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Einfach Klassik.

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Kristel Aer spielt Orgel mit Herz

Das Usedomer Musikfestival neigte sich schon dem Ende entgegen, und mit einem Orgelabend in der Evangelischen Kirche in Ahlbeck kam nochmal eine sehr interessante Veranstaltung an die Reihe. Die renommierte estnische Musikerin Kristel Aer hat sowohl als Organistin als auch als Orgelexpertin einen bekannten Namen, und hatte sich für den Festivalschwerpunkt “Estland” ein durchdachtes und vielfältiges Programm namens „Orgel mit Herz“ zurechtgelegt, das sich um den estnischen Komponisten Peeter Süda gruppierte. Mit weiteren Werken von Brahms, dem Ehepaar Schumann, Dieterich Buxtehude, Ester Mägi, Artur Kapp und Rudolf Tobias war die Auswahl also tatsächlich weder lokal noch in der Epoche beschränkt. Wie die Organistin in der Vorbemerkung zum ersten Teil des Konzertes betonte, durften natürlich auch Stücke von Johann Sebastian Bach nicht fehlen, mit dem sie auch gleich begann.

Kristel Aer, Foto © Geert Maciejewski
Kristel Aer, Foto © Geert Maciejewski

Die Evangelische Kirche in Ahlbeck ist klein und wurde mit ausgewogenen Anteilen von Stein und Holz erbaut. Das hat zur Folge, dass im Hauptraum selbst eine eher intime und warme Zuhöratmosphäre entsteht, die steinerne Kuppel im Altarraum aber noch eine kleine aber ausreichend feine Kirchenakustik mit entsprechender Hallzeit bildet.

Kristel Aer nutzte diesen direkten Kontakt mit dem Publikum auch zu ihren Gunsten und konnte die Musik sehr nah präsentieren. Wie Iveta Apkalna im Orchestergraben-Interview schon beschrieb, ist eine Organistin immer abhängig vom Instrument, das sie vor Ort vorfindet, und sie muss mit dem Material arbeiten. Die Orgel von August Wilhelm Grüneberg aus dem Jahr 1832 hat einen wunderbaren Klang, ist mit einem Manual und neun Registern aber nicht die größte, und so hatte Kristel Aer bei einigen Werken schon ordentlich zu tun, um sie auf dem Instrument zum Funktionieren zu bringen. Die Tatsache, dass dies ab und zu hörbar wurde, ist für mich aber natürlicher Bestandteil von Konzerten, in denen eine ausgefeilte Musikerin ein attraktives Programm auf einem so schönen alten Instrument spielt.

Evang. Kirche Ahlbeck, Foto © Geert Maciejewski
Evang. Kirche Ahlbeck, Foto © Geert Maciejewski

Vor allem die Stücke von Peeter Süda, wie “Ave Maria”, “Pastoral” oder “Präludium und Fuge g-Moll” konnte die Organistin eindrucksvoll und begeisternd darbieten, den eigenen, zwischen Harmonik der Alten Musik und modernen Strukturen changierenden Stil des Komponisten verstand sie meisterhaft in den Vordergrund zu stellen und gab so dem Publikum Anreize und Hörerfahrung zur Horizonterweiterung. Und spätestens nach “Dialog” von der estnischen Komponistin Ester Mägi war klar, ganz gemäß dem Länderschwerpunkt “Estland” des Usedomer Musikfestival war Kristel Aer eine perfekte Wahl, um estische Musik erstklassig zum Klingen zu bringen. 

Dem aber nicht genug barg das Programm des Abends noch viele andere Möglichkeiten für die Organistin, die Vielfalt und Variabilität ihres Instrumentes anschaulich und hörbar zu machen. Gerade in der “Toccata d-Moll” von Dieterich Buxtehude liess sie es organistisch richtig krachen und begeisterte mich vollends mit den sprudelnden Tonschwallen sakraler Orgelmusik.

Eine wunderbare Darstellung waren für mich aber auch “Präludium Op. 16 Nr. 2” von Clara Schumann und “Fuge Nr. 2: lebhaft” aus “6. Fugen über den Namen BACH” op. 60 von Robert Schumann in direkter Abfolge. Hier erkannte man mal wieder gut die Unterschiede beider Kompositionsstile, die ja nicht durch ihre ursprünglichen Voraussetzungen, sondern durch die unterschiedlichen Lebensumstände der beiden geprägt waren. Kristel Aer spielte das so wohl bewusst, in der Ausführung aber immer sehr musikalisch und von der Bedeutung her erfrischend unprätentiös. 

Kristel Aer, Foto © Geert Maciejewski
Kristel Aer, Foto © Geert Maciejewski

Ich hatte nach dem Konzert den Eindruck, beides bekommen zu haben, gekonnt und höchst interpretationssicher vorgetragene etablierte Orgelmusik, aber auch neue Aspekte und Werke, die mir so bisher nicht bewusst waren. Zusammen mit der angenehmen, intimen und heimeligen Atmosphäre kann ein Konzertabend für mich nicht mehr erreichen, und ich bin einen Tag danach immer noch glücklich erfüllt von diesem Erlebnis.

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Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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