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Einfach Klassik.

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Interview mit der Gitarristin Heike Matthiesen

Die international gefragte Konzertgitarristin Heike Matthiesen hat soeben ihre fünfte CD-Aufnahme vorgelegt. Zum zweiten Mal geht es um Komponistinnen. Sämtliche aufgenommenen Werke sind Wiederentdeckungen aus dem 19. Jahrhundert – einer Zeit, wo der Berufsstand des Komponierens vor allem eine männliche Domäne war. Heike Matthiesen forscht zu diesem Thema im Frankfurter Archiv Frau und Musik. Die neue CD sorgt für noch mehr Ausstrahlung ihres Forschungsprojektes und lässt das Netzwerk weiter wachsen. Stefan Pieper traf die leidenschaftliche Gitarristin und Musikferkunderin direkt an ihrer Wirkungsstätte, dieser behaglichen kleinen Archiv-Bibliothek, die wohl die beste und weltweit größte Wissenssammlung über Komponistinnen in Geschichte und Gegenwart darstellt.

Erzählen Sie über die Vorgeschichte zu diesem Aufnahmeprojekt.

Meine Initialzündung war, als mich im Jahr 2012 ein Festival-Direktor im Saarland beauftragte, zwei Werke von Sylvie Bodorova, einer mir völlig unbekannten tschechischen Komponistin mit einem Orchester aufzuführen.
Ich habe mich auf dieses Abenteuer eingelassen und war von dieser sensationellen Musik begeistert. Dieses Erlebnis weckte meine Lust, weiter zu forschen und Komponistinnen, die heute kaum bekannt sind, zu sammeln und auch aufzunehmen. Mit dem neuen Album „Guitar Divas“ erfährt dieses Projekt nun schon seine zweite Auflage. Mir ist bewusst, dass ich damit eine Art Avantgarde repräsentiere, weil es bislang nur eine Handvoll Aufnahmen mit Werken von Komponistinnen für Gitarre gibt. 

Ihr künstlerisches Anliegen geht also mit einer musikwissenschaftlich-soziologischen Neugier einher? 

In mir wuchs das Selbstbewusstsein, dass ich wirklich Expertin auf diesem Gebiet bin. Ich habe mittlerweile ca.1000 Komponistinnen gesammelt, die für Sologitarre geschrieben haben. Allerdings handelt es sich hier zum Großteil um noch lebende Komponistinnen. Die meist ältere Musik ist verschollen. Es gibt unglaublich viele Gemälde mit Frauen, die Gitarre spielen, aber die Musik von Frauen wurde selten gedruckt. Auch die Handschriften sind nicht aufbewahrt worden. Ich habe eine Komponistinnen-Datenbank erstellt und überlegt, ob ich eine Doktorarbeit oder ein Buch daraus machen soll. Aber ich wollte nichts auf die lange Bank schieben, sondern habe alles frei ins Internet gestellt. Es soll möglichst schnell Verbreitung finden, damit die Leute was draus machen können.

Wie lässt sich das Repertoire auf dem neuen Album charakterisieren?

Es ist sehr viel hochvirtuose technisch anspruchsvolle Musik dabei. Und die Grundstimmung ist pure Schönheit. Das ist übrigens auch mein Kernanliegen hier. Das Eröffnungsstück, ein Prelude von Emilia Giuliani, ist eines der bekanntesten unbekannten Stücke. Es ist als Erkennungsmelodie der Radiosendung „Musikstunde“ im SWR2 sehr gut bekannt. Das kennen viele Leute, ohne dass sie wissen, dass sie es kennen. Es ist ein hochspannendes Stück: Die Mehrstimmigkeit mäandert durch alle möglichen Tonarten. Abgesehen von der technischen Herausforderung, wenn ein Barrégriff nach dem nächsten kommt. Übrigens handelt es sich bei den meisten Stücken auf dieser CD um Weltersteinspielungen. Ich gehe davon aus, dass einige der Stücke überhaupt erst seit 100 Jahren zum ersten Mal wieder gespielt worden sind. 

Guitar Divas Cover

Erzählen sie mehr über die Lebensschicksale der vier Komponistinnen auf dieser CD.

Emilia Giuliani-Guglielmi, Anne Emmerich, Catharina Josepha Pratten und Maria Dolores de Goni stehen für vier verschiedene Lebenswege, die alle exemplarisch für ihre Zeit waren. Die eine ist verschollen , die andere ist relativ früh verstorben und eine hat ein wildes Leben gehabt, in dem aber nicht viele Kompositionen überlebt haben, nur vier Originalwerke, von denen drei auf diesem Album vertreten sind. Die vierte ging geradezu avantgardistisch zu Werke und hat ihren eigenen Verlag gegründet. Es ist mir immer noch ein Rätsel wie Catharina Josepha Pratten das unter diesen Umständen gemacht hat. Sie ist eine absolute Ausnahmerscheinung darin, dass sie bis ins höchste Alter komponiert und gearbeitet hat. Aber sie hat es irgendwie unter diesen Bedingungen geschafft, künstlerisch zu überleben.

Haben Sie eine Erklärung, woran das lag? 

Sie war eine Ausländerin in England, weswegen sie aus den dortigen gesellschaftlichen Gepflogenheiten heraus gehoben war. Ihr Vater hat die erste reguläre Gitarrenzeitschrift herausgebracht – weltweit. In der Familie war viel unternehmerischer Geist drin. 

Warum ist diese Biografie so eine Ausnahmeerscheinung geblieben? 

Vieles hat mit sozialen Zwängen in dieser Zeit zu tun.Viele Karrieren waren exakt mit dem Datum der Heirat zu Ende, siehe Anne Emmerich. Eine anständige Frau hat normalerweise nicht öffentlich mit Musik Geld verdient. Viele Frauen, gerade in höheren Kreisen, waren gut ausgebildet. Aber sie konnten nicht öffentlich daraus etwas machen. 

Warum durfte eine Frau keinen Beruf ausüben als Musikerin?

Es gehörte zur gutbürgerlichen Erziehung, dass Frauen ihren Status verbessern konnten mit einer guten Ausbildung. Aber immer nur bis zu einem gewissen Level. Eben gerade so, dass es als Qualifikation auf dem Heiratsmarkt reichte. Öffentlich aufzutreten und auch noch von der eigenen Kunst leben, das war unmoralisch. Selbst eine Fanny Hensel spielte keine offiziellen öffentlichen Auftritte, sondern hatte einen privaten Salon, auch wenn der bis zu 300 Menschen fasste. Ansonsten blieb ausübenden Musikerinnen höchstens eine Handvoll Wohltätigkeitskonzerte. Es galten aber immer die Konventionen im eigenen Land. Im Ausland galten sie nicht mehr. Clara Schumann z.B konnte in England problemlos auftreten. Es gab schon eine unglaubliche Doppelmoral. Drei der auf meiner CD präsentierten Komponistinnen konnten weitermachen, weil sie Musiker geheiratet hatten. 

Wie verhält es sich speziell mit der Gitarre? Wie war dieses Instrument konnotiert?

Soziologisch gesehen war die Gitarre ein „unhöfisches“ Instrument. Zugleich war sie ein ausgesprochenes Modeinstrument über lange Zeiträume – eben auch, weil die Gitarre so mobil und vielseitig einsetzbar war. Auch große Komponisten wie Weber oder Schubert haben leidenschaftlich Gitarre gespielt. Von denen existieren aber keine Solostücke, denn die haben meist improvisiert. Von Berlioz gibt es immerhin eine Reihe einfacherer Stücke und Lieder. Man kann sagen, für die Dame von Welt hatte die Gitarre eine besondere Blütezeit in den Salons des frühen 19.Jahrhunderts und sie spielte auch in dem ganzen Wunderkind-Business eine große Rolle, eben weil man mit der Gitarre auch gut auf Reisen gehen kann. Tagebücher geben Aufschluss, wie Musik auf der Gitarre der Abendunterhaltung diente. In Konzertprogrammen erscheint Gitarrenmusik eher seltener. Viele Bilder zeugen davon, dass bestimmte Spielhaltungen der Gitarre als unsittlich galten. Es wurde zum Beispiel bis ins 20.Jahrhundert hinein eine besonders „unverfängliche“ Damenhaltung propagiert.

Heike Matthiesen, Foto © Kaupo Kikkas
Heike Matthiesen, Foto © Kaupo Kikkas

Wir sehen Sie heute die Stellung der Gitarre im Konzertleben?

Die Gitarre ist nie bis in die extreme Kunstmusik vorgedrungen und war auch nie ein offizieller Bestandteil des Sinfonieorchesters. Dafür umgibt sie immer noch etwas Exotisches. Die Vermarktung im 20. Jahrhundert reduziert die Gitarre allzu sehr aufs Folkloristische. Und auch das heutige Marketing sieht für die Gitarre meist immer noch den schmachtenden Latino vor. Die meisten Big Jobs auf den großen Konzertbühnen kreisen um diese Klischeevorstellung.

Andererseits ist eine große Durchlässigkeit zwischen sogenannter U- und E-Musik eine Chance für dieses Instrument. Wir sind in positiver Hinsicht Grenzgänger und waren die ersten, die den Tango in klassische Konzerte eingebaut haben, bevor Gidon Kremer und Barenboim damit um die Ecke kamen und wir spielen nach einem Bach gerne mal einen Bossa Nova.

Sie sind ja erst relativ spät auf die Gitarre gekommen, richtig?

Ich habe zunächst sehr lange Klavier gelernt und gespielt und erst mit 18 die ersten Gitarrenstunden genommen. Aber ein Jahr später war ich schon an der Hochschule. Ich konnte mir alles sehr schnell erschließen, weil die ganzen Fähigkeiten zum Musikmachen schon da waren – vor allem das Denken in zwei verschiedenen Händen. Ich brauchte ja nur noch das eine in etwas anderes zu übersetzen. Für einen Durchbruch auf dem eigentlichen Musikmarkt war es zugegebenermaßen schon etwas spät, weil es gerade auf Wettbewerben und Festivals vor allem auf das jugendliche Alter ankommt. Aber ich habe einen anderen Weg gefunden: Vor allem ist das Internet mein bevorzugter Verbreitungskanal geworden.

Wie gehen Sie hier vor? 

Ich war eine der ersten „Millionäre“ auf Youtube, was die Klickzahlen betrifft. Und ich bin sehr engagiert auf Spotify und co. Ich habe zum Beispiel eine Playlist auf Spotify gemacht mit den Werken von Komponistinnen, bin aber auch auf vielen anderen Plattformen unterwegs, wo meine Stücke tatsächlich überraschende Klickzahlen erreichen. Als die Sache damals aufkam, habe ich mich sofort mit aller Energie in die Sache reinbegeben und immer dran geblieben. Wir Musikerinnen und Musiker von heute kommen doch darum garnicht mehr herum. Die Begeisterung hat angehalten. Auch, als ich im Krankenhaus lag, habe ich noch Kurse über das Internet gegeben.

Stichwort Krankenhaus – es gab ja einen tiefen Einschnitt in Ihrem Leben. Möchten Sie mehr darüber erzählen?

Ein paar Monate vor der Pandemie habe ich mir schwarzen Hautkrebs eingefangen. Vor 10 Jahren wäre meine Diagnose ein sicheres Todesurteil gewesen. Heute ist die Forschung weiter und es gibt andere, neue Medikamente. Da sieht die Situation ganz anders aus. Vor allem aber bringe ich einen absoluten Lebenswillen mit. Ich war vor meiner Erkrankung kerngesund. Später, während der schwierigsten Phasen der Krankheit war ich bereit, alles mitzumachen, was die Klinik von mir verlangt. Man sagte mir, es könnte sein, dass ich noch sehr lange leben kann. Und deswegen habe ich das Bild im Kopf, dass ich mit 90 bei den Berliner Philharmonikern debutieren will, so wie Menachem Pressler. Das habe ich meinen Ärzten gesagt, und die haben geantwortet, dass sie dafür jetzt schon Karten reservieren.

Heike Matthiesen, Foto © Kaupo Kikkas
Heike Matthiesen, Foto © Kaupo Kikkas

Die Arbeit an der CD fiel ja auch in diese Zeit.

Ich hatte gerade das „Upgrade“ bekommen, daß ich jetzt auf Stufe „unheilbar“ bin,  da bin ich ins Studio gegangen und habe angefangen, die Musik für diese CD aufzunehmen, eben, weil dieses Programm wichtig ist. Ein Crowdfunding gab mir ein zusätzliches positives Feedback, dass ich den Nerv vieler Menschen treffe damit. 

Ich bin so glücklich, dass ich bei ARS gelandet bin. Für das Big Business im Konzertbetrieb bin ich mit meiner Krankheit ein Risikofaktor und werde da wohl auch nie ankommen. Aber andersherum bin ich mittlerweile viel gefragt, weil man genau mich mit meiner Geschichte sucht. Ich gehe ja auch ganz offen mit meiner Krankheit um.

Was haben Sie für Bilder für ihre Zukunft, was möchten Sie noch erreichen?

Meine Hoffnung wäre vielleicht, dass ich ein „neues Concierto de Aranjuez fürs 21. Jahrhundert“ spiele und ich dafür auch den Kompositionsauftrag gebe – an eine Komponistin wohlgemerkt! Ich möchte bis dahin von meinem Wissen, was Komponistinnen betrifft, noch ganz viel weitergeben. Ich sehe mich in vielerlei Hinsicht als Dominostein-Anstupserin.

Heike Matthiesen, vielen Dank für dieses Gespräch!

Titelfoto © Kaupo Kikkas

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Musik und Schreiben sind immer schon ein Teil von mir gewesen. Cellospiel und eine gewisse Erfahrung in Jugendorchestern prägten – unter vielem anderen – meine Sozialisation. Auf die Dauer hat sich das Musik-Erleben quer durch alle Genres verselbständigt. Neugier treibt mich an – und der weite Horizont ist mir viel lieber als die engmaschige Spezialisierung, deswegen bin ich dem freien Journalismus verfallen. Mein Interessenspektrum: Interessante Menschen und ihre Geschichten „hinter“ der Musik. Kulturschaffende, die sich etwas trauen. Künstlerische Projekte, die über Tellerränder blicken. Labels, die sich für Repertoire-Neuentdeckungen stark machen. Mein Arbeitsideal: Dies alles fürs Publikum entdeckbar zu machen.
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