Unterm Sonnenschirm sitzend, an einem wunderschönen Vintage-Weltempfänger drehend, empfängt Blaise Ubaldini ungeahnte Signale aus einem freien Kosmos.
Der französische, in Lausanne lebende Gegenwartskomponist hat das Cover zu seiner CD „Sunbathing“ mit viele Liebe selbst gestaltet und möchte damit zeigen, dass es ihn hinaus in die Welt zieht. Neue Musik hat mit Neugier zu tun und gehört überall hin, bloß nicht in einen akademischen Elfenbeinturm.
Ausgereifte Solostücke
Auch musikalisch löst Blaise Ubaldini diesen Anspruch ein in Gestalt von fünf ausgereiften Solostücken, die im Zeitraum zwischen 2011 und heute entstanden sind. Auch das wirkt wie ein Allelinstellungsmerkmal in einer Szene, in der die Halbwertzeit immer neuer Uraufführungen doch oft eher gering ist.
Hier stehen ausgewählte, dem Komponisten nahe stehende Musikerinnen und Musiker im Zentrum. Ubaldini selbst mischt sich in deren solistische Performance mit verschiedener Live-Elektronik ein, um den physischen Ausdruck der Instrumente, aber auch einer beteiligten weiblichen Gesangsstimme mit elektroakustischen „Kontrapunkten“ anzureichern. „Impasse“ ist dem vielseitigen Klarinettisten Martin Adamek auf den Leib geschrieben. Faszinierend, wie Adameks Bassklarinette zu einer sich immer weiter verdoppelnden Stimme vergrößert wird. Ubaldini ist selbst auch Klarinettist. Daher stehen ihm jene Verfahren besonders nah, wo die Physiognomie von Atemluft in Relation zum umgebenden Material als komplexes System erforscht wird.
Blaise Ubaldini lädt zur Introspektion ein
Hier wie auch in den anderen Stücken geht es um die Erkundung des Innenlebens eines Instruments, was Blaise Ubaldini auch als Einladung zur Introspektion philosophisch verstanden wissen will. Die Titel der Stücke zeigen, dass Ubaldini auch der diskursive Überbau jenseits der reinen Musik am Herzen liegt. „Newton in a Space Ship“ wirkt als Textidee wie ein augenzwinkernder Verweis auf die Hinterfragungswürdigkeit scheinbar gegebener Gesetzmäßigkeiten. In eine nonverbale, verspielte Meditation über so elementare Fragen lädt das Spiel von Shanna Pranaitis auf ihrer Bass-Flöte ein. Layla Ramezan, iranisch-stämmige Pianistin und Lebenspartnerin von Blaise Ubaldini ist mit dem Solostück „La Livri“ vertreten, welches einen kraftvoll artikulierten, fiebrigen Monolog ausbreitet, der von subtilen elektronischen Klängen überlagert und umschmeichelt wird. Layla Ramezans perkussiv deklamatorischer Spielweise stehen hier raffiniert zugespielte Oberton-Schwebungen zur Seite.
Jan von Höke greift zur mächtigen Kontrabass-Flöte, um diese im Stück „Ferociois Purposes“ sprechen zu lassen und perkussiv zu erweitern. Schließlich erzeugt im Titelstück „Sunbathing“ die Sängerin Liz Pears eine Art Deklamation im Spannungsfeld zwischen Gesang und melodramatischer Rezitation.
In jedem Fall geht es darum, die Welt neu zu erforschen und die fünf bis zu zwölf Minuten dauernden Kompositionen liefern zahlreiche symbolträchtige Anregungen dafür. Blaise Ubaldini, der mit dem französischen Ensemble Intercontemporain zusammengearbeitet hat und am Pariser IRCAM, Frankreichs Kaderschmiede für elektronische Gegenwartsmusik studierte, möchte mit diesem Werk dazu ermutigen, Fragen zu stellen.
