Einfach Klassik.

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Interview mit der Pianistin Heghine Rapyan

Im Teenager-Alter absolvierte Heghine Rapyan den Stéphan Elmas-Klavierwettbewerb, was ihr entscheidende Impulse für die künstlerische Karriere vermittelte. Auch das ist ein Grund, warum die armenische Pianistin, die heute in Salzburg lebt, dem Komponisten Stéphan Elmas ihre Debut-CD widmete. Dessen Klaviersonaten liegen hier zum ersten Mal auf Tonträger vor. Im Gespräch mit Stefan Pieper war die Rede von kulturellen Verbindungen zwischen dem Kaukasusland und Europa, ebenso von den Voraussetzungen für Musikschaffende. 

Was für eine Geschichte verbirgt sich hinter Ihrem CD-Debut?

Ich präsentiere hier Klaviersonaten von Stéphan Elmas, die bislang noch nicht aufgenommen worden sind. Die Sonaten wurden im Jahr 1922 zum ersten Mal auf Noten veröffentlicht. Seine Musik ist so wunderschön und es gab bislang keine Aufnahmen. Ich dachte, das kann so nicht bleiben, dass diese Noten immer nur in irgendwelchen Schubladen verborgen sind. Es ist überfällig, dass sie endlich ein Publikum erreichen.Ich habe Kontakte geknüpft und schließlich Hubert Haas von solo musica kennengelernt. 

Was für einen Bezug haben Sie zur Musik von Stefan Elmas? 

Meine Geschichte mit Stefan Elmas beginnt im Jahr 2002. Da hatte ich einen ersten Preis im Stéphan-Elmas-Klavierwettbewerb gewonnen. Seitdem habe ich sie immer wieder im Konzert gespielt. Allerdings hauptsächlich die kleinen Formen, Mazurkas,Walzer und so weiter. Stéphan Elmas wurde in Smyrna in einer wohlhabenden armenischen Kaufmannsfamilie geboren und wurde sehr gut gefördert. Er wollte bald nach Europa gehen, um sein Studium weiter zu verfolgen, aber seine Familie war dagegen. Aber es ergab sich, dass er mit seinem Onkel nach Europa gehen konnte und dabei traf er auf Franz Liszt. 

Wie muss man sich seine Musik vorstellen?

Seine Musik klingt meist gar nicht armenisch. Sie zeugt dafür von einer starken kulturellen Verbindung zwischen dem Musikleben in Armenien und in Mitteleuropa. Im 18. und 19. Jahrhundert konnten viele armenische Komponisten in Europa und in Russland studieren. Sie haben einige kulturelle Einflüsse mit nach Armenien gebracht. Aber es gibt auch viele Komponisten, die sich sehr mit der Volksmusik auseinandergesetzt haben. Zum Beispiel Komitas Vardapet. Der ist durch verschiedene Dörfer gereist und hat die Lieder der Menschen aufgenommen. Etwa von Bauern, die sie bei der Arbeit gesungen haben. Tausende Lieder sind hier zusammen gekommen. Auf dieser Basis hat er seine eigenen Werke geschrieben und kam vielen Traditionen und Quellen der armenischen Musik auf die Spur. Eine wichtige Rolle spielten auch Aram Khachaturian und seine Nachfolger, wie Arno Babajanian und Avet Terterian. Die haben später den Vorstoß in die musikalische Moderne bis hin zur atonalen Kompositionstechnik vollzogen. 

Ich habe mir Ihre Interpretation von Arno Babajanians Poem angehört, die mich in ihrer modernen Kühnheit sehr anspricht.

Dieses atonale Stück spiele ich sehr oft und gerne. Auch hier ist ein starker nationaler Aspekt vorhanden. Es gibt zum Beispiel kleine armenische Tonskalen, die aber eher versteckt im Hintergrund sind. Auch wenn die Tonsprache sehr modern wirkt, resultiert doch vieles aus den Liedern, die in den Dörfern gesammelt wurden. Vor allem die unregelmäßigen Rhythmen sind typisch für die nationale Musik, es gibt viele Fünfachtel- und Siebenachtel-Metren.

Stéphan Elmas Musik wirkt hier fast wie das Gegenteil davon…

Elmas Musik ist im romantischen Jahrhundert stehen geblieben. Dafür gibt es eine Erklärung aus dem Lebensschicksal des Komponisten: Er ist sehr früh taub geworden, da war er tragischerweise noch in den 20ern. Das heißt, alle Musik die er von da schrieb, wuchs allein aus seiner Erinnerung. Als er sehr jung war, ist er von Chopin geprägt worden und deswegen klingt seine Musik so sehr nach Vergangenheit. Aber gerade das ist ein sehr schöner Aspekt. Elmas ist ein großartiger Melodiker. Wenn man ihn einmal hört, kann man ihn eigentlich nur lieben. 

Warum haben Sie die CD „Die Seele von Smyrna“ betitelt? 

Stéphan Elmas wurde 1864 in Smyrna geboren, welches damals dem osmanischen Reich angehörte und im Jahr 1922 von Atatürks Truppen erobert wurde. Durch einen großen Brand in dieser Stadt musste seine Familie schließlich nach Griechenland fliehen. Überhaupt ist die ganze Geschichte seines Volkes sehr tragisch. Stéphan Elmas hat auch den armenischen Genozid im Jahr 1915 erlebt. Es ist kein Zufall, dass es in seiner Musik so viele Trauermarsch-Elemente gibt. Viele biografische Aspekte von Elmar sind bislang nie publik gemacht worden. Vieles geht aus seinen Briefen hervor. Elmas hat einen starken kulturellen Patriotismus gehabt. Er sagte, dass alles, was er schreibt, dem armenischen Volke dienen soll. 

Heghine Rapyan Cover

In welcher Rolle sehen Sie sich hier heute?

Meine Rolle ist eine Verbindende. Ich habe eine große Verantwortung, wenn ich diese Stücke zum ersten Mal vertone, denn ich setze einen Maßstab für kommende Generationen und nachfolgende Interpretinnen und Interpreten. Aber da ist auch ein persönlicher Aspekt: Beim Spielen dieser Musik spüre ich eine unglaubliche Energie, die mich mit diesem Komponisten verbindet. Im Idealfall springt diese Verbindung aufs Publikum über, so dass diese Energie zu mir zurück kommt. In meinen Konzerten fühle ich mich oft in einer anderen Zeitdimension. Auf jeden Fall müssen Fleiß und Liebe zusammen gehen. 

Hat diese Liebe bei Ihnen einen Ursprung?

Am Anfang stand der Klang des Klaviers. Musik war die erste Liebe meines Lebens und das Klavier war für mich alles. Wenn ich traurig war, habe ich immer gespielt und mich gefreut. Damals waren schwierige Zeiten. Es war ja auch Krieg in den 1990er Jahren. Trotzdem konnte ich in eine Musikschule gehen und habe Konzerte gegeben, auch Hauskonzerte für die Familie. Ich habe gespielt, gespielt und gespielt. Diese große Freude ist geblieben, auch heute, wo ich eine eigene Familie habe. Wenn ich spiele, kommt es mir vor, als würde ich fliegen und ich komme in einen Zustand hinein, in dem alles möglich ist. 

Wie ging es dann weiter?

Ich hatte unter anderem das Glück, bei Armen Babakhanian, einem der besten Klavierprofessoren in Armenien zu studieren, wofür ich außerordentlich dankbar bin. Danach bin ich nach Österreich gekommen und habe in Salzburg am Mozarteum verschiedene Lehrer gehabt. Eine besondere Rolle für mich spielt die weltweit berühmte Pianistin Ingrid Haebler. Bei dieser Professorin habe ich wirklich „Musik spielen“ gelernt und eben nicht nur, ein Instrument zu spielen. Sie hat mir entscheidende Schlüsselerlebnisse vermittelt, die über die üblichen Aspekte von Technik und Stilistiken weit hinaus gehen. Denn dadurch kannst Du wieder zu den ganz einfachen Dingen vorstoßen. Erst dann wird ein Musikstück zur Spiegelung von dir selbst und alles kommt von Herzen. 

Auswendig spielen heißt ja „playing by heart“. Wie halten Sie es damit?

Ich spiele fast immer auswendig. Nach Noten spielen ist für mich wie ein notwendiges Übel – weil es eben nicht so sehr aus dem Inneren heraus kommt .

Sagen Sie mir noch mehr über den Stellenwert von Kultur und Musik in Armenien

Musik wird als großer Reichtum empfunden. Es gibt heute sehr gute Konzertsäle und es wird mit extrem wenig Geld unglaublich viel auf die Beine gestellt. Das eigenständige kulturelle Leben wird als etwas sehr Kostbares betrachtet – eben auch, um sich damit als eigenständige Nation zu zeigen.Trotzdem ist es schwierig, hier beruflich Musikerin oder Musiker zu sein. Deswegen musste ich auch von Armenien weggehen. Mir wurde früh klar, was ich erreichen will, aber in meinem Land gab es keine geeignete Plattform dafür. Es war schon schmerzhaft, hier wegzugehen. Viele, mich eingeschlossen, sahen sich aber gezwungen, nach Europa oder in die USA zu ziehen – eben, um das Studium und später auch die Karriere besser organisieren zu können. Letztlich können sie alle durch ihre viel größer werdende Reichweite viel mehr für ihr Land tun, als wenn sie dort bleiben würden – und eben dadurch auch armenische Musik bekannter machen. 

Trotz alledem gibt es viele tolle und begabte Musiker in Armenien und es gibt ein funktionierendes Musikleben, weil eben viele Menschen die Musik lieben und gerne musizieren. Ebenso gibt es hier wunderschöne Konzertsääle, wo man immer gute Musik hören kann. Konzertveranstalter suchen ständig nach neuen Wegen, um das kulturelle Leben in Armenien, meistens in Yerevan, auf gutem Niveau zu halten. 

Sehen Sie die Aufnahme mit Stéphan Elmas als einen Baustein dafür? 

Mir ist es ein Anliegen, dass man sich bei dieser Aufnahme nicht nur an romantischer Klaviermusik erfreut, sondern dass hier eine Geschichte kommuniziert wird. Ich möchte auf hohem Niveau einen Beitrag dazu leisten – und mir damit vielleicht auch ein Alleinstellungsmerkmal erarbeiten.

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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