Ein Gastbeitrag von Ekkehard Ochs
Wer über das vorpommersche Anklam die Südzufahrt der Insel Usedom ansteuert, sollte kurz hinter der Ortschaft Murchin dem direkt an der B 110 gelegenen Herrenhaus Libnow einen Blick gönnen: der Hingucker wurde 1862 erbaut, erinnert in „gotisierendem Backstein“ (so der Denkmal-Führer DEHIO, Ausgabe 1980 ) an den englischen Tudor-Stil und liegt – natürlich – in einem idyllischen Park. Nach 1945 enteignet und von bis zu 30 Flüchtlingsfamilien bewohnt, später Kinderferienlager und Nähwerkstatt für die in der DDR beliebten Kittelschürzen, nagten nach 1989 (Treuhand-Besitz) Leerstand und Verfall an der Bausubstanz. Seit 2000 wieder in Privatbesitz und originalgetreu restauriert, beherbergt das Haus heute Gästezimmer, eine Rahmenmanufaktur sowie bildkünstlerische Ausstellungen. Anziehungsort ist zudem der größte Raum des Hauses als Konzertsaal. Schon seit 2000 gibt es dort kammermusikalische Veranstaltungen. Zunächst etwas sporadisch und zwischen Jazz und Klassik wechselnd, wird das Angebot seit 2015 zielorientierter Richtung Klassik/Romantik ausgebaut, wobei auch eine personelle Verknüpfung mit dem RSO Berlin (Radio-Sinfonieorchester) die Besetzungsvielfalt sowie Progamme und Mitwirkende bestimmt. Inzwischen werden vorzugsweise im (durchaus dehnbaren) Winterhalbjahr 6 bis 7 Konzerte angeboten, wobei die Mischung traditioneller Formate mit nicht ganz alltäglichen „Ausreißern“ zur Attraktivität der Reihe beiträgt. Im Fokus für Künftiges: mehr zeitgenössische Musik, gern auch als Vortrag mit Musik. Was auch bedeutet, sich der Zusammenarbeit mit Komponisten zu versichern und Kooperationen anzustreben, etwa jetzt mit der Hochschule für Musik und Theater Rostock (HMT).
Fazit: Es ist gelungen, in einer zwischen Pasewalk, Neubrandenburg, Anklam, Greifswald und Usedom sehr ländlich geprägten Gegend viele Interessierte für die musikalischen Herrenhaus-Initiativen zu gewinnen und damit auch eine erfolgreiche Weiterführung dieser Arbeit zu garantieren.
Erst kürzlich (2. März) konnte das wieder eindrucksvoll demonstriert werden. Mit einem Konzert, das, besonders schnell ausverkauft, Besonderes versprach. Denn mit Johanna Pichlmair (Violine) und Frank-Immo Zichner (Klavier) waren Interpreten gewonnen, die für einen höchsten Ansprüchen genügenden, gleichermaßen unterhaltsamen wie künstlerisch gewichtigen Konzert-Nachmittag garantierten. Und das mit Beethoven (Violinsonate Es-Dur op. 12/3), Ernest Bloch (Baal Chem-Suite, 1923), Grieg (Violinsonate Nr. 3 c-Moll op. 45) und Saint-Saens (Introduction et Rondo Capriccioso“ op. 28). Das Ganze also eine stilistisch wie gestalterisch so abwechslungsreiche wie denkbar attraktive Mischung, die denn auch für gewaltigen Beifall und drei (!) Zugaben sorgte.
Wie auch nicht! Denn die junge Österreicherin ist Mitglied der Berliner Philharmoniker (1. Violine), und allein diese Tatsache bürgte für dann tatsächlich präsentierte und überzeugende künstlerische Qualitäten. Dafür sprach auch das gewählte Programm. Es machte ein Musizieren notwendig, das mit größter Anforderungsbreite umgehen kann. Da sind stilistisch konträre „Hausnummern“ zu gestalten und muss Spieltechnisches auf sehr unterschiedliche Weise, also werkspezifisch eingesetzt werden. Von den notwendigen Qualitäten einer Tongebung, die hinsichtlich differenzierter Ausdrucksintensität keine Möglichkeit auslässt, ganz zu schweigen. Dies alles besitzt das Spiel Johanna Pichlmairs in hohem Maße, und da haben wir ihre interpretatorische Sicherheit, ihre mitreißend präsentierte Erlebnisfähigkeit und – nicht zuletzt – musikantische Stringenz noch gar nicht erwähnt!
Damit besaß jedes Werk seine eigene Prägung. Etwa die „klassisch“ klar strukturierte, motivisches und thematisches „Material“ so streng wie einfallsreich und musikantisch fesselnd bietende Entschlossenheit eines Beethoven. Oder die dreisätzige, melodisch geradezu ausschweifende und überaus klangintensive Verbeugung des schweizstämmigen Amerikaners Bloch vor dem für seine chassidisch heitere Gotteshaltung im 18. Jahrhundert berühmten Rabbiner Baal Shem Tow – eine Musik, die nicht nur Töne bietet, sondern auch Haltung und Bekenntnis ist. „Bekenntnis“ auch bei Grieg. Hier zu einer bestimmten musikalischen Gattung, der Sonate, zu „absoluter“ Musik in einem Werk, das als „Quintessenz“ seines kammermusikalischen Stils gilt. Dies in „einer strengen Vereinfachung der Form, einer Geschlossenheit in der Linienführung und einer Einheit in der Motiventwicklung“ ( D. M. Johannson), die gleichwohl mit faszinierender Überzeugungskraft einhergeht. Schließlich das brillant-musikantische Finale mit Saint-Saens: ein populärer, aber auch hier mit begeisternder Verve vorgetragener „Ohrwurm“, der zusammen mit Zugaben von Rachmaninow (Vocalise) und zwei „Schmeckerchen“ des unverwüstlichen Fritz Kreisler (u. a. mit einem Trio unter Hinzuziehung des Cello-Ehemannes der Geigerin) locker und unterhaltsam ausklang.
Soweit die eine tragende Säule des Konzertes. Denn da gibt es noch eine zweite, den Pianisten, dem nicht mindere Schwerstarbeit an solch einem Programm zufällt.
Frank-Immo Zichner trug sie mit der Souveränität eines seit Jahrzehnten international geschätzten, überaus aktiven Pianisten, und natürlich auch mit mindestens all jenen soeben der Geigerin zugestandenen Qualitätsmerkmalen; aber eben auf dem Tasteninstrument. Wollte heißen: der aus einer der DDR-Solistenschmieden, der Hanns-Eisler-Hochschule für Musik Berlin und der Klasse Dieter Zechlins hervorgegangene und später als Meisterschüler eines Menachem Pressler geadelte Frank-Immo Zichner, war nichts weniger denn „Begleiter“. Er war kongenialer Partner eines musikalischen Geschehens, für das er mit einem Höchstmaß an so unterschiedlichem wie sensiblem Anschlag, variabler Dynamik, „redender“ Agogik und hinreißender Spielfreude einstand; von seiner brillanten, mal hingehauchten, mal donnernd, mal zurückgenommenen, mal dominanten Spieltechnik ganz abgesehen. Da hatten sich wohl zwei getroffen, die musikalisch auf gleicher Wellenlänge liegen! Und verstehen, es mit schöner Selbstverständlichkeit auch hinreißend zu vermitteln.
Titelfoto © Tam Lan Truong