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Einfach Klassik.

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Glenn Gould Cover

Alte Schätze: Glenn Gould spielt Beethovens 5. Klavierkonzert

Beethovens 5. Klavierkonzert entstand mitten im Krieg. Im Mai 1809 war Napoleon in Wien eingefallen und das andauernde Bombardement respektive die permanenten Schusswechsel gingen dem gebürtigen Bonner gehörig auf die Nerven. Zudem ärgerte er sich über sich selbst, da er den Korsen anfänglich völlig falsch eingeschätzt hatte (so wie übrigens viele seiner Zeitgenossen). Wir wissen aus Beethovens zahlreichen Briefen, dass sich nicht nur sein Gehör, sondern auch die Lebensqualität in der Stadt deutlich verschlechterte. Im Februar 1810 war das Konzert dann auskomponiert und wurde 1812 in Wien erstmalig aufgeführt (die Premiere war 1811 in Leipzig) Der Beiname „emperor“ stammt nicht von Beethoven selbst, sondern in diesem Fall von seinem für den englischsprachigen Raum zuständigen Verleger Cramer.

Die Konzerte

Beethoven schrieb übrigens nicht 5 sondern genau genommen 6 Klavierkonzerte. Wir dürfen nicht vergessen, dass er das Violinkonzert op.61 für das Klavier transkribiert hat und daher gilt es in der Durchnummerierung nicht als eigenständiges Klavierkonzert (op. 61a /Anmerkung des Autors) .

Ich werde häufig gefragt, welche Einspielung zu bevorzugen oder besonders wertzuschätzen sei. Viele Autoren vermeiden oftmals die konkrete Festlegung. Daher liest man meist ausweichende Formulierungen wie „eine der besten Einspielungen“ oder“ eine der bekanntesten“. Aber tatsächlich habe ich einen ganz persönlichen Favoriten, und das ist mit Abstand die Aufnahme mit dem American Symphony Orchestra unter der Leitung von Leopold Stokowski und keinem geringeren als Glenn Gould (1932-1982) am Flügel. Die Einspielung entstand 1966 im Manhattan Center und liegt in verschiedenen Ausführungen auf Tonträgern vor.

Wenngleich sowohl Gould als auch Stokowski zur Gattung der Exzentriker gehörten, hatte die Chemie (anders als zwischen Gould und Bernstein) zwischen beiden von vorneherein gestimmt und das ist dem Ergebnis auch deutlich anzuhören. Alleine schon der wirklich wuchtige und in der Tat majestätisch klingende Kopfsatz des allegro ist eine Offenbarung für die Ohren. In der restaurierten CD-Fassung packt mich immer wieder das tiefe und warm austarierte Bassfundament. Zwar ist noch ein Grundrauschen hörbar, aber dies sei dem Alter der Aufnahme verziehen.

Glenn Gould faszinierend

Das Adagio ist das schönste aller mir bekannten Klavierkonzerte überhaupt. Der langsame Satz klingt im Gegensatz zu dem fast schon kriegerisch anmutenden allegro eher wie ein herbeigesehnter Waffenstillstand oder anders ausgedrückt: die Ruhe vor dem nächsten Sturm. Glenn Goulds Spiel ist umwerfend und faszinierend. Sein knarzender Stuhl und das leise Mitsummen verleihen der Aufnahme ihren ganz eigenen Charakter. Hier klingt nichts künstlich stilisiert. Gould taucht komplett in das Konzert ein, sein Anschlag ist technisch absolut elektrisierend und mitreißend. Im finalen dritten Satz entfaltet sich der Kanadier dann voll und ganz. Eine regelrechte Sogwirkung geht von seinem Spiel aus. Das American Symphony Orchestra mit seinem Dirigenten Leopold Stokowski (1882-1977) sind die idealen Begleiter für Glenn Goulds obsessive Persönlichkeit in Verbindung mit einem einzigartigen Genie. Die Tempi sind optimal gewählt, die Akustik im Manhattan Center verleiht der Aufnahme eine unwahrscheinliche Räumlichkeit.

Für fast jeden Pianisten gehören die Klavierkonzerte von Beethoven zum Standard-Repertoire. Brendel, Ashkenazy, Perahia, Kempff, Korstick, Rubinstein, Barenboim, Mustonen (übrigens auch eine expressive und tolle Aufnahme) um nur einige zu nennen….. sozusagen für jeden Geschmack ist etwas dabei. Es gibt haufenweise Einspielungen, mal flüssig, aber oftmals auch überflüssig oder einfach nur langweilig. Wie findet man für sich selbst aus diesem schier unerschöpflichen Angebot das passende heraus? Indem man Kritikern nicht alleine das Urteilsvermögen überlässt sondern sich selbst ein Bild macht und möglichst viele Aufnahmen miteinander vergleicht. Das ist, zugegeben, nicht ganz einfach und erfordert viel Zeit, Geduld und genaues Hinhören. Ich jedenfalls gebe meinen Glenn Gould nicht wieder her.

Das Album

Icon Autor lg
Kai Germann ist Pädagoge und war 15 Jahre lang Radiomoderator in unterschiedlichen Sendeformaten. Schon als Jugendlicher früh durch Oskar Werner inspiriert, hat er sich intensiv mit Poesie, Literatur und klassischer Musik auseinandergesetzt und auch selbst Klavier gespielt. Neben dem Schwerpunkt Wiener Klassik liebt er Musik in all ihren Facetten. Er schreibt Film-Rezensionen und Klassik-Reviews (Konzerte, CD-Neuerscheinungen, Buchbesprechungen), führt Interviews zum Thema Film, Theater, klassische Musik, und hält sich gerne in Salzburg auf. Kai Germann möchte mit seinen Beiträgen nicht nur Kenner, sondern auch Neueinsteiger jeden Alters für die vielen unterschiedlichen Facetten der klassischen Musik begeistern.
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