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Einfach Klassik.

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CD-Review: Anne Haasch – Bach & Ponce

Man soll ja nicht spät Abends noch auf Bildschirme starren, durch Netzwerke scrollen und Medien-Schnellkonsum betreiben. Soll man nicht! Wenn man es dennoch tut, dann stolpert man selten, ganz selten, über kleine, besondere Ereignisse, die umso angenehmer sind, wenn sie auch noch zur Tageszeit passen. Wenn man der Gitarristin Anne Haasch in Instagram oder Facebook folgt, dann kann man solche Momente finden. Dort postet sie zu später Stunde gerne kleine Übevideos, deren Filmtechnik man ansieht, dass sie frisch in der Abendstunde, wenn familiäre Ruhe eingekehrt ist, entstanden sind. 

In der Besprechung ihrer ersten CD habe ich bereits den außergewöhnlichen Stil der Weimarer Gitarristin beschrieben, der durch starke und ernsthafte Konzentration auf den musikalischen Vortrag geprägt ist. In ihren Kurzvideos kann sie diesen Stil weiter illustrieren und kultivieren, und gleichzeitig mir vor dem schlafen gehen Melodien ins Ohr setzen.

Es bleibt nicht aus, dass man dabei Kleine Miniaturausblicke auf zukünftige Projekte erhält, und so entstand dann auch wachsende Vorfreude auf Haaschs nächstes Aufnahmeprojekt. 

Albumcover Bach & Ponce

Auf “Bach & Ponce” hat die Gitarristin zwei Komponisten zusammen gebracht, die sehr unterschiedliche Leben hatten, Johann Sebastian Bach und Manuel María Ponce. Einigkeit findet sich dann jedoch in der Tatsache, dass beide ausgewählte Werke, Bachs Lautensuite Nr. 2 in C-Moll BWV 997 und Ponces 24 Preludios, prägend waren für die heute auch als Dozentin arbeitende Musikerin. Und so selbstverständlich wie das auf den ersten Blick wirkt, ist es nicht. Werden doch heute einige Werke für Aufnahmen ausgewählt, weil sie Standardrepertoire sind, und eine Künstlerin sie in der Sammlung haben sollte.

Anne Haasch, Portrait 2
Anne Haasch

Meine Beziehung zur Musik von Johann Sebastian Bach habe ich ja neulich schon beschrieben, und ihre wunderbare Wirkung bei mir als Hörer setzt sich auf Anne Haaschs “Bach & Ponce” fort, mal um den “Geist zu reinigen”, wie sie im Booklet der CD den von ihr hoch geschätzten Tōru Takemitsu zitiert, mal um von der umwerfenden Schönheit der musikalischen Themen und Bilder tief bewegt zu werden.

Viele Aufnahmen die ich anhöre haben eine oder mehrere, mehr oder weniger versteckte Kerneigenschaften, die ihren besonderen Charakter ausmachen. Bei Haaschs Interpretation der Lautensuite brauchte ich ein wenig, um das zu erkennen, was sie so besonders macht. Sonst ist es oftmals der Umgang mit freien Temposchwankungen, in der Agogik kann ein*e Musiker*in gut Persönlichkeit ausdrücken. Das macht Anne Haasch hier natürlich auch, aber nicht in so expressivem, sondern eher erwartbarem Maß. Das Besondere bei ihr ist dagegen eine langwellige und unregelmäßige Modulation der Lautstärkeintensitäten, also nicht die kurzfristige, notenbezogene Gestaltung, sondern die themenbezogene und -umspannende Stufen- und damit Präsenzregelung. So stellt sie Bachs Suite gerade in den ersten beiden Sätzen fast wie ein Theaterstück auf die Bühne, und schiebt die musikalischen Themen wie Kulissen. Gemächlich, besonnen, ohne Hast. Gleich zu Beginn des ersten Satzes legt sie oftmals mehr Druck in einzelne Themen, so daß sie anschwellen, und sich aus dem übrigen Vortrag erheben. Interpretationssicher kombiniert mit der exakt passenden Gestaltung der Tempi formt und modelliert sie sie die Musik wie eine Bildhauerin, und macht Bachs Musik damit plastisch erlebbar.

Anne Haasch gestaltet

Gerade in einem Werk dieses Komponisten ist Anne Haasch ganz Profi, gestaltet ihren Vortrag in angemessener Perfektion. In der Sarabande bin ich dann aber doch heilfroh, dass sie das wunderbare und einprägsame Thema in der Mitte des Satzes mit dem entsprechenden Zögern im Tempo doch auch fürs Herz interpretiert, so dass ich dann sogar ein bisschen dahinschmelzen kann. Ein gutes Beispiel dafür, welche Schönheit entsteht, wenn höchste Konzentration und Einfühlungsvermögen zusammenkommen.

Ponces Preludios, die in 24 verschiedenen Tonarten stehen, sind nicht nur kompositorisch eine Herausforderung. Auch die Gitarristin fordern sie technisch heraus. Eine wunderbare Gelegenheit für angehende Gitarrist*innen ihre eigene technische Entwicklung eindrucksvoll zu demonstrieren. Nicht für Anne Haasch. Sie zielt mit ihrem Gesamtvortrag hier ganz und gar darauf ab, die beiläufige Leichtigkeit und nachdenkliche Unbeschwertheit dieser Kurzgeschichten in den Vordergrund, und spielerischen Anspruch zurück zu stellen. Die schnellen Repetitionen im A-moll Präludium begreift die Gitarristin wirklich als Erzählelement, anstatt sie nur spieltechnisch zu meistern. Im weiteren Verlauf malt sie die Themen ein ums andere mal versonnen in den Raum, und ich gerate immer mehr ins Mitsingen – spätestens im A-Dur Vivo. Sie nimmt uns mit auf die Reise zu diesen lateinamerikanischen Kurzkapiteln, und nach komplettem Hören versteht man noch besser, warum das Werk für sie so prägend war. Wegen seiner Gesamtheit als geschlossener Zyklus. So reüssiert Anne Haasch in ihrem Vorhaben, diese Beiden auf einem Album in wunderbarer Weise zusammenkommen zu lassen – “Bach & Ponce”.

Vielleicht wird Anne Haasch die Lautensuite irgendwann in ihrem Leben noch einmal aufnehmen. Nicht weil diese Aufnahme nicht gut wäre. Sie ist brilliant. Aber keine Musik wächst so sehr durch ein Musiker*innenleben mit, wie die von Bach, und daher war es schon einigen Musiker*nnen ein Anliegen, ihre Entwicklung mit einem Werk nochmal zu dokumentieren. Sollte dieser Fall eintreten, dann bin ich der erste, der den Vergleich hören möchte!

Die Tracks

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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