Einfach Klassik.

Einfach Klassik.

Agata-MAria Rate Cover

CD Review: Agata-Maria Raatz, Echo of Bach

Wenn eine Künstlerin mit einem CD-Projekt wirklich viel Aufrichtiges von sich „sagen“ will, steht nicht selten die Musik von Johann Sebastian Bach im Zentrum. Das gilt auch für die Geigerin Agata -Maria Raatz. Aber die aus Polen stammende, heute in der Schweiz lebende Musikerin/Komponistin stellt auf ihrer spektakulären Solo-CD „Echo of Bach“ klar, dass sie im Heute lebt. 

Unter dem Pseudonym Clara Jaz ist sie selbst auch als Komponistin aktiv. In diesem Sinne stellt sie dem Programm einen eigenen, selbst komponierten Prolog voran, den sie über eine Bach-Phrase komponiert hat. Leise, behutsam tastend fühlt sie sich in die Materie ein– und singt schließlich eine weitere Melodielinie dazu. Bach fiel nicht vom Himmel, sondern wurde von Vorläufern beeinflusst, dessen Vorlagen er gerne aufgriff: Agata-Maria Raatz stürzt sich mit geballter kreativer Neugier auf die fünfte Suite d-Moll des frühbarocken Komponisten Johann Paul von Westhoff. Ihre Tongebung mutet „historisch informiert“, zugleich absolut auf der Höhe der Zeit an. Vor allem die tänzerischen Sätze, mit einer flammenden Gigue als Höhepunkt, verleugnen ihren ursprünglichen, folkloristischen Charakter nicht.

Radikaler Schnitt: Im nächsten Stücke heißt es loslassen – und wie! „Vergissmeinnicht“ hat Agata- Maria Raatz, die ausdrucksstärkste Eigenkomposition auf dieser Aufnahme betitelt. Das Stück hat einen biografischen Hintergrund, wenn es das dramatische Schicksal ihres Großvaters nacherzählt, dem zusammen mit einem Bruder die Flucht aus einem Nazi-Konzentrationslager gelang. Was für ein Hörfilm leuchtet hier in grellen, eindringlichen Farben auf! Temperamentvoll explosiv und mindestens so, als wenn ein Rockmusiker als Höhepunkt eines Livesets ein heftiges Instrumentalsolo abfeuert, lässt Agata Maria Ratz ihren Soundkosmos hervorbrechen, voller wilder improvisatorischer Ritte über breite Borduntöne, gespickt mit Mikrointervallen und zahlreichen Anspielungen auf östliche Volksmusiken – jetzt kann man sich nur noch wünschen, diese eindringliche Performance live zu erleben! 

Agata-Maria Ratz – Aufregend und Extrovertiert

Nach diesem entfesselten Wirbel mutet Bachs Suite Nr 2 d-Moll wie ein spirituelles Refugium an. Agata-Maria Raatz spielt „ihren“ Bach mit gefestigtem Selbstbewusstsein, voller Respekt und klugem Tiefengespür für die architektonische Struktur, mit breitem Strich und viel inniger Sensibilität. Aber auch im positiven Sinne ganz „eigen-willig“ mit eigenen, hochfiligranen Auszierungen und voller leichtfüßiger Fantasie. Atemberaubende Beherrschung der Spieltechnik ist angesagt beim jungen Genfer Komponisten Xavier Dahier, der von Agata Maria Raatz mit einer Komposition beauftragt wurde. Fast 15 Minuten lang baut sich in seinem Stück „Cette ame a six ailes tout comme les Séraphines“ eine flirrende Linie auf, gespickt mit gleißenden Obertonspektren und  einer improvisatorisch wirkenden Strukur – das alles taugt bestens, um das extrovertierte Können der Auftraggeberin dieses Werkes ins beste Licht zu rücken. 

Die hohe Kunst liegt nun darin, diesen aufregenden Spannungsbogen stimmig in eine Zielgerade zu führen. Was taugt hier besser als der belgische Komponist Eugene Ysaye, der in seiner Zweiten Violinsonate opus 27 auf ganz verblüffende Weise das Erbe Bachs mit der musikalischen Moderne kurzschließt. Der Belgier vollführt ein raffiniertes Spiel mit Zitaten: Versatzstücke aus Bachs Chanconne treffen auf das mehrmals auftauchende „Dies Irae“- Motiv. Viele Doppelgriffpassagen erzeugen über weite Strecken eine polyphone Stimmführung, bis schließlich Bach nochmal im Original zitiert wird. Man muss sich erst mal staunend fragen, was bei dieser hochmotivierten Gegenwartsmusikerin nach dem Geniestreich eines solchen Albums noch alles kommen kann.

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
Dots oben

Das könnte Dir auch gefallen

Dots unten
Dots oben

Verfasse einen Kommentar

Dots unten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Newsletter

Icon Mail lg weiss

Bleib informiert & hol dir einen
exklusiven Artikel für Abonnenten