Europa zeichnet sich aus durch eine musikgeschichtliche Entwicklung von der Mittelalter-Musik zu Renaissance, Barock, Klassik, Romantik und dann hin bis zur Neuen und zeitgenössischen Musik. Obwohl in der bildenden Kunst Zeitgenössisches sehr angenommen wird, ist das in der Musik nicht der Fall. Da ich so viel Faszinierendes und auch Schönes in der zeitgenössischen Musik entdecke, möchte ich möglichst viele Menschen von ihr begeistern. Es ist mir auch wichtig, den altbekannten Vorurteilen etwas anderes dagegen zu setzen. Ich mache dies mit meinem Podcast „neue musik leben“, durch meine Bücher, Artikel und natürlich durch meine eigenen Konzerte als Sopranistin.
Zuerst habe ich klassischen Gesang studiert und bin dann sehr schnell in der zeitgenössischen Musik gelandet und ich liebe es. 2018 habe ich den Podcast „neue musik leben“ gestartet und seit Herbst 2022 interviewe ich ganz viele meiner Sängerkolleg*innen , die ebenfalls viel zeitgenössische Musik singen. Hier kann man herausfinden, wie meine Kolleg:innen motiviert sind, was sie antreibt, wie sie als Menschen sind und mit welchen Strategien sie ihre Profession meistern.
Ich genieße die Gespräche und finde heraus, wie wir diese komplexe Musik angehen oder was wir für unseren Körper tun. Ich finde es interessant, wo wir ähnlich ticken oder wo jemand eine ganz andere Herangehensweise hat. Hier eine kleine Zusammenfassung aus den bisherigen Gesprächen:
Sehr viele der Interviewten – Sarah Maria Sun, Viktoriia Vitrenko, Daniel Gloger, Holger Falk, Angelika Luz – haben wie ich klassischen Gesang studiert und sind dann zur Neuen Musik gekommen. Wir empfinden das klassische Training als eine großartige Grundlage, um dann die Techniken zu erweitern. Es hilft sich gut zu kennen und eine gute Atemtechnik zu haben. Gleichzeitig bemerken wir, daß wir unser klassisches Singen sogar noch verbessern, wenn wir unsere Atemmöglichkeiten weiter differenzieren: zum Beispiel, weil ich bewusst hauchig singen soll oder einatmend sprechen. Unsere Stimmapparat bleibt beweglich. Meist waren persönliche Begegnungen mit Komponist*innen oder Regisseur*innen wegweisend!
Neue Musik: Atemtechnik und persönliche Begegnungen
Frauke Aulbert hingegen war schon immer von der Stimme an sich fasziniert und auch davon wie unterschiedlich in verschiedenen Kulturen die Stimme eingesetzt wird. Dadurch kam sie zur neuen Musik und sie bindet immer wieder Techniken aus anderen Kulturen ein.
Dann gibt es Sängerinnen wie Joan la Barbara oder Agata Zubel, die von der Komposition herkommen und dann auch angefangen haben zu singen. Geniale Multitalente! Oder Sängerinnen wie Barbara Hannigan und Viktoriia Vitrenko die auch dirigieren. In welchen Zeiten wir leben, wo wir und auch Frauen, verschiedene Talente verwirklichen können!
Um diese komplexe Musik einstudieren zu können, hat jede von uns Strategien. Die meisten brechen die Komplexität herunter: Rhythmus, Tonhöhe, Ausdruck, Dynamik, Aussprache, Szene, Kontext und studieren sie in der für sie besten Reihenfolge ein. Jeder weiß, welche Sachen er zuerst lernen muss. Ich mache das auch so. Dennoch bin ich fasziniert, wenn mir die Kollegin Frauke Aulbert erzählte, sie erfasst alles auf einmal und das ist ihr Zugang! Jeder Jeck ist anders, sagt man in Köln.
Strategien beim Einstudieren
Die Tonhöhen in der Neue Musik können herausfordern sein. Wie finde ich diese, wenn ich kein absolutes Gehör habe. Unterschiedlich: manche mit der Stimmgabel und mit großem Sinn für intervallisches singen, manche mit vielen Wiederholungen und Muskelerinnerung.
Wie halten Sänger sich fit: die meisten lieben es viel und gut zu schlafen – ist gibt hier auch ungewöhnliche Ausnahmen wie Sarah Maria Sun – gut und gesund zu essen, manche auch vegetarisch oder vegan, Yoga oder Sport zu machen, in die Natur zu gehen. Viele achten auch darauf, wie es Ihnen emotional geht und was sie Gutes für sich tun können. Ein gesunder Geist im gesunden Körper! Wir sind der Körper, das Instrument! Und wir bringen immer uns als Gesamtpacket auf die Bühne. Das macht unsere Durchlässigkeit, Ausstrahlung und Wirkung aus.
Begeisterung für die Neue Musik
Wir lieben es, uns mit den Komponist:innen auszutauschen und etwas gemeinsam entwickeln zu können. Zum Glück auch immer mehr auf Augenhöhe… (früher war das noch anders…)
Durch die Beschäftigung mit den Extended Vokal Techniken und neuen Stücken, wo es keine Vorbilder gibt, sind wir oft innerlich freier in unseren Interpretation und nehme diesen Zugang auch in das Interpretieren von klassischem Repertoire hinein.
Da wir alle so begeistert von der zeitgenössischen Musik sind, wünschen wir uns, daß diese mehr Aufmerksamkeit im Studium und in den Konzerthäusern bekommt. Und daß es normal ist sich mit zeitgenössischer Musik zu beschäftigen, so wie wir uns bei anderen Themen Feldern wie Kunst, Mode, KI, Technik und Politik mit dem Aktuellen auseinandersetzen.
Titelfoto: Viktoriia Vitrenko, Foto © Oliver Röckle