atmosphärisch intendierte Aufführung von intensivster, sehr schnörkelloser  Klanglichkeit. Berührend! Vor allem (und vielleicht nur!) dann, wenn man als Hörer den Bedeutungshintergrund kennt. Nicht nur den dieses speziellen Werkes, sondern den Schostakowitschs als einer von sehr eigenwilliger Sprache und diversen Zeitgeisten – vor allem auch politischen – geprägten, schwierigen und ungemein ambivalenten Komponistenpersönlichkeit.

Nicholas Swenson, Fredrik Schøyen Sjölin, Petya Hristova, Foto © Oliver Borchert
Nicholas Swenson, Fredrik Schøyen Sjölin, Petya Hristova, Foto © Oliver Borchert

Wie anders Leben und Werk György Ligetis. Die Festspiele MV hatten den Mut, diesem in Ungarn geborenen und nach den dortigen Ereignissen von 1956 in den Westen geflohenen, ungemein anregenden, ja prägenden Großmeister Neuer Musik eine eigene Veranstaltung zu widmen. Auch wenn diese nur eine knappe Stunde dauerte und – mit einer Ausnahme –  „nur“ solistische Kammermusik bot. Benannte Ausnahme war so unorthodox wie der Raum ihrer Präsentation: das La Grange in Bergen auf Rügen, eine Industriebrache, wieder nutzbar gemacht und heute soziokulturelles Zentrum eines Vereins. Der Nachmittag begann mit dem Poéme Symphonique, einem „Musikalischen Zeremoniell  für 100 Metronome! Die Uraufführung am 13. September 1963 in Hilversum geriet zum Skandal. Aber was heißt das heute schon. Den Festspielen MV war es jedenfalls tatsächlich gelungen, diese Anzahl von Metronomen zu beschaffen (Aufruf zur zeitweisen Überlassung!  ) und ein sehr neugieriges Publikum mit ca. 14-minütigem gleichzeitiig begonnen Ticken zu konfrontieren: das geriet erst massiv, dann immer leiser werdend, bis schießlich ein einsames Gerät übrig blieb – und dann auch verstummte. Musik ist das eher nicht, aber Divergenzen, Übereinstimmungen, Klangunterschiede und -veränderungen, selbst Klangstrukturen lassen sich aus solcherart Geräuschkomplex schon heraushören. Das übrige Programm bestsand aus Einzelsätzen dreier zyklischer Werke: der Solosonate für Viola (1991-1994), der Solosonate für Violoncello (Frühwerk) und dem 1lteiligen Klavierzyklus Musica ricercata (1951-1953). Jenseits analytischer Anmerkungen, die bei Ligetis faible für geradezu unglaublich differenziert Durchdachtes  immer sehr naheliegen, sei hier doch der allen Stücken immanente und nicht zuletzt in unüberhörbaren Traditionsbindungen deutliche Ausdruckswille dieser Musik hervorgehoben: musiksprachlich natürlich eigengeprägt, unterschiedlich in Stil und spieltechnischem Anspruch, aber immer vorhanden!  Auch mit dem (legalen) Anspruch, sich Wege zu dieser Musik erarbeiten zu sollen. Sicher, der „eigentliche“ Ligeti äußert sich eher in anderen, großbesetzten Kompositionen, aber eine spezifische Art, sich auszudrücken, blieb auch hier immer spürbar. Sie zu kennen kann unbedingt eine Bereicherung sein. Zumal dann, wenn diese Musik so engagiert interpretiert wird: Bewundernswert etwa der vielbeschäftigte und wahre Schwerstarbeit leistende Bratschist Nicholas Swensen; ihm zur Seite Fredrik Schøyen Sjölin, Cellist des Danish String Quartets, und die Pianistin Petya Hristova. 

Schon cool, was die Festspiele MV so alles drauf haben! Und sie können sich sicher sein, auch bei ungewöhnlichsten Produktionen stets ein aufmerksames und vor allem unvoreingenommenes Publikum zu haben. Ein Glücksfall, denn auch hier: gewaltiger Beifall!   

Titelfoto © Oliver Borchert

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