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Einfach Klassik.

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Irene Kurka – Singing Future Ausgabe 3

Ein Gastbeitrag von Petra Hedler

Bereits zum dritten Mal lud die Düsseldorfer Sopranistin Irene Kurka zu ihrem kleinen Vokal-Festival Singing Future in die Neanderkirche und diesmal stand die schwesterliche Verbindung von Musik und Lyrik im Zentrum. Zum Auftakt erklang eine Uraufführung von Shadi Kassaee mit dem Titel Nebeneinander gehen und dieser Titel erwies sich als programmatisch für die gesamte Veranstaltung. Manchmal kann das Nebeneinandergehen eine intensivere und intimere Begegnung ermöglichen als die direkte Gegenüberstellung, denn es entsteht Raum für ein Dazwischen, für Auslassungen und Pausen, für unterschwellige, unausgesprochene und unaussprechbare Verzweigungen und Verknüpfungen, und genau das geschah an diesem Abend. 

Kassaee verwendet einen Text der Lyrikerin Marie T. Martin, die im Verlauf des Programms mit mehreren Gedichten präsent war und auch im Fokus der zweiten Uraufführung stand. In ihrem neuen Werk lässt die deutsch-iranische Komponistin, die bereits bei Irene Kurkas Podcast Neue Musik Leben zu Gast war, verschiedene Ebenen aufeinandertreffen: Marie T. Martins Worte stehen neben denen des iranischen Exil-Schriftstellers Abbas Maroufi, Stimmen (Bass und Sopran) treffen auf Instrumente (Piano und Akkordeon), Sprechen auf Singen, filigrane Momente auf emphatische ausdrucksstarke Passagen. Kassaee kostet Extreme aus, zum Beispiel indem sie Martin Wistinghausens sonore Bassstimme neben Irene Kurkas hellem Sopran in abgründige Tiefen schickt, und lässt sich dann wieder von dem verführen, was sie selbst als persische Melancholie beschreibt.

Christina C. Messner
Christina C. Messner, Foto © Christina v. Richthofen

Zum Schluss glaubt man Anklänge an Schuberts Winterreise wahrzunehmen, ein Werk, das in besonderem Maße für das innige Neben- und Miteinander von Musik und Sprache steht und das bis heute immer wieder vielfältige Um- und Fortschreibungen erfahren hat. Der Mittelteil des Konzerts greift diesen Pfad auf, indem ausgewählte Lieder aus der Winterreise neben Gedichte von Marie T. Martin gestellt und mit musikalischen Zwischenspielen verbunden werden. Es entsteht ein feines, weitverzweigtes Netz, das unmittelbar an die vegetabile Metaphorik von Martins Texten anknüpft. Die instrumentale Ebene getragen von Klavier, Akkordeon und Violine entfaltet ein fragiles, flirrendes, tastendes Wuchern, das erstaunliche Kraft entwickelt, wie zartes Wurzelwerk, das sich durch Mauerritzen zwängt. Wenn aus diesem Unterholz die Schubertlieder getragen von Irene Kurkas klarem Sopran und Martin Wistinghausens dunklem, warmem Bass hervorbrechen, scheint sich eine Blüte zu öffnen, die jedoch schon von der nächsten Windböe hinweggefegt werden kann. Teils sorgt Schubert selbst für Brüche, so zum Beispiel wenn sein Frühlingstraum vom Krähen der Hähne jäh unterbrochen wird, teils sorgt die Instrumentierung für Zuspitzung, so wenn Schuberts Irrlicht vom knochentrockenen, quasi skelettierten Klimpern eines Toy-Pianos begleitet wird. An anderer Stelle werden direkte Bezüge hergestellt, zum Beispiel wenn Martins Brief im April auf Schuberts Post antwortet.

Die zeitweilig in Köln lebende Lyrikerin Marie T. Martin verstarb im November 2021 nach langer schwerer Krankheit im Alter von 39 Jahren. In ihrer letzten Lebenszeit kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit mit der Komponistin Christina C. Messner, deren neues Werk wie nirgendwo (für Sopran, Bass, Akkordeon, Flügel, Toy-Piano und Zusatzinstrumente) sich in seinen drei Teilen jeweils auf ein Gedicht von Martin (I Postkarte, II Jetzt, III Farn) bezieht und in Düsseldorf seine Uraufführung erlebte. Zunächst entspinnt sich eine knisternde, wuselnde, flirrende Geräuschkulisse, in die sich die Stimmen flüsternd und wispernd einfügen. Behutsam entwickeln sich tonale Knospen, zartes Summen, Anflüge von Gesang. Als scharfer Einschnitt leitet die abrupt eingesprochene Textzeile ’stimmt deine Nummer noch?‘ zum zweiten Teil über, der von einem mal rabiat drängenden, mal zurückgenommenen, vom Klavier grundierten Sprechfluss geprägt ist und mit dem wiederholten ‚Jetzt‘ des Gedichttitels Gegenwärtigkeit einfordert. Erst im dritten Teil entfalten die Stimmen ihre ganze vokale Kraft, entrollen sich wie der umsungene Farn und winden sich spiralig umeinander und um die instrumentale Begleitung, so dass man glaubt den Farn wie im Gedicht beschrieben im Takt wachsen zu hören. 

Ensemble, Foto © Christina v. Richthofen
Ensemble, Foto © Christina v. Richthofen

Den Abend, der mit Schuberts Der Leiermann und Martins Rückruf ausklang, gestalteten neben der Gastgeberin Irene Kurka der Bass Martin Wistinghausen, die Pianistin Frederike Möller, die Akkordeonistin Dorrit Bauerecker sowie die Komponistin Christina C. Messner, die auch als Rezitatorin (neben anderen) und an der Violine zu erleben war. Die spürbare Verbundenheit und Vertrautheit der Beteiligten verschaffte dem Abend zusätzliche Intensität.

Titelfoto © Christina v. Richthofen

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