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Einfach Klassik.

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Martin Tchiba Cover

CD-Review: Martin Tchiba – klang collection

Der Pianist Martin Tchiba war bereits mit der ersten Veröffentlichung auf seinem eigenen Label „emt EDITION MARTIN TCHIBA“ hier im Blog zu Gast. Nun folgt die Zweite – „klang collection (electroacoustic compositions)“, die einen großen, evolutorischen Schritt auf seinem Weg als Musiker darstellt, denn seiner hervorragenden, klassischen Klavierausbildung ist der Pianist längst entwachsen. Während Tchiba auf dem ersten Album noch Kompositionen von Johannes Kreidler spielte, ist er auf der neuesten CD selbst als Komponist tätig geworden. Ausserdem kam „Piano Music“ weitgehend durch herkömmliches Klavierspiel in Echtzeit zustande, was der Pianist mit seinen eigenen Kompositionen radikal ändert. Er nimmt den Klavierklang als Grundlage für elektronische Veränderungen und dadurch neu entstehende Klangwelten. Neu? Elektronische Klangmanipulationen begleiten uns jetzt seit vielen Jahrzehnten, aber aus der Perspektive der Wiener Klassik ist es das vielleicht trotzdem. 

klang collection ist natürlich auch ein Produkt der Pandemie, der Pianist hat darin die letzten zwei Jahre verarbeitet, indem er verschiedene Lebensaspekte wie Klänge oder Orte, die ihm in dieser Zeit wichtig waren, herausgegriffen hat, und als Struktur drei „Abteilungen“ – places, dedications, images gewählt hat. Innerhalb jeder Abteilung gibt es dann mehrere Sätze, oder Tracks.

In „places“ wird schnell klar, dass Martin Tchiba nicht nur das Klavier als Klanggrundlage für dieses Album gewählt hat. Der zweite wichtige Bestandteil sind Field Recordings, die er an verschiedenen Plätzen gesammelt hat. Daraus handarbeitet Tchiba interessante, kleine Klangminiaturen, die erstmal für sich stehen. Wie bei vielen Kunstformen bleibt auch hier oft der letzte Schritt zur Grundassoziation des Künstlers nebulös, und der individuellen Interpretation der Hörenden unterworfen. In „perl“ mit dem sich Tchiba auf den gleichnamigen Ort im Saarland bezieht, beschreibt die Assoziation des Ortsnamens mit Spieltechniken am Klavier nicht wirklich gut,  wie der Klang des Stückes die Gefühlswelt des Pianisten widerspiegelt, die er in diesem Ort erlebt hat. Dennoch schafft „perl“ eine ganz eigene Klangatmosphäre, und ein ganz besonderes, emotionales Erlebnis. Gesteigert wird Letzteres dann gleich im folgenden Track „tokyo, shinjuku – turning point“, das mit seinen schlingernden Tonhöhen und vordergründigen Knistergeräuschen begeistert. Eine seltsame Mischung aus beunruhigender Rastlosigkeit, und zurückgelehnter Nachdenklichkeit. 

Diese intensiven, ausdrucksstarken Bilder ziehen sich durch das gesamte Album. Schon nach kurzer Zeit fand ich meine Lieblingstracks, zu denen ich gerne zurückkehre, auch wenn ich sie nicht wirklich beim duschen singe. 

Mit „luisenthal“ erhält ein weiterer Ort im Saarland eine Widmung, nach Tchibas Vermutung wohl zum ersten mal. Den aus einer Melancholie im ehemaligen Bergbauort entstehende „sonderbar schöne Glanz“, wie ihn der Pianist in der Dokumentation zum Album beschreibt, trifft der Musiker hier meiner Meinung nach sehr gut, ich kann mich  beim Hören gut dorthin denken. Leichtes Detuning und viele Sekund und Septimintervalle schaffen widersprüchliche und nachdenkliche Atmosphäre.

Nachdenklich, und vielleicht sogar etwas beängstigend wechselt die Veröffentlichung dann über in den Teil „dedications“, mit „p.o.d.c.a.s.t. – for irene kurka“. Die einzeln eingesprochenen Buchstaben des Wortes „Podcast“ sind zur kompletten Unkenntlichkeit verfremdet, und es entsteht eine unwirklich futuristische Atmosphäre.

Martin Tchiba Portrait
Martin Tchiba

Hübsch fand ich auch „silent walk – for michael denhoff“, in dem entrückte, fast entfernte Akkorde korrespondieren und gleichzeitig kontrastieren mit naturähnlichen Plätscher- und Zwitschergeräuschen. Spätestens hier herrscht wieder Nachdenklichkeit, und hat sich nun längst als ein Thema des Albums etabliert. Tchiba ist ein Zweifler, er weiß nicht schon vorher, wie die Dinge laufen sollen. Er probiert aus, 

baut auf, reißt wieder ein, verrennt sich, und wendet sich dann wieder hoffnungsvoll in eine neue Richtung. Die Zeit in der wir leben lässt alle, die frei von Zweifeln sind unglaubwürdig erscheinen. Martin Tchiba versucht auch einfach nur mit dieser Welt klarzukommen, sein Mittel dazu ist die Musik. 

Für eine Schlussrede kommen aber noch zu viele, interessante Tracks auf der CD, zum Beispiel das fast komplett aus geräuschhaften Anteilen aufgebaute „logic – for christian jendreiko“, das durch seine ungewöhnlichen Abfolgen ein eigenartiges musikalisches Arrangement erstellt.  

Oder die „oiseaux“-Reihe, eine Trilogie innerhalb des letzten Teils „images“, in der Tchiba den Namen Programm sein lässt, und vogelähnliche Klangsphären erzeugt. 

Und dann ist da noch „gliss“, das mittels Tonhöhenverschiebungen im Glissando den ursprünglichen, natürlichen Klavierklang ad absurdum führt.

In meinem anderen Leben als Connoisseur der elektronischen Tanzmusik würde ich das hier als sehr besonderes Ambient-Album bezeichnen, was es an einigen Stellen tatsächlich auch ist. Gerade einige geräuschhafte Elemente erinnern mich manchmal an die Arbeit von Geir Jenssen. Und auch Tchiba geht den Weg von kleinsten Werkzeugen wie Klangschnipseln, mit und aus denen er hübsche Miniaturen bastelt, hin zu dann doch wirklich großen Gesamtkonstrukten in beeindruckenden Klangatmosphären. Easy Listening ist das nicht, als ich das Album tatsächlich mal während des Kochens (sic!) anhören wollte, da sind mir dessen Töne und Geräusche komplett im Sound der Bratpfanne untergegangen, aber bei konzentriertem Hören mit Ruhe öffnet sich eine ganz neue Welt, in die man gehen kann.

Die CD ist hier bestellbar.

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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