Manchmal gibt es Sterne, die leuchten nur kurz, aber dafür ist ihre Strahlkraft umso intensiver. Ein solcher Stern am Firmament war zweifelsohne die am 26. Januar 1945 im britischen Oxford geborene Cello-Solistin Jacqueline Du Pré. Sie besaß die seltene Gabe, hochmusikalische Qualitäten mit einem außergewöhnlichen Charisma und persönlichem Charme zu verbinden. Ihre Liebe zum Cello entdeckte sie schon in sehr jungen Jahren, inspiriert durch ein kindgerechtes Radioprogramm. Da sie Kontaktschwierigkeiten zu Gleichaltrigen hatte, investierte die kleine Jaqueline ihre ganze Energie in das Cello- Instrument und nahm im Laufe der Jahre Unterricht bei diversen Musiklehrern. Im Alter von 14 Jahren spielte sie erstmalig öffentlich das Elgar-Konzert, welches bis heute untrennbar mit ihrem Namen verbunden ist. 1965 entstand dann in den Abbey Road Studios die weltbekannte Aufnahme des gleichen Stücks mit dem London Symphony Orchestra und Sir John Barbirolli am Dirigentenpult. Ein Star war geboren. Nur ein Jahr später lernte sie ihren späteren Ehemann Daniel Barenboim kennen. Es war der Beginn einer zwar nur kurzen, aber fruchtbaren Zusammenarbeit, denn weitere grandiose Aufnahmen sollten noch folgen.
1971 ereilte sie dann die Schock-Diagnose Multiple Sklerose welche dann dazu führte, dass sich Jacqueline Du Pré 1973 endgültig vom Cello-Spiel verabschiedete. Zwar unterrichtete sie noch einige Zeit, kehrte aber nie wieder auf die Bühne zurück. Am 19. Oktober 1987 starb sie im Alter von nur 42 Jahren an den Folgen dieser tückischen Krankheit.
Als Warner Classics vor einigen Wochen die Veröffentlichung einer Gesamtbox mit allen EMI-Aufnahmen ankündigte, ging für mich persönlich ein Wunschtraum in Erfüllung. Die Erwartungshaltung war groß, und sie wurde sogar noch übertroffen. Denn neben den bereits bekannten Stücken fanden auch bislang unveröffentlichte Einspielungen und Live- Mitschnitte den Weg in diese kleine Schatzkiste.
Unternehmen wir somit eine kleine Reise quer durch die musikalische Welt von Jacqueline Du Pré. Da wäre natürlich zum einen das bereits erwähnte und für ihn eher ungewöhnliche Cello-Konzert von Mr. „Pomp & Circumstances“ Sir Edward Elgar. Aber was macht diese Aufnahme so einzigartig und bislang unerreicht? Abgesehen davon, dass dieses Werk dem Solisten einiges abverlangt, ist hier die Leidenschaft des Spiels der entscheidende Faktor. Du Prés beherzter Körpereinsatz ist deutlich zu spüren, beispielsweise folgt nach dem ergreifenden dritten Satz ein in irrwitzigem Tempo gehaltenes Scherzo, welches den Hörer schier sprachlos zurücklässt. Jaqueline baut mit ihrem emotionalen Spiel eine ungeheure Atmosphäre zum Publikum auf. Dieses Kunststück gelingt ihr übrigens bei fast allen Aufnahmen, so auch in dem ebenfalls in der Box beiligenden und hier im Blog bereits besprochenen Cello-Konzert von Antonin Dvorák.
Eine weiteres Highlight in diesem mustergültig zusammengestellten Package ist das Cello Concerto von Robert Schumann. 1968 unter eher widrigen Umständen entstanden, stellt diese Aufnahme einen Höhepunkt in Jacqueline Du Prés Karriere dar. Man beachte ihr emotional ergreifendes Spiel in allen drei Sätzen. Mit ungeheurer Präzision und äußerster Dynamik bearbeitet sie ihr Cello, und zieht dadurch ihr Publikum in den Bann. Jede einzelne Note wird mit Hingabe regelrecht zelebriert.
Natürlich ist auch das fulminante, abwechslungsreiche C-Dur Konzert von Joseph Haydn der Sammlung beigelegt, eingespielt 1967 mit dem damals frisch angetrauten Ehegatten Daniel Barenboim, und begleitet vom virtuosen English Chamber Orchestra.
Zu meinen persönlichen Favoriten gehört eindeutig das Cello-Konzert von Camille Saint- Saens. Es ist die schönste, mir bekannte Aufnahme dieses Werkes. Alle drei Sätze werden ohne Pause durchgespielt. Jacqueline Du Pré gelingt auch hier der Spagat zwischen verhaltener Romantik und hoher Impulsivität. Dabei wird sie kongenial von Barenboim und dem Philadelphia Orchestra unterstützt. Die Harmonie zwischen allen Protagonisten ist förmlich spürbar. Das Konzert selbst begeistert mit einem bunten Strauß an Melodien. Allein das traumhafte allegro wird von Du Pré ergreifend gespielt. Eine perfekte Symbiose zwischen Solistin und Instrument.
Sämtliche Kammermusiken sind ebenfalls vertreten, so auch die Sonaten von Chopin und Franck, übrigens ihre letzte Studioaufnahme nach sechsmonatiger krankheitsbedingter Pause, im Jahr 1971 an zwei Tagen in den Abbey Road Studios eingespielt, bevor sie sich dann für immer aus der Öffentlichkeit zurückzog.
Den Art & Son-Tomeistern ist die Gratwanderung gelungen, sämtliche Aufnahmen unter Verwendung der master-tapes sorgfältig und behutsam im 192kHz/24-bit Verfahren zu restaurieren. Dabei wurde hörbar darauf geachtet, den analogen Klang der Original- Vorlagen nicht künstlich aufzupushen, sondern im Detail beizubehalten. Selbst die beiden frühen „BBC-Recordings“ in Mono klingen sehr sauber und lebendig.
Die stabile Box umfasst insgesamt 23 CD ́s mit Replika der Original-Cover inclusive eines sehr ausführlich gestalteten Booklets u.a. auch in deutscher Sprache.
Fazit: Diese Box ist wahrlich eine Offenbarung und war im Grunde genommen auch längst überfällig. Jacqueline Du Pré hat uns zwar ein nur kleines, dafür aber feines musikalisches Erbe hinterlassen. Wer die viel zu früh verstorbene Künstlerin bislang nicht kannte, sollte sich die Zeit nehmen, dies unbedingt nachzuholen. Du Pré-Kenner haben die Möglichkeit, ihre Sammlung zu vervollständigen, und das sogar in bestmöglicher Tonqualität.
Jacqueline du Pré nahm sich häufig künstlerische Freiheiten in ihrem Spiel heraus, dafür wurde sie oft kritisiert. Aber ihre Musik war immer ehrlich und direkt. Sie war einmalig und hinterlässt bis heute eine nicht füllbare Lücke am Klassikhimmel.
In diesen unruhigen und kriegerischen Zeiten ist das Spiel von Jacqueline Du Pré Balsam für die Seele. Einfach nur mal hinsetzen, zuhören und genießen!
Titelfoto: Jacqueline Du Pré, Foto © Parlophone Records Ltd., A Warner Music Group Company