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Einfach Klassik.

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CD Review: Lydia Maria Bader – Tales of the Sea

Für die Pianistin Lydia Maria Bader werden die ausgewählten und interpretierten Kompositionen regelmäßig zum „ganzheitlichen“ Resonanzraum für eigene Lebensthemen. Das verleiht ihren Konzertprogrammen eine hohe Plausibilität dem Publikum gegenüber. Ebenso präsentieren die aufgenommenen CDs jeweils ein organisches Werk voller Geschlossenheit. Für ihre neueste Aufnahme hat Lydia Maria Bader sich dem großen Thema „Meer“ angenommen – welches wohl jeden Menschen mit seinen Sehnsüchten irgendwie ganz tief beschäftigt. Mit viel Entdeckerlust sie hier einige überraschende musikalische Schätze an die Oberfläche geholt – und löst all dies auch in spielerisch hervorragender Weise ein!

Wenn die Wellen der Ozeane, die funkelnden Lichtbrechungen auf einer Wasseroberfläche, der meditative Rhythmus von Wellen und Gezeiten zur synästhetischen Hörerfahrung werden, dann geht es im Spiel von Lydia Maria Bader nicht um dekorative, verwischte Impressionen, sondern noch mehr um die konturscharfe Abbildung zahlloser feiner sinnlicher Details. Vielleicht so ähnlich, wie man Wasser mit ganz kurzen Verschlusszeiten fotografiert, um eben diese ganze plastische Formenvielfalt einzufangen…

Lydia Maria Bader, Foto © Kaupo Kikkas
Lydia Maria Bader, Foto © Kaupo Kikkas

Sehr vielgestaltige, pianistisch fordernde Werke haben hier der ganzen Darstellungslust von Lydia Maria Bader reichlich Futter gegeben. Ernest Blochs „Tales of the Sea“ sind schon für sich eine Überraschung: Bloch schöpft hier aus einem Minimalismus, der aber für maximale, fast rauschhafte Wirkungen auf dem Klavier gut ist. Vor allem, wenn die Pianisten in den ausgiebigen repetierten Sequenzierungen einen hypnotischen Fluss entstehen lässt. Als erfrischendes Kontrast behauptet sich im mittleren Stück übrigens ein altes Shanty-Seemanslied. 

Auch der chinesische Komponist Zhu Gongyi hat sich der Wasser-Metaphorik angenommen. Im Kern schwingt hier noch etwas traditionell chinesische Pentatonik mit, aber die aufbrausende Virtuosität und ein vollgriffiger, fast flächiger Klaviersatz konterkariert sogleich jedes Klischee. 

Eine bedeutsame Entdeckung war für Lydia Maria Bader das dreisätzige „Le Chant de la Mer“ des Franzosen Gustave Samazeuilh. Der lebte bis in die 1960er Jahre hinein, wurde hörbar vom Impressionismus eines Maurice Ravel geprägt, ist aber auch einer spätromantisch inspirierten, zugleich auch modern wirkenden Expressivität keineswegs abgeneigt. Und er weiß, die daraus hervorgehenden Potenziale für die Darstellung des mächtigen Ozeans auszureizen. Bzw. Lydia Maria Bader stürzt sich mit Bravour und spielerischer Kühnheit in die ganze Wildheit der drei Sätze – die zunächst ganz harmlos, wie eine trügerische Ruhe vor dem Sturm beginnt. 

Cover

Auch der Brite Frank Bridge hatte sich dem Meer angenommen und beeinflusste gerade damit auch seinen Schüler Benjamin Britten. Das „Sea Idyl“ von Frank Bridge mutet in diesem Programm fast wie eine Insel im tosenden Ozean an, denn hier wird vor allem die tiefe Ruhe gestalterisch heraus gekehrt. Eine ebensolche Diktion, nun aber in deutlich romantischerer Tonsprache pflegt das einsätzige Etudenstück „Undine“ von Anton Rubinstein. Schließlich lehrt eine weitere große Meeres-Komposition auf diesem Tonträger nochmal das Staunen: Es ist die achtteilige Suite „Sea Pieces“ des amerikanischen Komponisten Edward MacDowell. Durchaus seiner Entstehungszeit voraus wirkt es, wie Mac Dowell mit nicht zu vielen Tönen, aber großer Treffsicherheit die ganzen Stimmungen, Zustände und Imaginationen über das Meer facettenreich ausgestaltet.

Längst ist man beim Hören zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf einen einzelnen Komponisten abonniert, sondern fühlt sich idealerweise mit dieser beherzt agierenden Interpretin auf einer Wellenlänge. So, wie sich deren Spiel einfühlsam einem großen, verbindenden Ganzen hingibt, sind ja auch die Weltmeere nicht voneinander isoliert.

Titelfoto © Kaupo Kikkas.

Das Album

Icon Autor lg
Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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