Einfach Klassik.

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Celloherbst am Hellweg: Musik und Bildkunst in perfekter Harmonie

Im Rahmen des Celloherbst am Hellweg wurde das Bochumer Planetarium zum Schauplatz einer außergewöhnlichen künstlerischen Kooperation. Das Cellospiel des gebürtigen Chilenen Karl Figueroa verband sich mit den beeindruckenden Bildsequenzen des Fotokünstlers Heinrich Brinkmöller-Beckers, die in kunstvollen 360-Grad-Animationen in die Kuppel des Planetariums projiziert wurden. Solche ästhetischen Abenteuer, hinter denen engagierte regionale Kooperationen stehen, zeichnen den alle zwei Jahre stattfindenden Celloherbst am Hellweg immer wieder aus.

Jeder Cellist hat Bachs Solosuiten studiert, lebt mit ihnen und spielt sie – also könnte man meinen, dass sie auch im Dunkeln problemlos aufgeführt werden können. Doch für Karl Figueroa war es eine neue Erfahrung, diese Meisterwerke unter der Kuppel eines Planetariums zu spielen – umgeben von einem Kosmos aus Licht und Bildern, die den ganzen Raum in eine einzigartige Bühne verwandelten. 

Musikalischer Dialog mit einer visuellen Wunderwelt 

Heinrich Brinkmöller-Beckers Art and Space Shows in verschiedenen Planetarien haben schon sehr unterschiedliche Live-Musikdarbietungen mit den eigenen Bildershows zu allen möglichen (Reise-)Themen bereichert.

Karl Figueroa
Karl Figueroa

Der Bochumer Fotokünstler ist mit seinen Kameras vor allem als sensibler Reisereporter in der Welt unterwegs – sein Lieblingssujet ist vor allem das, was Menschenhände kunstvoll und aus jahrhundertelang überlieferter Tradition heraus geschaffen haben. Aktuell ging es in das kleine norditalienische Bergdorf Crodo, hier stößt eine schon legendär gewordene Ausstellung aus kunstvoll gearbeiteten Weihnachtskrippen immer wieder auf internationale Aufmerksamkeit. Gesichter, Menschen, Gebäude und detailverliebte Krippenfiguren bildeten Szenerien, die in ihrer romantischen Miniaturhaftigkeit durchaus an detailverliebte Modelleisenbahn-Landschaften erinnerten. Aber die animierte Projektion dieser Bilder machte viel mehr daraus, erweckte diese detailverliebten Wunderwelten zu buntem Leben, was wie eine Liebeserklärung an die traditionelle Lebensweise in den Alpen wirkte und damit eine starke kulturelle und emotionale Dimension entfaltete.

Johann Sebastian Bachs Cellosuiten Nr. 2 und Nr. 3 aus diesem ewigen Zyklus gerieten in einen Dialog mit einer visuellen Wunderwelt – und zwar zum Glück so, dass weder die Musik die Bilder untermalte noch die visuelle Komponente einfach nur die Musik illustrierte. Stattdessen herrschte eine solide Balance zwischen den beiden Komponenten – vor allem auch deshalb, weil Figueroa die Musik im besten Sinne „sprechen“ ließ, damit diese einem höheren Zweck dienlich werden konnte. Die musikalische Intelligenz dieses Spiels schöpfts aus der Atmosphäre des Moments. Die technischen Herausforderungen der Bachschen Suiten, wie die gleichzeitige Darstellung von Melodie, Harmonie und Rhythmus auf einem einstimmigen Instrument, wirkten oft trotz ihrer Komplexität improvisatorisch leicht. Die Palette subtil wechselnder Empfindungen in den beiden Suiten, aber auch in deren Einzelsätzen, scheint grenzenlos. Karl Figueroa bewies hier, dass auf seinen inneren, interpretatorischen Kompass Verlass ist. Die Courante brillierte durch eine treibende Rasanz. Der junge chilenische Cellist nutzte alle Freiheiten, verwandelte Verzierungen in fantasievolle Mikrokosmen und überraschte schließlich mit einem ganzen Satz, den er durchgehend im Pizzicato spielte, was in dieser ewig gültigen Musik manchmal sogar eine verblüffende Affinität zum Jazz spürnbar macht. In der abschließenden Gigue darf man die Zügel fahren lassen, und Figueroa entfaltete mit stürmischem Temperament eine klangliche Dramaturgie, die Virtuosität und Klang zu einer kompakten Einheit verschmelzen ließ – vor allem, wenn das Cello schließlich mit den sonoren Bordun-Tönen im Quintabstand zu seinem eigenen Orchester wird. Zwei sanfte, zeitgenössische Kompositionen begünstigten nach dieser kosmischen Reise in diese wundersame Welt unter der Planetariumskuppel die weiche Landung – aber auch hierin lebte die Tonsprache Bachs weiter.

Fotokunst von Heinrich Brinkmöller-Becker
Fotokunst von Heinrich Brinkmöller-Becker

Celloherbst am Hellweg: Finale im Dezember

Im Dezember steuert der Celloherbst am Hellweg auf seine Zielgerade zu: Weiter geht es mit dem Tango Ensemble Contrabajando mit den „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ am 6. Dezember. Einen Tag später lädt das Ensemble Ellipsis im Kunstmuseum Ahlen zu einer musikalischen Reise von Sardinien nach Buenos Aires ein.
Am 14. Dezember präsentiert Peter Hudler aus Wien sein Cross-Over-Programm „Cello on Fire“ im Kunstmuseum Bochum. Einen Tag später gestalten er und Julia Rinderle am Klavier im Nicolaihaus Unna einen Abend mit Werken von Clara Schumann, Lili Boulanger und Rita Strohl.
Den Abschluss des Festivals bildet das Confringo-Quartett, Hans-Gál-Preisträger, mit seinem Konzert am 19. Dezember im Haus Opherdicke.

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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