Der kleine Saal der Laeiszhalle ist ja immer einen Besuch wert. Mit seiner einzigartigen Akustik ist er für Kammermusik ideal, denn es besteht an nahezu jedem Ort im Saal feingliedrig genaue Klangabbildung. Umso gespannter war ich dann, als sich mit Benjamin Grosvenor (Klavier), Hyeyoon Park (Violine), Timothy Ridout (Viola) und Kian Soltani (Cello) eine richtige Starbesetzung dort für drei Klavierquartette zusammengefunden hatte, um zu erleben wie diese Musiker*innen den Saal als Ensemble nutzen würden.
Und es war in der Tat auch ein Abend der Überraschungen. Nicht unbedingt der Gegensätze, aber schon der Ambivalenzen. Da standen zum Beispiel die schon deutlich unterschiedlich wirkenden Charaktere der Musiker*innen im Vordergrund. Bei Kammermusik ja unvermeidbar, und beim ersten Kennenlernen eines Ensembles die natürliche Erlebnisreihenfolge, konzentriert man sich zunächst auf die Menschen die da spielen. Park an der Violine zeigte sich von Beginn an leicht interpretationsführend, während Ridout meisterhaft als Bindeglied zwischen den Streichern und eigentlich dem gesamten Ensemble fungierte. Darauf konzentrierte er sich den gesamten Vortrag über sehr, und baute ständig Kontakt zu seinen Mitspieler*innen auf. Soltani hingegen schien manchmal in seinen eigenen Sphären zu schweben, nicht dass darunter sein Zusammenspiel mit den anderen litt, aber das Cello verleitet auch gern dazu ein ganz eigener Kosmos zu sein. Buchstäblich hinter den Streichern, sowohl in der Platzierung, als auch in der musikalischen Vortragsräumlichkeit stand Grosvenor, der in beeindruckender Weise den Flügel in so vielfältigen Rollen einsetzte, dass es für mich fast schon verblüffend war.
Im ersten Quartett, dem Klavierquartett fis-Moll »Fantasie« von Frank Bridge, ließen es die vier noch entspannt, und etwas im Aufwärmmödus angehen. Mit seinen schwebenden Harmonien, und einer kaffeehausähnlichen Nonchalance war dieses kleinodhaft schöne Werk ein entspannter Opener für diesen Abend.
Im Anschluss ging das Ensemble dann aber im Klavierquartett Nr. 1 c-Moll op. 15 von Gabriel Fauré schon in die Vollen, das etwas großformatigere Werk forderte die Musiker*innen mit seiner deutlich ausgeklügelteren Kompositionstechnik schon mehr, gab ihnen damit aber auch mehr Gestaltungsräume. Und damit hatte dann auch Benjamin Grosvenor die ersten großen Möglichkeiten kreative Rollenverständnisse auszuarbeiten und durch Flexibilität auf technisch höchstem Niveau zu begeistern. Abgesehen von seinem in den Intensitäten sehr variablen aber immer auf den Punkt passenden Spiel in der Gruppe, was in der Kammermusik in einem gewissen Mindestmaß ja Voraussetzung ist, fiel mir hier zum ersten mal seine großartige, akustische Bühnenpräsenz auf. Immer wenn das Klavier mal in den Vordergrund treten durfte, dann zauberte Benjamin Grosvenor mit kurzfristiger Agilität eine komplex ausgearbeitete Klangpersönlichkeit auf die Bühne, die durch Tiefe und Präsenz beeindruckte. Und im nächsten Moment trat der Pianist mit seiner Stimme dann wieder gekonnt zurück, und schaffte es blitzschnell genau im richtigen Maß in der Gruppe eingeordnet und dennoch klar ortbar zu sein.
Diese eindrucksvolle Steigerung im ersten Teil des Konzertes führte das Ensemble nach der Pause im Klavierquartett Nr. 1 g-Moll op. 25 von Johannes Brahms noch weiter. Dieses lange Quartett arbeitet sich durch vielerlei Stimmungen und Erzählungen, von elegischen bis tragischen Themenkomplexen bis hin zu wilden Tanz- und Liedformen liegt eine große Erlebnisbreite vor, und spätestens hier zeigten die Musiker*innen deutlich den Gegenpol zu den Unterschieden in ihren musikalischen Persönlichkeiten: Sie können zusammen spielen, musizieren. Und wie! Kammermusikensembles werden ja gerne für ihre Synchronität gelobt. Auch ich habe das schon oft getan, besonders einfallsreich ist das also nicht. Dennoch ist es berechtigt, denn hohe Akkuratesse im Zusammenspiel ist nur mit technischer Fertigkeit, viel musikalischer Erfahrung und künstlerischer Empathie möglich. Und wenn ein Ensemble, das noch nicht mal einen eigenen Namen hat so einig spielt, dann ist das schon eine Beschreibung wert. Schon im Fauré-Quartett wurde es deutlich, und im Brahms dann vollendet, wie freudig und im blinden Verständnis die vier Künstler*innen zusammen kommen und kooperieren können. Mit wiegenden Oberkörpern warfen sich die vier in die vielen, abwechslungsreichen Stimmungsfolgen und konnten dabei wie an einem Instrument spielen. Im Finale des Brahms brachten sie dann die halsbrecherisch schnellen Läufe mit so abgestimmter Genauigkeit, dass ich schon fast an physikalischen Grundsätzen zweifeln musste.
Nach berechtigt enthusiastischem Applaus gab das Ensemble dann noch den dritten Satz aus Schumanns Klavierquartett zu, und konnte nach dem komplexen Programm des Abends etabliert in sehr entspannter Weise die kompositorische Genialität dieses Werkes herausarbeiten und darstellen.
Titelfoto © Daniel Dittus.