Die aus Georgien stammende Pianistin Ketevan Sepashvili lebt seit einigen Jahren in Wien und fühlt sich dort ausgesprochen wohl. Als Solistin ist sie häufig bei renommierten europäischen Klavierfestivals zu Gast. Ihr neuestes Projekt ist die Verknüpfung von den Préludes von Frédéric Chopin mit den Kinderstücken des georgischen Komponisten Nodar Gabunia.
Ketevan Sepashvili, wie ist Ihr Verhältnis zu Nodar Gabunia.
Ich habe Nodar Gabunia persönlich gut gekannt.Er war zu der Zeit, als ich in Georgien studiert habe, Rektor am Konservatorium. Gabunia war ein begnadeter Pädagoge und ein hervorragender Pianist und er war ein großartiger Komponist. Leider ist er im Jahr 2000 verstorben. 2001 haben seine Schüler einen Wettbewerb organisiert. Ich war damals sehr jung, aber ich wollte dort unbedingt teilnehmen. Ich habe den erstem Preis gemacht und mich dadurch mit seinen Werken beschäftigt. Er hat eine große Sammlung von Klavierwerken hinterlassen, darunter zwei Zyklen. Der eine ist das, was ich jetzt aufgenommen habe – Kinderstücke für Erwachsene. Ich habe mich ziemlich schnell sehr wohl gefühlt mit diesen Werken, habe damals von den acht Stücken allerdings nur drei oder vier gespielt. Irgendwie ist diese schöne Musik in meinem Kopf geblieben, aber dann kam das Studium und damit andere Pläne. Vorletztes Jahr, in der Pandemie habe ich mich wieder an die Kinderstücke von Gabunia erinnert, die in Europa leider nicht so bekannt sind. Ich wollte diese Stücke mit etwas kombinierten, was mein Leben mit der Musik ausmacht. Ich habe gedacht, es sind kleine Momente, die mein Leben, oder eigentlich jedes Leben bestimmen. Ein Kinderstück heißt „Fangen Spielen“, damit ist doch wohl jedes Kind groß geworden oder der Walzer – Kinder lieben es zu tanzen – oder das Hirtenlied. Und dann hatte ich die Idee, dies mit dem Préludes von Chopin zu kombinieren, das sind auch winzig kleine Momente, zum Teil unter einer Minute. Es hat Jahre gedauert bis Chopin diese 24 Stücke vollendet hatte und somit erscheint es für mich auch ein wenig wie sein Leben. So habe ich diese Augenblicke „Moments“ von Chopin mit Gabunia kombiniert.
Was zeichnen die Werke Gabunias für Sie aus?
Gabunia ist der georgischen Volksmusik sehr treu geblieben. Er hat natürlich viele moderne Ideen mit einbezogen, auch Dissonanzen. Er hat sich gefragt, wie man die georgische Volksmusik ein wenig anders interpretieren kann, aber er ist den georgischen Harmonieren sehr treu geblieben.
Was macht für Sie die typische georgische Volksmusik aus?
Das mehrstimmige a cappella Singen ist für mich etwas ganz Besonderes. Es „fließt“ wahrscheinlich auch in meinem Blut. Die Harmonien und Melodien sind besonders, und jede Region Georgiens hat große Unterschiede in der Vielstimmigkeit. Im Westen klingen die Weisen oft absolut modern, da denkt man gar nicht daran, dass es Volksmusik ist. Aber im Osten gibt es Musik mit basso continuo und den oberen zwei Stimmen, das ist phänomenale Musik und dann gibt es noch die Zwischentöne, Halb- und Vierteltöne, die das Ganze ausmachen. Diese Polyphonie ist für mich etwas ganz Besonderes.
Ketevan, Sie haben bereits zu Beginn gesagt die Kinderstücke von Gabunia sind Stücke für Erwachsene.
Ja, sie sind anspruchsvoll für Pianisten. Ich kann mir vorstellen dass diese Stücke auch gut zusammenpassen würden mit den Kinderszenen von Schumann. Das ist sehr ähnlich. Man lernt sehr gut mit dem Klang umzugehen, mit dem Anschlag und den verschiedenen technischen Schwierigkeiten. Was mich am Klavier fasziniert ist das Legato, das ist für mich die schwierigstes technische Art beim Spielen – ein gutes Legato. Das sehe ich auch bei Chopin. Es sind kleine kurze Momente, in denen man sehr viel sagen muss, sehr viele Interpretationsmöglichkeiten herauskitzeln. Das ist das Spannende für mich beim Klavierspielen.
Was zeichnet das Spielen für Sie persönlich aus?
Für mich als Pianistin sind die vielen Farben wichtig, ein schönes Legato und die Spannung, ohne dem geht es nicht. Ich sage immer wieder, schnelle Finger und laut spielen – damit kann man im 21. Jahrhundert niemanden überzeugen – das können fast alle. Für mich zählen noch andere Qualitäten, die eine gute Pianistin ausmachen. Erst kommt das Wissen, viele Ideen sammeln, dann interpretieren und danach Ideen zu den Fragen: wie? was ? warum? Meine erste Lehrerin hat zu mir immer gesagt, wenn du ein neues Werk anschaust, denke immer an zwei Dinge: was darin geschrieben steht und wieso es geschrieben wurde. Wenn man diese beiden Fragen beantwortet hat, hat man ein gewisses Wissen. Und dann gehört für mich noch ein Instrument dazu, auf dem ich mich wohl fühle, wie auf meinem Flügel von Fazioli, mit dem ich die neue CD aufgenommen habe.
Wie haben Sie versucht, Ihr Wissen über Nodar Gabunia, der bei uns ja nicht so bekannt ist, in Ihrer Musik umzusetzen?
Erstens ist meine georgische Abstammung natürlich ein ganz großer Vorteil. Zweites habe ich ihn mehrfach persönlich getroffen und habe auch Gespräche mit ihm führen dürfen. Seine Schüler haben immer anders gespielt als alle andren. Er war ein sehr innovativer Mensch und ich glaube, deswegen habe ich ihn auch so gemocht. Die Musikausbildung war damals sehr geprägt von der russischen Schule. Und er hat versucht dieses „ ganz große Kino“ der russischen Schule zwar auch zu behalten, aber in einer innovativen Art und Weise und nicht nur in dem Rahmen, wie es bekannt war. Es hat mich sehr fasziniert, dass er immer etwas Neues gesucht hat. Und so habe ich auch versucht, seine Musik etwas anders zu spielen. Es gibt nicht so viele Aufnahmen von diesen Stücken. Ich wollte sie mit meinen Ideen bereichern und diese schönen Stücke der weiten Welt näher bringen.
2001 haben Sie mit der Musik von Gabunia den ersten Preis in Tbilissi gewonnen. Was hat das damals für Sie bedeutet?
In der Zeit, als ich bei uns studiert habe, war das Niveau bei uns sehr hoch. Wir hatten nach dem Umbruch, zu Beginn der 90er-Jahre eine schwere Zeit, es war mit Krieg verbunden, es wurde draußen geschossen, aber wir hatten in dieser besonderen Schule für hochbegabte Kinder jeden Tag Unterricht. Wir hatten keine Heizung gehabt, es war kalt, draußen grau in grau – aber ich kriege heute noch Gänsehaut wenn ich daran denke, wieviel Herzblut die Professoren in den Unterricht gesteckt haben, damit wir dann eine Zukunft haben.
Lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen. Wie sind Sie überhaupt zum Klavierspielen gekommen?
Das ist eine lustige Geschichte. In meiner Familie gibt es Mathematiker, Ärzte, Ingenieure, niemand ist Musiker. Meine Mama kann gut singen, aber sie hatte keine Ausbildung und mein Papa hat ein bisschen Klavier gespielt, aber nicht gern und schnell aufgehört. Aber in Georgien ist es so, ein Klavier in der Wohnung gehört zum guten Ton. Ich war zwei Jahre alt, da haben meine Eltern ein großes Silvesterfest gefeiert. Es wird erzählt, dass ich, als alle schlafen gegangen sind, aufgestanden bin und auf dem Klavier ein Lied, das damals sehr populär war „Das Lied über die Schneeflocken“, mit beiden Händen gespielt habe. Alle waren total verwundert und beeindruckt. Die ersten Erinnerungen, die ich habe, beziehen sich auf die Freude, die ich gehabt habe, wenn ich gespielt habe – ich war begeistert, wenn alle geklatscht haben. Ich wollte, dass jeder applaudiert. An dieses Gefühl kann ich mich sehr gut erinnern. Und das wurde immer stärker, je älter ich wurde. Wir haben glücklicherweise Musiker als Nachbarn gehabt, die mit einer sehr guten Lehrerin zusammengearbeitet haben. Bei ihr habe ich mit vier Jahren mit Privatunterricht angefangen und mit fünf bin ich dann in die Schule für hochbegabte Kinder gekommen. Bis zum 18. Lebensjahr war ich mit meiner Klavierlehrerin zusammen und sie war meine zweite Mama. Ich hatte täglich Unterricht. Sie war eine wunderbare Lehrerin, sie war die Schülerin von Goldenweiser in Moskau. Sie hat mich nicht nur gelehrt, Klavier zu spielen, sie hat mich gelehrt, Musik zu beobachten, über Musik nachzudenken, über die Klänge nachzudenken, die Klänge zu füllen. Ich war in meiner ganzen Laufbahn gesegnet mit meinen Lehrern und Professoren.
Wie ist es dann mit Ihrer Ausbildung weitergegangen?
Ich habe meinen Bachelor und meinen Master in Georgien gemacht und dann habe ich einen wunderbaren Professor aus der Schweiz kennengelernt – Hans-Jürg Strub. 2005 habe ich angefangen bei ihm in Zürich zu studieren. Es war eine Art Symbiose zwischen uns, da war ich sehr glücklich und habe dann nach zwei Jahre das Solistendiplom gemacht. Wir sind bis heute befreundet und er ist mein bester Mentor. Wenn ich etwas Neues spiele, fliege ich zu ihm in die Schweiz und er kann mir genau sagen, wo ich noch etwas verändern sollte. Ich weiß, dass ich mit ihm auf einem sehr guten Weg bin.
Heute leben Sie in Wien – warum?
Ich war 2007 fertig und bin aus persönlichen Gründen nach Wien gegangen. Die Schweiz war auf Dauer nicht mein Land. Ich habe einen Ort gesucht, wo ich mich noch mehr entfalten kann, wo mehr Konkurrenz ist. Außerdem war mir der Schweizer Konservativismus fremd. Ich hatte zwar wunderbare Freunde dort, aber die Enge und exakte langfristige Planung war als Künstlerin für mich zu eng. Zuerst war es in Wien schwierig, Fuß zu fassen, aber wenn man es geschafft hat, wird man auf Händen getragen. Die Tradition der Musik wird in Wien sehr gepflegt und man merkt, dass das Publikum sehr anspruchsvoll ist. Es hat lange gedauert bis ich im richtigen Moment am richtigen Ort war, aber dann habe ich viele Engagements bekommen, auf Festivals gespielt und letztes Jahr habe ich unter anderem mit dem Orchester im golden Saal gestanden. Ich habe mich vom ersten Tag an in Wien zuhause gefühlt, inzwischen sogar mehr als in Georgien. Für mich ist Wien die goldene Mitte zwischen der Schweiz und Georgien – ich kann hier alles sein; ich kann spontan sein, und auch alles planen, was notwendig ist. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als in Wien zu Hause zu sein.
Haben Sie berufliche Träume?
Vor der Pandemie habe ich immer gedacht, ich will mehr. Und dann kann die Pandemie und ich habe in mir sehr viel umstrukturieren müssen. Und seitdem ich das getan habe, bin ich erfolgreicher geworden. Ich jage nicht mehr so vielen Zielen hinterher, sondern ich bin dankbar geworden, dass es mir möglich ist, diese Art von Kunst auszuüben und dass ich eine gewisse Begabung dafür habe. Und seitdem kommen die Angebote auf mich zu. Ich schaue jetzt einfach, was die Zukunft bringt. Meine Welt ist das Solo, aber ich arbeite auch sehr mit meinem Mann zusammen, der ein wunderbarer Querflötist ist und mit ihm und einem georgischen Cellisten haben wir das Trio Revolution gegründet und werden demnächst eine gemeinsame CD aufnehmen. Mein Ziel ist es, immer etwas Neues zu lernen und das Publikum zu begeistern, egal ob in großen oder kleinen Sälen.
Ketevan Sepashvili, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Titelfoto von Andrej Grilc