Als Rachmaninov vor genau 80 Jahren starb, galt seine Musik allgemein als angestaubt und veraltet. Nur wenige Komponisten ließen sich daher bedauerlicherweise von seinem Werk inspirieren. Heute genießt der 1873 in Semjonowo geborene Komponist, Pianist und Dirigent sowohl beim Publikum als auch bei Musikern große Anerkennung. Die Uraufführung seiner ersten Sinfonie 1897 geriet allerdings zum Desaster und zog eine langjährige Schreibblockade sowie anhaltende Depressionen nach sich. Doch dann gelang ihm drei Jahre später mit dem weltberühmten Klavierkonzert Nr.2 ein absolutes Meisterwerk der Musikliteratur. Die düsteren Eröffnungsakkorde münden in einen nahezu unerschöpflichen Melodienreigen voller Emotionen. Der Erfolg muss für Rachmaninov wie eine Befreiung aus einem Meer an Tragödien gewesen sein. Der Durchbruch war gelungen.
Für Daniil Trifonov war Rachmaninov schon in frühester Jugend ein Quell der Inspiration, ein regelrechtes Idol. Somit war es nur eine Frage der Zeit, sich dem Werk des berühmten Vorbilds zu widmen. Vor einigen Jahren wurde dann das Projekt „Destination Rachmaninov“, bestehend aus der Neueinspielung aller 4 Klavierkonzerte, in Angriff genommen. Kräftig vom Gelblabel Deutsche Grammophon mit effektvollen Fotos und Videos beworben, geriet das Projekt zu einem vollen Erfolg.
Und in der Tat gelingt Daniil Trifonov schon beim relativ unbekannten 1. Klavierkonzert op. 1 eine hochvirtuose Glanzleistung. Sein Anschlag spiegelt die Unbekümmertheit und Leichtigkeit dieses Werks formvollendet wider. Rachmaninov ist 18 Jahre alt und erkundet die Welt in all ihrer Farbenpracht. Daniil Trifonov taucht tief ein in die hier fast schon spürbare Naivität eines noch sehr jungen Komponisten der nicht ahnt, welche Abgründe das Leben für ihn noch bereithalten wird.
Daniil Trifonov mit Spannung
Zu Beginn des 2. Klavierkonzerts op. 18 baut Daniil Trifonov schon bei den ersten Akkorden eine enorme Spannung auf. Er gestaltet dieses vor üppigen Melodien nur so strotzende Werk in jeder Phase ohne jeglichen Opportunismus aus. Das Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin erweist sich dabei als kongenialer und linearer Begleiter, ohne, wie gerade bei diesem Konzert leider oft üblich, das Spiel zu dominieren. Kleine Anekdote: Der Pop-Sänger Eric Carmen verwendete Mitte der 70er Jahre Teile desadagio sostenuto für seinen Song „All by myself“.
Das 3. Klavierkonzert op.30 gilt gemeinhin als das technisch schwierigste aus Rachmaninovs Schmiede. Auch hier glänzt Daniil Trifonov mit einem spannungssteigerndem Spiel, erreicht dabei aber nicht die fast schon magische Sogwirkung, welche bei Leif Ove Andsnes und dem London Symphony Orchestra unter Antonio Pappano zu hören ist. Zudem stört zu Beginn des allergro ma non tanto das Hüsteln, sowie die Geräuschkulisse des Publikums, da es sich um eine Live-Aufnahme handelt.
Rachmaninovs 4. Klavierkonzert op. 40 wurde häufig dahingehend kritisiert, dass der Komponist sich nicht zwischen Tradition und Moderne hätte entscheiden können, steckt es doch voller vermeintlicher Unsicherheiten. Dabei ist es ein Meisterwerk und wahrscheinlich das letzte große romantische Klavierkonzert alter Schule mit einer neuzeitlichen Nuance. Rachmaninov hat die Bandbreite dieses zutiefst missverstandenen Stücks als eine Art „Soundtrack“ mit jazzigen Einflüssen a la Gershwin komponiert. Diesen Spagat kann Daniil Trifonov spieltechnisch hervorragend umsetzen. Sein lyrischer Ansatz ist frei von jedweder Egozentrik oder künstlichen Attitüden. Eine Verbeugung vor dem Genius des Komponisten.
Gesamteinspielung
Erst kürzlich hat die Deutsche Grammophon eine kleine Gesamtbox mit allen 4 Klavierkonzerten neu veröffentlicht. Wer hier zugreift, erhält für relativ schmales Budget eine der besten Gesamteinspielungen überhaupt mit umfangreichem Booklet und vielen Hintergrundinformationen. Sowohl klanglich als auch interpretatorisch bewegt sich diese Edition definitiv in der Oberliga.
Titelfoto: Daniil Trifonov, Foto © Dario Acosta / DG