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Einfach Klassik.

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CD Cover

Interview mit Flore Merlin und Lionel Andrey zur CD COLOR GRADIENT

Flore Merlin, eine französische Pianistin, und der Schweizer Klarinettist Lionel Andrey spielen seit längerem immer wieder zusammen. Nun haben sie ihre CD COLOR GRADIENT eingespielt mit Klängen aus der Alten und der Neuen Welt und dabei verschiedene Musikstile wie Klassik und Jazz mit auf diese Reise genommen. Doch zunächst wollte ich von den beiden Musiker*innen wissen, wie und wo sie sich kennengelernt haben. 

Flore Merlin: Wir haben uns 2011 in Helsinki getroffen. Da war ich bereits im Rahmen des Erasmusprogramms gewesen und kam noch einmal dorthin für mein Masterstudium.

Lionel Andrey: Wir studierten beide an der Sibelius-Akademie und trafen uns in einem Kurs für Pianisten, wo es um die Begleitung mit dem Klavier ging.

Flore: Ja, aber dorthin konnten alle Musiker mit allen Instrumenten kommen, die das Repertoire ansprach; der Schwerpunkt lag auf deutscher Musik. Wir hatten einen wundervollen Professor. 

Lionel: Wir Studenten wurden ganz zufällig zusammengebracht. Wir sprachen ja beide Französisch als Muttersprache und kamen so in eine Gruppe. Wir spielten zusammen und das brachte uns so viel Spaß und es passte so gut, dass wir auch später gemeinsam musizierten.

Flore: Wir haben eine sehr ähnliche Art, Musik zu hören und über sie nachzudenken und wir haben die Art und Weise, wie unser Lehrer uns gemeinsam gefördert hat, sehr geschätzt. So war es für uns sehr angenehm und auch wirklich einfach, gemeinsam zu spielen. Ich denke, auch unser Professor hatte einen großen Einfluss auf unsere Art des Spielens. Wir hatten dieselbenVorstellungen von Musik. Wir waren ein Blatt mit zwei Seiten.

Was genau verstehen Sie darunter?

Flore: Wir wollen beide sehr präzise sein und nichts einfach von uns aus zu der Musik hinzufügen. Natürlich möchten wir uns auch durch unser Spielausdrücken, aber wir sind sehr gewissenhaft und auch respektvoll gegenüber dem, was in der Komposition notiert ist. Einige Musiker geben sehr viel von ihrer persönlichen Energie in ihr Spiel. Es ist immer etwas heikel darüber zu sprechen. Es könnte sich anhören, als ob wir einfach nur die Noten wiedergeben. Natürlich geht es darüber hinaus.

Lionel: Wesentlich ist für uns immer die Frage, warum interpretieren wir ein Stück so, wie wir es tun, und die Antwort müssen wir immer in der Komposition finden. Es reicht uns nicht zu sagen, ach, das haben wir gerade so gefühlt. Wir wollen wirklich in das Original eintauchen. 

Flore: Alles muss sich für uns sehr logisch und organisch anhören. Wenn wir beispielsweise zwei Phrasen haben, muss der Übergang dazwischen fließend und natürlich sein. Es sei denn, die Musik verlangt abrupte Wendungen, dann geben wir die selbstverständlich auch so wieder. In unseren Proben versuchen wir immer herauszufinden, wo der Ursprung der jeweiligen Musik ist. Wir sprechen viel darüber.

Lionel: Aber das Schöne ist, dass wir da ein gemeinsames Verständnis haben. Wir müssen über die Art unserer Interpretation nicht großartig diskutieren. 

Flore: Ich glaube, es ist eine Frage des Rhythmus‘. Wir fühlen den gleichen Beat. Das hat auch etwas mit physischer Wahrnehmung zu tun. Und da wir uns da sehr ähnlich sind, ist es für uns ganz einfach, zusammen zu spielen.

Sie spielen schon mehr als zehn Jahre zusammen. Haben Sie schon mehrere Projekte gemeinsam gemacht?

Flore: Dies ist unsere erste gemeinsame Aufnahme einer CD. Wir leben in unterschiedlichen Ländern und treffen uns so oft wir können für Konzerte. Die Idee, intensiver zusammenzuarbeiten, hatten wir schon lange. Und jetzt konnten wir uns endlich die Zeit dafür nehmen.

Lionel: Wir habe ein Repertoire an gemeinsamen Stücken, aber nun wollten wir ein zusammenhängendes Programm entwickeln. Wir haben es schon mehrfach in Frankreich und der Schweiz aufgeführt, und weil dem Publikum diese Zusammenstellung unserer Stücke so gut gefallen hat, haben wir uns entschlossen, daraus eine CD zu machen. Ich hatte mich für meinen Masterabschluss in Basel mit amerikanischer Musik – Gershwin, Bernstein etc.– beschäftigt. Und da wir beide Debussy sehr lieben, kam uns die Idee, Europa und Amerika musikalisch zu verbinden. 

Wie hat diese Verbindung für Sie konkret ausgesehen?

Lionel: Wenn ich ehrlich bin, langweilt mich ein Konzert, in dem eineinhalb Stunden Musik verschiedener europäischer Komponisten gespielt wird. Ich mag die Abwechslung und Vielfalt. In unserem Programm haben wir schnelle Wechsel und trotzdem gibt es eine große Linie und damit eine Kontinuität. 

Was verstehen Sie unter dieser gemeinsamen Linie?

Lionel: Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Wenn wir unsere Stücke spielen, fühlen wir die Verbindung, aber wie soll ich das beschreiben? Es ist eine Art Evolution der Harmonien, angefangen bei der Klassik hin zum Jazz.  Wir beginnen mit der französischen Klassik und dann kommen mehrere Farben hinzu.

Flore: Der Rhythmus entwickelt sich von Charles-Marie Widor bis zu Daniel Schnyder, die Musik wird zuzusagen immer tanzbarer. Bei Bernstein ist es sehr klar, das sind wundervolle Melodien, auch wenn die Phrasen langsam sind, aber sie sind sehr jazzig und haben Groove. Die Stücke von Schnyder, Bernstein und Templeton sind eine Art niedergeschriebener Jazz. Insbesondere bei Daniel Schnyder sind die Stücke eigentlich improvisiert, aber dann auch notiert – das ist eine Art paradoxer Musik. Wie sollen wir die Sonate von Schnyder nennen, „einfacher Jazz“ für klassische Musiker. Er ist ein Jazzmusiker.

Lionel: Er ist ein Jazzsaxophonist, der in New York lebt. Er ist Schweizer, aber in den 90er-Jahren nach New York gezogen. Ich habe ihn einige Male getroffen. Und er hat mir gesagt, er schreibe Jazz für klassische Musiker. Er möchte, dass es sich wie Jazz anhört, aber es ist durchkomponierte Musik. 

Würde Sie es als Crossover bezeichnen?

Lionel: Vielleicht, allerdings müsste dann auch noch die „normale“ Klassik durchklingen und das ist bei Schnyder nicht so.

Flore: Ich habe viele Menschen getroffen, die mir gesagt haben, ach, mit deinem Hintergrund ist es doch bestimmt einfach, Jazzmusik zu spielen. Ich empfinde es nicht so. Es ist für mich eine völlig andere Sprache. Nicht nur das – es ist für mich eine gänzlich andere Denkweise, Du musst ganz anders denken. Aber es bringt uns gleichzeitig sehr viel Freude, eine Art Jazz zu spielen, ohne wirklich Jazzmusiker zu sein. Damit will ich nicht sagen, dass wir eine Art „Möchte-gern Jazz“ spielen. Die Kompositionen erlauben uns, diese Musik wirklich tief zu durchdringen. Und es gibt ja auch noch andere Einflüsse neben dem Jazz.

Lionel: Es gibt bei Schnyder auch einen Einfluss von der Musik vom Balkan mit sehr unregelmäßigen Rhythmen oder mit lateinamerikanischen Rhythmen, das ist gar nicht so einfach zu definieren.

Flore Merlin
Flore Merlin

Zeichnen Sie also eine musikalische Entwicklung mit Ihrer Auswahl nach?

Flore: Von Widor über Debussy wird die Musik immer weniger hierarchisch an die Tonalität gebunden, Bei Widor ist alles noch sehr tonal, während Debussy sehr viel fließender wirkt mit einer Art Pentatonik; das ist nicht abstrakt, aber nicht mehr so extrem an das Gerüst der tonalen Musik gebunden. Er ist sehr lyrisch und auch verspielt und damit gibt es für mich die Verbindung zu Bernstein und so den Sprung nach Amerika. Am Ende der CD wollten wir gern eine Art Resümee unserer musikalischen Reise ziehen. Wir haben einen Freund von mir gefragt – einen jungen sehr hervorragenden Komponisten – ein kleines Stück für uns zu schreiben.

Lionel: Fabien Touchard hat quasi die ganzen unterschiedlichen Stimmungen der Stücke auf der CD in seinem kurzen Stück zusammengefasst. Es ist wirklich ein kurzes Stück, was viele Welten eröffnet. Aber ich möchte es nicht als eine Art Zusammenfassung bezeichnen, denn es hat wirklich seinen eigenen Stellenwert.

Dann ist es kein Resümee der andren Stücke?

Flore: Ich denke nicht. Fabien schafft etwas Neues. Er ist wirklich genial und öffnet neue Türen, nimmt aber natürlich auch Elemente aus der Vergangenheit mit. Schließlich kann man etwas Neues nicht aus dem Nichts kreieren. Er ist wirklich phantastisch im Improvisieren. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er mir einen Walzer im Stil von Ravel improvisieren könne und er sagte – kein Problem. Außerdem ist es schön, jungen Komponisten eine Chance zu geben und nicht immer nur das bekannte Repertoire zu spielen.

Wir haben noch gar nicht über Alec Tempelton gesprochen, der Sie ja auch auf Ihrer musikalischen Reise begleitet hat.

Lionel: Mit ihm sind wir fast am Ende der CD vor Touchard, ein Stück in der Zeit zurückgesprungen. Seine Komposition ist aus dem Ende der 20er-Jahre. Diese Musik ist sehr unterhaltsam. Tempelton stammt aus Wales. Er ist nach Amerika ausgewandert und war eine Art Entertainer. Er hat Filme musikalischbegleitet und in Bars gespielt, es ist wirklich „easy listening“, schon nach wenigen Minuten hat man ein Lächeln auf den Lippen. Das ist natürlich eine komplett andere Jazzmusik als die von Schnyder. Wir haben dieses Stück in Konzerten oft als Zugabe gespielt und freuen uns, es jetzt als sogenanntes leichtes Ende mit auf der CD zu haben.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Lionel: Wir haben einige Konzerttermine in Frankreich später auch noch in Hamburg bis Ende des Jahres. Wir können uns auch vorstellen, eine zweite CDgemeinsam aufzunehmen. Auf jeden Fall möchten wir weiterhin zusammenarbeiten. 

Flore: Wir haben festgestellt, dass wir durch die Aufnahme dieser CD sehr viel gelernt haben. Das war sehr bereichernd für uns und das möchten wir gern wiederholen und daran wachsen.

Flore Merlin, Lionel Andrey, haben Sie herzlichen Dank für dieses anregende Gespräch.

Das Album

Icon Autor lg
Als Hörfunkjournalistin habe ich die unterschiedlichsten Formate von der Live-Reportage, über Moderationen bis zum Feature bedient. In den letzten Jahren habe ich meine inhaltlichen Schwerpunkte auf die Kultur gelegt. Als Ethnologin interessiere ich mich schwerpunktmäßig für außereuropäische Literatur. Doch war Musik schon immer mein großes Hobby – Singen in vielen Chören begleitet mich durch mein Leben. Seit einiger Zeit bin ich im Vorstand von Orso Berlin e.V. an der Organisation und Durchführung von großen Konzerten in der Philharmonie mit unserem eigenen Chor und Orchester beteiligt und stehe auch auf der Bühne. Somit ergeben sich bei Gesprächen mit Profimusikern viele Anknüpfungspunkte. Es interessiert mich besonders, welchen ganz persönlichen Zugang die Musikerinnen und Musiker zu ihren jeweiligen Werken finden – oft auch verbunden mit dem Brückenschlag zu anderen Kulturen.
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