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Einfach Klassik.

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Das verlorene Paradies – Langgaards Antikrist an der Deutschen Oper Berlin

Kaum eine Ära wird so sehr verklärt, nostalgisiert und sehnsuchtsvoll auf sie zurückgeblickt, wie die 1920er Jahre. Die Goldenen Zwanziger, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, unbeschwerter Lebensart, hedonistisch motivierter Exzesse und dekadenter Ausschweifungen.

Zu dieser Zeit entstand Antikrist, die einzige Oper des 1893 in Kopenhagen geborenen Komponisten Rued Langgaard. Zeitlebens ein Exzentriker und Außenseiter, steht er auch heute noch im Schatten seines Landsmanns, dem Komponisten Carl Nielsen. Langgaards Werk wurde schnell vergessen und auch Antikrist wurde – bereits direkt nach Fertigstellung der Komposition in den 1920er Jahren zurückgewiesen und abgelehnt – erst Ende des 20. Jahrhunderts „wiederentdeckt“ und endlich uraufgeführt. Im Zuge dieser Wiederentdeckung widmete man sich auch der Aufnahme seines symphonischen Werks und seit einigen Jahren findet in Dänemark das Rued-Langgaard-Festival statt. Ein später Ruhm für den verkannten Künstler – vielleicht war seine Musik zu visionär, zu sehr seiner Zeit voraus. Denn Antikrist handelt von der ausschweifenden Dekadenz der westlichen Welt, die kein Maß kennt und sich im eigenen geistigen Zerfall suhlt und ist damit nicht nur bezeichnend für die Goldenen Zwanziger, sondern bildet auch erschreckend genau die Gesellschaft in unserer heutigen Zeit ab.

Peregrino
Peregrino, Copyright (C) Thomas Aurin

Durchsetzt von den biblischen, apokalyptischen Visionen der Offenbarung des Johannes, in denen der Antichrist, entsandt von Satan, das Ende der christlichen Welt heraufbeschwört, mit ihm bringend die große Hure, das Tier in Scharlach, den Hass und die Lüge. Diese Kirchenoper ähnelt formell einem Oratorium und behandelt das Ende der Welt auf rätselhafte, symbolisch verschlüsselte Art und Weise.

Musikalisch merkt man der Oper – entsprechend Langgaards kompositorischem Stil – die Spannung zwischen Romantik und Moderne an. Inspiriert von Strauss und Wagner, aber durchaus auch erinnernd an seine Zeitgenossen – man hört den frühen Schönberg oder gelegentlich Hindemith durch – lässt sich sein Stil nicht eindeutig einordnen. Stattdessen ist Antikrist geprägt von eindrucksvoll sphärischen Klängen, durchsetzt von kirchenmusikalischen Merkmalen (z.B. Orgel oder Glocken), als wollte die spätromantische Musik seiner oratorisch geprägten, eschatologischen Kirchenoper eine neue Ära einläuten.

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Stephan Zilias vermochte diese Charakteristika interpretatorisch eindrucksvoll umzusetzen. Zilias spannte große Bögen mit einem lebendigen Dirigat und einem mühelosen Wechsel der Kontraste zwischen Spätromantik und Frühmoderne. Das Orchester erklang in strahlender Virtuosität mit ätherischen Klängen, die immer wieder in sich zusammenbrechend den Pessimismus der endzeitlichen Stimmung widerspiegelten, letztlich aber auch Lichtblicke der Hoffnung zuließen.

Wer bei apokalyptischen Visionen an die Holzschnitte Albrecht Dürers denkt, wird in Mondtags Inszenierung in eine ganz andere Richtung gelenkt. Mit einem perspektivisch verzerrten Bühnenbild finden sich die Charaktere auf einer Straße, auf der das Leben der Großstadt, zahllos von Künstlern des Expressionismus und zur Zeit der Weimarer Republik dargestellt, stattfindet. Eine Welt zwischen Kirchner und Caligari – wie geputscht auf LSD mit leuchtend bunten Farben und starken Kontrasten – zieht einem geradezu hypnotisierend in ein Gemälde hinein. In der Gosse wird vom Paradies gesungen: Mondtags Bildsprache ist grell, kontrastreich, aber auch rätselhaft und mystifizierend – aber stets beeindruckend und packend.

Die zahlreichen Tänzerinnen und Tänzer schaffen ein Tableau Vivant einer dekadenten, dem Untergang geweihten Gesellschaft. Hedonistisch zeigt sich hier die hässliche Fratze des Kapitalismus, verstärkt von Katastrophen, Epidemien, Endzeitstimmung. Doch es ist nur eine scheinbare Realität – immer wieder überzieht die Szenerie ein Bildrauschen wie bei einem Fernseher – und lässt uns als Betrachter wie bei der Offenbarung des Johannes in eine Art Zukunftsvision blicken: Das Ende wird kommen, doch noch ist die Erlösung möglich. Und die Intervention kommt: Gott interveniert letztlich und befreit die Welt vom Bösen.

Ersan Mondtag spielt mit den Geschlechtern. Dargestellt wird dies von Jonas Grundner-Culemann als Gottes Stimme. Er kriecht auf die Bühne, von losen Hautlappen übersäht und ähnelt so eher Frankensteins Monster. Über ihm hängt eine überlebensgroße Figur, die ihm gleicht – bis auf die Geschlechtsmerkmale. Seine Figuren sind genderfluide – die große Hure mit Penis und der am Galgen hängende Gott mit Vulva – diese als männlich und weiblich zu bezeichnen, würde seinen Intentionen wohl weniger gerecht werden, steht stattdessen wohl die Ambiguität der Geschlechter im Vordergrund und lassen bei der Darstellung Gottes wohl auf das dualistische Prinzip der Göttlichkeit schließen.

Lehman, Stucki, Glueckert
Lehman, Stucki, Glueckert, Copyright (C) Thomas Aurin

Antikrist wurde sowohl szenisch als auch gesanglich zu einer beglückenden Ensembleleistung, allen voran der Alptraum-verheißende Auftritt Jordan Shanahans als Hass mit verzerrter Fratze.
Regine Hangler, die umsetzungsbedingt die große Hure von der Seite sang, tat dies mit einnehmend dramatischer Sopranstimme. AJ Glueckert als das Tier in Scharlach beeindruckte mit hellem, kraftvollem Tenor und Irene Roberts als Rätselstimmung rundete die durchweg positiven Leistungen des Abends mit mesmerisierendem Gesang ab.

„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“, hat Mark Twain angeblich gesagt und wie auch vor 100 Jahren scheinen wir ums in einer dekadenten Gesellschaft des Hyperkapitalismus, der Verschwendung, zwischen Naturkatastrophen und wahrscheinlich kurz vor einer weiteren Krise

Langgaards Antikrist war die erste Oper, die an der DOB der Pandemie zum Opfer fiel und nun, in einer Zeit, in der wir täglich neue Rekordinzidenzen beobachten, ist die Produktion aktueller denn je. Doch während wir uns in einer Endzeitstimmung befinden, endet die Oper überaus optimistisch und lässt auch uns hoffen.

Mit der Frage: „Haben wir denn gar nichts aus der Geschichte gelernt?“ trifft Langgaards Oper einen Nerv und ist aktueller denn je. Das Warten auf diese Wiederentdeckung als sich also gelohnt und Langgaards Zeit scheint endlich reif zu sein.

Rezensierte Veranstaltung

Deutsche Oper Berlin, 11.02.2022

Antikrist, Oper von Rued Langgaard
Regie, Bühne: Ersan Mondtag
Kostüme: Ersan Mondtag, Annika Lu Hermann
Mit Thomas Lehman (Luzifer, Eine Stimme), Jonas Grundner-Culemann (Gottes Stimme), Valeriia Savinskaia (Das Echo der Rätselstimmung), Irene Roberts (Die Rätselstimmung), Clemens Bieber (Der Mund, der große Worte spricht), Gina Peregrino (Der Missmut), Die große Hure (Flurina Stucki), AJ Glueckert (Das Tier in Scharlach), Andrew Dickinson (Die Lüge), Jordan Shanahan (Der Hass) u. a.
Chor und Opernballett der Deutschen Oper Berlin
Titelfoto: Copyright (C) Thomas Aurin

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Alexandra Richter ist Journalistin und Filmemacherin aus Frankfurt. Ihre Leidenschaft zu Oper und klassischer Musik entwickelte sich im Studium. Ihre erste Opernvorstellung war Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, die sie sehr beeindruckte und auch ihren Musikgeschmack nachhaltig beeinflusste. Momentan interessiert sie sich vorrangig für die Opern der Moderne, aber auch romantische Opern (v.a. von Richard Wagner) gehören zu ihren Schwerpunkten, wobei zeitgenössische Musik und Opernraritäten ebenfalls Beachtung finden.
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