Klavierkonzerte haben einen ganz besonderen Stellenwert im Bereich der klassischen Musik. Sie verlangen in der Regel eine gut aufeinander abgestimmte Kommunikation zwischen Orchester und Pianisten. Die Schwierigkeit besteht darin, eine absolute Harmonie herzustellen. Das Orchester darf den Pianisten nicht „erdrücken“ und der Pianist darf nicht den Eindruck hinterlassen, sich gegen ein „übermächtiges“ Orchester durchsetzen zu müssen.
Besondere Aufnahmen
Lars Vogt hat beide Klavierkonzerte des aus Hamburg stammenden Komponisten Johannes Brahms in Zusammenarbeit mit der Royal Northern Sinfonia eingespielt. Mit unterschiedlichem Ergebnis.
Das besondere an den Aufnahmen: Erstmalig wurden die Konzerte vom Flügel aus dirigiert. Vogt hat diesen ungewöhnlichen Schritt gewagt und die Aufgabe dann auch selbst übernommen.
Kurz nach dem Selbstmordversuch seines engen Freundes Robert Schumann, begann Johannes Brahms 1854 mit der Komposition seines 1. Klavierkonzertes op.15., welches ursprünglich gar keines sein sollte. Dieses Werk erlebte im Laufe der Jahre eine regelrechte Odyssee. Anfänglich als Sonate komponiert, entschied sich Brahms dann später, das vorhandene Material als Sinfonie umzuarbeiten, nur, um sich dann im 3. Anlauf für eine Fertigstellung als Klavierkonzert zu entscheiden. Diese innere Zerrissenheit ist dann auch in jeder Phase der Komposition deutlich spürbar. Die Bekümmertheit um den Zustand des Freundes mag ein weiterer Aspekt dafür sein, dass das Klavierkonzert als Gesamtwerk recht düster ausgefallen ist. Entsprechend verhalten war dann auch die Begeisterung des damaligen Publikums bei den ersten Aufführungen.
Vergleiche
Vergleicht man die Aufnahme des 1. Klavierkonzertes von Lars Vogt zum Beispiel mit der kraftvollen, fast magischen Version von Nelson Freire und dem Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly muss man unweigerlich zu dem Ergebnis kommen, dass es möglicherweise doch besser gewesen wäre, auf einen separaten Dirigenten zu setzen. Gerade zu Beginn des Kopfsatzes ist das Orchester hörbar zurückhaltend in der Intensität und Emotionalität des Spiels. Dadurch kommt die Dramatik etwas zu kurz. Dieser Eindruck zieht sich durch die gesamte Aufnahme hindurch. Aber Vogt scheint davon eher unberührt. Souverän meistert er seinen Part mit absoluter Professionalität.
Das eigentliche Highlight der ersten CD sind die ebenfalls 1854 entstandenen 4 Balladen op.10, die, kaum zu glauben, ein Frühwerk des zum Zeitpunkt der Entstehung noch recht jungen Brahms sind. Sehr poetisch und tiefsinnig in der Struktur, lassen diese Stücke ansatzweise ahnen, was noch von Brahms zu erwarten sein würde.
Lars Vogt spielt sämtliche Balladen mit beispielhaftem Einfühlungsvermögen, sehr rhythmisch, wehmütig und einfach nur klangschön. Besonderer Anspieltipp: die Ballade Nr. 5.
Gelungener zweiter Teil
Das zweite, viersätzige, und gleichzeitig auch letzte Klavierkonzert von Brahms (op. 83) entstand erst 22 Jahre später und war auf Anhieb ein Erfolg sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum, welches Sitzfleisch unter Beweis stellen musste. Gilt dieses Klavierkonzert doch als eines der längsten überhaupt.
Anders als bei der ersten Aufnahme, stimmt hier auf Anhieb der Dialog zwischen Orchester und Pianist. Das melodiöse Allegro non troppo ist zwischen Klavier und Horn wunderbar ausbalanciert. Der sinfoniehafte Charakter dieses Werkes wurde von Lars Vogt und der Royal Northern Sinfonia stimmungsvoll umgesetzt. Der gut eingestellt klingende Flügel fängt sowohl die dramatische, als auch die bisweilen heitere Stimmung des Konzerts gekonnt ein.
Zum Schluss
Den gelungenen Abschluss dieser Einspielung bilden die Händel-Variationen op.24, einst Clara Schumann gewidmet.
So unterschiedlich die beiden Klavierkonzerte spieltechnisch geraten sind, so unterschiedlich sind sie auch in der akustischen Präsentation. Leidet beim ersten Klavierkonzert noch ein wenig das Bassvolumen, so ist davon bei Nr. 2 nichts mehr zu hören. Sowohl die Klangqualität als auch die Interpretation sind im Detail auf hohem Niveau.
Tracklisten