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Einfach Klassik.

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CD-Review: Miguel Kertsman: 3 Concertos & Chamber Symphony No. 2 „New York of 50 Doors“

Wenn ich als Kind ein verheissungsvolles Geschenk bekommen habe, das ich gleich auspacken durfte, dann hatte ich schon dieses aufregende Gefühl. Heute ist das nicht mehr so stark, bei Geschenken. Wenn ich aber eine Aufnahme entdecke, die mich begeistert, wenn ich sie kennenlerne, und erfasse, wieviel Spaß mir dass betreffende Stück Musik noch bereiten wird, dann ist es wieder da, das herzklopfende Verlangen danach, mehr von diesem Geschenk zu erleben. 

Spätes Glück

Die Veröffentlichung “Miguel Kertsman: 3 Concertos & Chamber Symphony No. 2 „New York of 50 Doors”” ist so ein Fall, bereits Ende 2018 erschienen, aber erst jetzt in meinen Player gespült. Das London Philharmonic Orchestra spielt darauf unter der Leitung von Dennis Russell Davies drei Konzerte, sowie die zweite Kammersymphonie des Komponisten.

Miguel Kertsman ist ein brasilianisch-amerikanischer Komponist, der mittlerweile in Wien lebt. Seine Ausbildung erhielt er in Brasilien und den USA, dort dann am Berklee College of Music in Boston, und an der Juilliard School in New York. Viele seiner Werke wurden bereits veröffentlicht und von bekannten Orchestern aufgeführt.

Seine stilistische Vielseitigkeit ist einer der interessanten Aspekte seiner Kompositionsarbeit, arbeitet er ja nicht nur symphonisch, und in der Kammermusik, sondern auch viel im Fimscoring, Gamescoring und für Dokumentationen, nicht zu vergessen eine seiner kompositorischen Grundrichtungen: den Jazz. Und nicht wirklich überraschend, dafür aber umso interessanter wird der genauere Blick in seine Werke, bei dem man schnell merkt, dass diese Stilvielfalt nicht nur in seinem Portfolio Abbildung findet, sondern dass auch innerhalb einzelner Kompositionen, diese verschiedenen Strömungen zueinander finden.

Stilistische Vielfalt

Gerade in Kertsmans neuester, großer Veröffentlichung “3 Concertos & Chamber Symphony No. 2 „New York of 50 Doors”” wird das eindrucksvoll deutlich. In der “Journey for Bassoon and Orchestra” ist der Jazz im zweiten Hauptsatz “New York” schon sehr präsent, hier lässt Kertsman sogar volle Band-Arrangements mit Klavier, Saxophon, Kontrabass und Drumset ausspielen, um dann plötzlich wieder mit den Streichern symphonisch zu werden, ohne aber später der Versuchung widerstehen zu können, den Kontrabass wieder in energiereiche Walking-Bass-Linien zu treiben. Auch die Streicher spielen dann gerade in diesem Satz viele Jazz-Harmoniken mit, was natürlich für den klassischen Musiker auch eine Herausforderung in der adäquaten Interpretation sein kann.

Auch im dritten Satz des “Concerto Brasileiro” “Repentes. Baião, Xaxado con brio” ist der Jazz allgegenwärtig, und wird auch mit händischen Klatscheinlagen gespielt. Hier geht das Orchester aber auch über in groß gemalte Szenerien, die gerne im Filmscoring abgerufen werden, wobei ab und zu sogar manche orientalische Tonskala aufblitzt.

Das London Philharmonie Orchestra unter Dennis Russell Davies zeigt hier größtmögliche Flexibilität, natürlich unterstützt von ausgiebiger, zusätzlicher Instrumentierung. Mit auffallender Spielfreude verbinden die Ensemblemusiker und die Solisten immer wieder die verschiedenen musikalischen Ebenen, führen den Zuhörer von ihrer eigenen Neugier bestimmt durch die vielen Wandlungen, die diese Musik durchlebt.

Archaische Klänge

Im “Concerto for Violin, Horn, Shofar & Orchestra” bringt der Solist Gergely Sugar vielen Hörern das Schofarhorn näher. Dieses alte Musikinstrument aus dem vorderen Orient, das ursprünglich aus dem Horn eines Widders hergestellt wurde, war gänzlich neu in meiner Hörerfahrung. Ich war schon sehr überrascht von der Kombination dieser altertümlichen Klänge mit dem gewohnten Symphonieorchesterklang. Anfangs war das für mich wirklich gewöhnungsbedürftig. Nicht, dass ich als reger Konsument Neuer Musik nicht an freie Stimmungen gewöhnt wäre, aber dieser archaische Klang des aus jüdischer Tradition stammenden Schofarhorns scheint auch im musikalischen Kontext des Albums aus einer anderen Zeit zu kommen. So bleibt es auch anspruchsvoll eine Verbindung mit den beiden anderen Solisten, der Violine und dem Horn zu schaffen, auch wenn die Musiker mit viel Fertigkeit und Geschick aufeinander zugehen, mit großer Neugier durch die Topographie des Werkes schreiten. Insgesamt ist dieses Konzert aber ein äusserst spannendes Zusammenspiel zwischen vier verschiedenen Beteiligten, das niemals langweilig oder zu Gewohnheit wird.

Miguel Kertsman: 3 Concertos
Miguel Kertsman, Foto von Elle Halley, Harry Leckstein

In “Chamber Symphony No. 2 „New York of 50 Doors”” das bewusst als Stück mit deutlichen Jazz-Einflüssen kommissioniert worden war, findet der Hörer zum Abschluss der Veröffentlichung nochmal diese gekonnte Stilmischung des Komponisten, in der Kertsman aber immer konzertant bleibt, und klar herausstellt, dass seine Musik immer aus dem klassischen Kontext kommt.

Alle die sich freuen auf vielfältige Veröffentlichungen der Neuen Musik, vor allem wenn sie so hohe Variabilität in Komposition und Interpretation zeigen, sind angehalten dieses Album zu hören!

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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