Kann man, oder soll man sich in schwierigen Zeiten in schöner Musik verlieren? Die Gitarristin Heike Matthiesen, die aus Norddeutschland stammt und heute in Frankfurt lebt, bejaht diese Frage. Auf ihrem neuen Album „Guitar Divas“ stammen die friedlich und sonnig anmutenden Stücke dieses neuen Albums für das Label ARS alle aus der Feder von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts, die es aufgrund herrschender Rollenklischees und gesellschaftlichen Konventionen kaum in die Hall of Fame der Musikgeschichte geschafft haben. Wer hat heute schon von Anne Emmerich, Emilia Giuliani-Guglielmi, von Catharine Josepha Pratten ooder von Maria Dolores de Goni gehört? Kein Wunder, dass es sich bei den Stücken aus der Feder dieser Komponistinen also um Welterstaufnahmen handelt.
Diese Musik tut so richtig gut, nach einem anstrengenden hektischen Tag durchzuatmen, in friedlicher Sonnigkeit zu verweilen und ja, „runterzukommen“. Wenn nicht zugleich das Herz jedes Fans der Konzertgitarre immer wieder höher schlägt, denn die Faszination über kompositorische Finesse und pures spielerisches Können der welterfahrenen Gitarristin kommt in keinem Moment des Albums zu kurz.
Guitar Divas – Pure Schönheit und filigrane Details
Wie ein munter fließender Bach modelliert Heike Matthiesens Spiel die Tongirlanden in einem Preludium von Emilia Giuliano Gugliami, die von 1813 bis 1850 lebte. Ein großes Thema dieser CD und eine Quelle für filigranes Hörvergnügen sind die vielen Variationensätze aus der Feder dieser Komponistinnen. Was eben offen legt, dass die schöpferischen Damen eben auch Meisterinnen auf ihrem Instrument waren und lustvoll die spielerischen Möglichkeiten der Gitarre erkundeten. Ausgangspunkt sind immer wieder fröhliche, heitere Melodien. Aber unter der Oberfläche blühen die Geniestreiche nur so auf. Improvisatorisch verästeln sich die Spielfiguren, ergänzen sich rhythmische Muster und produzieren wechselnde Auszierungstechniken imaginäre Farbenwechsel. Anne Emmerichs „Sechs Variationen“ spannen sich über 10 Minuten und lassen fast schon eine orchestrale Vielgestalt aufkommen. Catherina Josepha Pratten ist eine besondere Figur im 19 Jahrhundert. Sie schaffte es als eine der wenigen, sich als Komponistin in der Musikszene zu behaupten – und eben auch von ihrer Kunst zu leben. Fantasie und künstlerischer Horizont waren immens bei dieser Komponistin und Gitarrenvirtuosin und das man ihren Stücken auf dieser CD auf Anhieb an. Mal geht es um den Karneval von Venedig, wo einmal mehr ein Ohrwurm-Lied mit hauchzarten Figurationen variiert und verwandelt wird. Ein „Dance of the witches“ fantasiert über subtile Dur-Moll-Wechsel und baut auch so manch aufregendes Zwischenspiel ein. Unter „Ferry Sketches“ versteht die Komponistin friedlichere Stimmungsbilder und die wiederum treffen den Nerv dieser Interpretin und eben auch aller Hörerinnen und Hörer, die sich auf diese Materie einlassen. Das Tor zu zarter Empfindung öffnet sich weiterhin, wenn Heike Matthiesen die Lautstärke noch weiter zurück nimmt, um das Thema aus einem eleganten Mozart-Divertimento zu variieren und zu verwandeln. Anmutig tänzerisch, aber nie klischeeüberladen geht es in spanische und maurische Gefilde, sobald Heike Matthiesens Hände unangestrengt behutsam über Saiten und Griffbrett walten – sowohl in Prattens Spanish Dance und „Moorish Dance“, alsauch in drei Charakterstücken von Maria Dolores de Gondo.
Hier ist eine Spezialistin für Mehrstimmigkeit am Werk
Das alles wirkt zugänglich, streichelt die Seele und ist in jedem Moment höchst kunstvoll gespielt. Vor allem der Umgang mit der Mehrstimmigkeit hat in ihrer Ausbalanciertheit echten Seltenheitswert. Dafür gibt es eine biografische Erklärung: Heike Matthiesen ist ursprünglich als Pianistin ausgebilet und sozialisiert worden und vollführte mit circa 18 Jahren einen buchstäblich fliegenden Wechsel zur Gitarre.
Warum ihr Spiel auf Anhieb so beseelt und sonnig wirkt, hat noch einen weiteren biografischen Grund: Die Arbeit an diesem Programm und schließlich die Aufnahme dieser CD für das Label ARS half der Musikerin, eine schwere Krankheit bis auf weiteres zu besiegen. Musik wurde hier also buchstäblich zum Lebenselixier.