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Einfach Klassik.

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NDR Radiophilharmonie und Alexej Gerassimez in Vorpommern

Ein Gastbeitrag von Ekkerhard Ochs

Stolpe an der Peene nahe der Stadt Anklam ist ein kleines Dorf. Aber eines mit Geschichte, etwa als Ort eines der frühesten pommerschen Klostergründungen durch Benediktiner (1135). Viel ist davon heute nicht mehr zu sehen. Dafür ist der landschaftliche Reiz als Idylle am „Amazonas des Nordens“ ungebrochen, ein Wassersportwanderplatz ebenso gern genutzt wie der historische „Fährkrug“, den schon der ungekrönte König plattdeutcher Dichtung, Fritz Reuter, gern besuchte. Besten Ruf genießen heute zudem ein stilvolles Landhotel mit Landschaftspark – und zwei Scheunen. Die kleinere (ehemaliger Pferdestall) dient seit Jahren stimmungsvollen Weihnachtskonzerten, die große (Haferscheune) jährlichen  sinfonischen Konzerten der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Und das seit 2008! Vor wenigen Wochen erst gastierten hier Christoph Eschenbach, das Konzerthausorchester Berlin und die schon legendäre Pianistin Elisabeth Leonskaja. 

Am vergangenen Freitag nun war die NDR-Radiophilharmonie unter Fabien Gabel mit dem Solisten Alexej Gerassimez zu Gast. Bemerkenswert schon das Konzert-Thema: Upcycling Music. Also Musik mit Bezug zum Wasser allgemein. Speziell jedoch Musik, in der auch Gegenstände vom Müll – hier aus dem Meer – als Instrumente eine Rolle spielen. Dies aber noch nicht bei Toru Takemitsus kurzem und einleitendem „The Night“ aus dem Zyklus „Toward the Sea“ für Altflöte (Leonie Bumüller) und Marimba (Alexej Gerassimez). Ein sehr zartes, leises, klanglich impressionistischem Empfinden verpflichtetes Stück. Es repräsentiert eine innige, charakteristisch ostasiatische Verbindung des Komponisten zum Wasser, meidet deshalb jene appellative Nachdrücklichkeit hinsichtlich einer dann viel weiter greifenden, schon gesellschaftspolitisch und klimatisch existenziellen Sicht, wie sie dann der neuseeländische Komponist mit griechischen Wurzeln, John Psathas, in seinem Konzert für Percussion und Orchester „Leviathan“ (2021)verkündet; lautstark und mit geradezu agitatorischer Wucht. Thema und Wahl des Instruments gehören dabei engstens zusammen.

Alexej Gerassimez, Foto © Geert Meciejewski
Alexej Gerassimez, Foto © Geert Meciejewski

Der erklärten Absicht des Komponisten, hier mit musikalischen Mitteln eindeutige Zeichen zu setzen (Klimawandel, Nachhaltigkeit, Symbolkraft des antiken Meeresmonsters Leviathan), konnte eigentlich nur die Vielzahl jener Möglichkeiten entsprechen, wie sie der Schlagwerk-Fundus eines internationalen Stars auf diesen Instrumenten bietet. Wollte hier heißen: das vierteilige, mit Überschriften wie „Higthailin´to Hell“, The Final Brook“, „Soon We´ll All Walk On Water“ und „ A falcon, a storm, or a great song?“ versehene Werk ist dem Percussionisten Alexej Gerassimez auf den Leib geschrieben und gewidmet– eingeschlossen der wohl singulären Einbeziehung akustisch verwertbaren Meeres-Mülls, wie er sich auch an den Ufern der Ostsee findet – und vom Solisten selbst auch gesammelt wurde: Kanister, Schüsseln, ein Backblech, Tonnen etc; Wassergeräusche pur und in der Flasche inbegriffen. Schon daraus erhellt, dass es dem Komponisten um eine existenzielle  Absicht geht. Sie kennt zwar auch sanfte, nachdenkliche und friedlich-schöne Klänge, will aber vor allem aufrütteln und beunruhigen. Die gewählten Mittel sind dabei oft recht drastisch. Das Orchester ist im Leisen und Zurückhaltenden wie im oft enorm Massiven als großer, mit der Wirkung monotoner Episoden spielender „Klangvorhang“ konzipiert, weniger gegliedert durch signalartige Motive denn durch dynamische Schichtungen. Oft gerät das zum Parforce-Ritt gehämmerter, großflächiger Akkordballungen, vor denen und mit denen ein sportlich wirkender Gerassimez artistisch ein zahlreiches Instrumentarium zum virtuosen Dahinwirbeln im Dauereinsatz nutzt – und zum Schluss gar hoffnungsvolle Töne präsentieren darf! 

Alexej Gerassimez, Foto © Geert Meciejewski
Leonie Baumüller, Alexej Gerassimez, Foto © Geert Meciejewski

Das waren schon knapp 30 Minuten eines auch akustisch anspruchsvollen Geschehens, das dem Hörer nicht wenige „Aufgaben“ offerierte. Nicht zuletzt die einer individuellen Analyse des Gehörten, der stilistischen Einordnung, der inhaltlichen Gewichtung und der Gewinnung einer eigenen Position. Interessant in diesem Zusammenhang: der Rückgriff Psathas auf Beethovens „Pastoral“-Sinfonie unter dem Aspekt: was Beethoven wohl heute angesichts unseres Umgangs mit der Natur gedacht – und komponiert hätte?  Kunst kann vieles. Musik auch. Kann sie substanziell in den Kampf um den Klimawandel, um saubere Meere eingreifen? Da ist der Einzelne gefragt. Dass es entsprechende Angebote gibt, ist aber schon mal gut! Umso mehr, wenn sie so engagiert, so nachdrücklich, ja fast alternativlos interpretiert werden wie in Stolpe. Blendend also die NDR-Radiophilharmonie, die für den ungeheuren Kontrastreichtum dieses Konzerts stets schlüssige Lösungen fand; nicht weniger fesselnd aber auch der Solist, dem keine schlagtechnische Raffinesse zu schwierig schien, kein Geräusch, kein Klang zu ungewöhnlich, um nicht im Kanon nahezu universell scheinender Schlagzeug-Möglichkeiten Verwendung zu finden. Ihm war nicht zuletzt im stringenten drive bohrend hämmernder Klangflächen ein Großteil der Wirkung des gesamten Werkes zu danken. Entsprechend groß war die Begeisterung im Saal, zumal sowohl das Orchester als auch Gerassimez schon lange zu den hochgschätzten Dauergästen in MV zählen. 

NDR Radiophilharmonie, Foto © Geert Maciejewski
NDR Radiophilharmonie, Foto © Geert Maciejewski

Begeisterung aber auch im zweiten Teil des Konzertes, das – durchaus ungewöhnlich – mit „Alborada del gracioso“, der „Rhapsodie espagnole“ und dem „Bolereo“ ausschließlich Werke Maurice Ravels enthielt. Auch das quasi der Test für eine Orchesterkunst von allerhöchsten Ansprüchen. Faszinierend, wie die Hannoveraner die oft genug schillernde, irisierende, im Wechsel changierende und zu schweben scheinende Klangfarbenpalette zu realisieren wussten, mit geradezu suggestiver Tonintensität bestachen und mit ungemein pulsierender, oft genug überraschender Dynamik fesseln konnten. Unendliche Zartheit hier, dramatische Wucht dort, tänzerische Leichtigkeit auf der einen, orgiastischer Jubel auf der anderen Seite; von der zwingenden, rauschhaften Wirkung des „Bolero“ ganz zu schweigen. Ein großer Abend!   

Titelfoto © Geert Maciejewski

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