Die luxemburgische Komponistin Albena Petrovic geht seit Jahren unbeirrt ihren eigenen künstlerischen Weg, der aus einer tiefen geistigen Selbstreflexion schöpft, aber auch eine Auseinandersetzung mit literarischen und philosophischen Quellen pflegt. Auch ihr neues Werk „Santuary“ löst diesen Anspruch mit der ihr eigenen Unnachgiebigkeit und bemüht sich darüber hinaus um Aktualität: „Unsere Zeit verlangt es, die Werte zu teilen, die den Menschen am wichtigsten sind“, lautet das programmatische Credo, das im Booklet dieser neuen Aufnahme für das Label solo musica abgedruckt ist. „Sanctuary“ möchte Albena Petrovic nicht in religiösen Kontext verstanden wissen – es geht vielmehr um ein allgemein humanistisches, vom Geistigen genährtes Selbstverständnis. Und da mutet es passend an, wenn der deutsche Expressionismus mit seinen oft verstörenden, fast dystopischen Tonarten, gerade in der aktuellen Zeit wieder in den Fokus gerückt ist.
Jetzt aber zur musikalischen „Einlösung“ solcher Ideale auf dieser neuen CD: Zwölf Texten, hauptsächlich aus dem frühen 20. Jahrhundert, haben sich die Sopranistin Anna Benieta Diouf und die Pianistin Eugenie Radoslava angenommen und dies mit kraftvoller Leidenschaft und allem Wagemut, den dieses Unterfangen braucht. Hinzu kommen einige Liedkompositionen von Albena Petrovic selber, die teilweise bereits bestehenden zyklischen Werken entlehnt sind. Wenn Friedrich Nietzsche in seinem Gedicht „Die Krähen schreien“ von Einsamkeit und Verlorensein in einer kalten und unwirtlichen Welt spricht, vermittelt dies die Atmosphäre, die auch im Zentrum von Albena Petrovics Neukompositionen steht. Großes Gewicht kommt der deutsch-jüdischen Dichterin Elke Lasker-Schüler zu, nicht nur mit deren deren Gedicht „Weltende“, welches nicht mit dem Gedicht des expressionistischen Zeitgenossen Jakob van Hoddis verwechselt werden sollte. Elke Lasker-Schülers Texte thematisieren das „Weinen in der Welt“ oder auch den Tod Gottes. Metaphern wie „der bleierne Schatten“ symbolisieren Schwere und Dunkelheit – auch geht es um Gräber der Endlichkeit und Vergänglichkeit.
Albena Petrovics Musik lässt den Expressionismus noch stärker hervortreten
Musikalisch geht Albena Petrovic hier ihren Weg, der sich aber völlig von historischen Formprinzipien eines musikalischen Expressionismus loslöst, wie er einst vor allem auf die Zweite Wiener Schule rekurrierte. Ihre eigene, heutige Tonsprache gebärdet sich eigentlich noch ungefilterter „expressiv“, wenn, wie auf diesem Album, eine extrem unmittelbar auf die Worte bezogene Interaktion zwischen der Sängerin und der Pianistin auf die Spitze getrieben wird. Anna Bineta Dioufs Mezzosopran stellt druckvoll und impulsiv die ganzen erregt-exklamatorischen Elemente heraus, die aus einer gewissen Dekonstruktion von Formen, Figuren, Wörtern, Harmonien und Tempi hervorgeht, wenn man konventionelle Formprinzipien als Maßstab nimmt. Und vor allem die vielen abrupten Lautstärke- und Tonhöhenwechsel sowie eine beständige Mischung aus Sprechgesang und lyrischen Fragmenten, werden der dramatischen, ja durchaus unheivollen Unruhe, wie er sich aus diesenTexten artikuliert, einmal mehr gerecht.
Pianistin Eugenia Radoslava überhöht all dies noch, wenn sie die gesungenen, manchmal gesprochenen Worte umspielt – was für dissonante Schärfungen und erregende, aufrührerische Momente sorgt. Trotzdem kommt auch lyrisches Feingefühl nie zu kurz, eben auch, weil die oft lange ausgekosteten Wörter immer eine differenzierte Klavierbehandlung erfahren. Die Stimme der Mezzosopranistin ergänzt das Ensemble mit langanhaltenden Tönen, abrupten Lautstärke- und Tonhöhenwechseln sowie einer Mischung aus Sprechgesang und lyrischen Fragmenten, was der Darbietung eine zusätzliche Tiefe und Emotionalität verleiht.
Das literarische Erbe, welches hier zum Gegenstand neuer Kompositionen wurde, nährte sich aus ungewissen Zeiten und blickte mit Dystopie in die Zukunft. Zugleich brachen die meisten Schöpfungen dieser Epoche eine Lanze für unnachgiebige künstlerische Freiheit. Albena Petrovic und diesem hochmotivierten Duo ist zu verdanken, dass sich diese zeitlosen Botschaften auch in heutiger Klangwelt Gehör verschaffen.