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Einfach Klassik.

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CD-Review: Danae Dörken – Odyssee

Viele raten davon ab, einen Artikel mit dem Fazit zu beginnen. Aber wenn man die neue Platte „Odyssee“ von Danae Dörken kennenlernt, dann ist die Frage interessant, ob man die Pianistin bereits kennt. Tut man es nicht, dann kann man sich einfach am Plattencover erfreuen, und eintauchen in die Welt einer begeisternden Spitzenpianistin, die die Welt der klassischen Musik prägt, und weiter prägen wird. Falls man sie aber schon kennt, dann kommen Fragen auf.

Die Platte enthält mehrere Arten von Stücken. Zum Beispiel hoch anspruchsvolle Werke der Klassik und Romantik, Modernes vom in der Klassikwelt sehr präsenten Fazil Say oder von Kenan Azmeh, und eben auch sehr bekannte, populäre-Stücke (Vangelis „Moonlight Reflection“ oder Schuberts „Das Wandern“). Diese Auswahl steht unter dem Konzept Odyssee – Reise, mit dem die Pianistin zum einen auf die tatsächliche Odyssee Homers hinweist, die die Großeltern ihr vorgelesen hatten, als sie noch ein Kind war, zum anderen auf die aktuelle, politische Situation in ihrer griechischen Heimat Lesbos, im Speziellen die Situation der Geflüchteten dort.

Danae Dörken, Foto © Nikolaj Lund
Danae Dörken, Foto © Nikolaj Lund

Das klingt alles schlüssig, hat genug persönlichen Bezug, mischt wild durch die musikalischen Epochen und Stile, und hat sogar eine politische Komponente. Bei allem Lesen, bei aller Information, setzt sich die Auswahl der Stücke für mich aber nicht zu einem Ganzen zusammen, mir ist da die Spreizung zwischen Genres, Epochen und Stilen einfach zu groß. Aber dann kommt Danae Dörken, und spielt das alles aus einem Guss, zieht dem Ganzen ihre Persönlichkeit über wie einen Pullover, und vereint diese so unterschiedlichen Kompositionen zu einer Familie, einfach durch ihren unverwechselbaren Klang, und ihren ganz eigenen, erwachsenen Stil. Und eigentlich ist das eine der wichtigsten Informationen, die dieses Album transportiert, wie ein großformatiges, modernes Gemälde zeigt es, wo die Künstlerin Danae Dörken heute steht, was sie mit Musikstücken unterschiedlichster Herkunft zu tun im Stande ist. Sie liefert anspruchsvolle Literatur nicht einfach branchenüblich makellos ab, sie injiziert ihre Persönlichkeit in die Stücke und lässt sie schweben.

Die Musik

Das „Nocturne in E-Flat Major, CG 590 „Souvenance“ von Charles Gounod spielt sie wunderbar weich und still, hat dabei die Notenabstände in ihrer Agogik vorsichtig geplant und kontrolliert. Die eingängige Melodie präsentiert sie in perfekter Abstimmung mit der Begleitung, und arbeitet so die schiere Schönheit dieser Musik heraus. Und auch das andere Nocturne auf dem Album „No. 3, Sirènes“ aus „Trois Nocturnes, CD 98, L. 91“ von Claude Debussy beginnt still, im Verlauf zieht die Pianistin den Vortrag aber mit der für sie typischen Spielenergie durch die verschiedenen Dynamikintensitäten.

Diese Energie entwickelt Dörken natürlich häufig auf dem Album, sehr eindrucksvoll in „Waiting for Friday“ des syrischen Komponisten Kinan Azmeh. Das Stück beginnt eigentlich schlicht, mündet dann aber im letzten Drittel in eine fast perkussive Dramatik, und bei den lauten, repetitiven Schlägen lehnt sich Dörken richtig in die Tasten. Man sieht förmlich wie sie raubvogelgleich über der Klaviatur schwebt, mit strengem Blick, und wie sie richtig Kraft in die Anschläge legt. Körperbetontes Spiel liegt ihr ja, würde man im Fußball sagen.

Danae Dörken zeigt viele Facetten

Und, auch wenn ich anfangs skeptisch war, nach einiger Zeit wirkt dann die Werkauswahl für das Album richtig klug, kann doch die Pianistin mit diesem bunten Strauß an Melodien (sorry!) die verschiedenen Facetten ihrer Persönlichkeit perfekt ausspielen. Dies gelingt ja auch schon innerhalb der einzelnen Werke, zum Beispiel in der „Fantasie fis-Moll op. 28“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, einem groß angelegten, dreisätzigen Klavierwerk, das Danae Dörken alles abverlangt, was Dank ihrer Souveränität aber nicht auffällt. Das Stück repräsentiert auf dem Album die klassische Höchstleistung, und ist durch seine beeindruckenden Anforderungen, aber vielmehr noch wegen der eindrücklichen musikalischen Motive für mich ein echtes Highlight. Hier zeigt die Künstlerin Größe, greift weit aus, arbeitet furios Stakkato und Fortissimo, und pustet im nächsten Moment eine leise Melodie über die Klaviatur.

Danae Dörken, Foto © Nikolaj Lund
Danae Dörken, Foto © Nikolaj Lund

Bei diesen unterschiedlichen Charakterspielarten macht die Pianistin in der Konzeption des Albums jedoch nicht halt, sollte ja jede professionelle Musikerin diese abdecken können. Mit „Waltz of Lost Dreams“ von Manos Hatzidakis spielt sie eine Referenz zu ihrer griechischen Heimat, basierend auf einer alten Melodie, die Dörken schon ihr Leben lang begleitet. Zunächst war ich überrascht ob der unbekümmerten Einfachheit der Terzharmoniken, aber als ich es zum dritten mal angehört hatte, war ich von der höchst musikalischen und stimmungsvollen Ausführung überwältigt. Es erinnert mich im Charakter etwas an die nachdenkliche Sequenz in einem Jacques Tati-Film, und schwups, gleich habe ich die alten Kracher von Frank Barcellini wieder ausgegraben, „Mon oncle“, „Adieu Mario“. Und Dörken gestaltet gerade hier den Unterhaltungscharakter, den das Stück hat, mit Genauigkeit und maßvoller Steuerung in Tempi und Lautstärken, so dass der Walzer wieder in seiner ganzen Kunstfertigkeit steht und wirklich das Herz berühren kann. Es ist der hundertprozentig passende Einsatz von Betonungen und die punktgenaue Modellierung von Phrasen, mit denen sie so einem Stück ihre eigene Bedeutung verleiht.

Der echte Abschluss

Für die Pianistin bildet „Marche funèbre d’une marionnette, CG 583“ von Charles Gounod den Abschluss der Reise auf dem Album. Mit Ruhe erzeugt sie den schreitenden Charakter über den Grundimpuls der Akkorde im Bass, die sie insgesamt sehr tänzerisch interpretiert. Gleichzeitig gestaltet sie die Ausführung hier sehr offen, und nicht abschliessend. Welche Reise ist schon beendet? Wann gibt es keine Fragen mehr?

Wenn man als Liebhaber*in der klassischen Musik den Werdegang der Pianistin Danae Dörken nicht verfolgt, dann verpasst man etwas Großes und Wichtiges, in erster Linie aber eine ganze Menge Hörgenuss und -spaß. „Odyssee“ ist der nächste Meilenstein auf ihrer persönlichen Reise, und man sollte ihn gehört haben!

Die Tracks

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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