Die georgische Pianistin Ketevan Sepashvili greift auf ihrer neuen CD für das ARS-Label zwei Werkzyklen heraus, die zunächst einmal ungleich wirken. Die „Kinderstücke für Erwachsene“ ihres Landsmannes Nodar Gabunian sind hierzulande kaum bekannt. Frédéric Chopins Préludes opus 28 für Klavier sind auf der anderen Seite wohlbekanntes „Standardrepertoire“. Aber Ketevan Sepiashvili schafft es souverän, die beiden Kompositionen miteinander auf Augenhöhe zu bringen und einen gemeinsamen Nenner offenzulegen.
Die „Kinderstücke für Erwachsene“ von Nodar Gabunia (1933-2000) offenbaren in jedem Moment eine hochinnovative Musik, die zugleich genug bildhafte Fantasie ausstrahlt, dass bei jungen und älteren Menschen gleichermaßen Neugier für musikalische Möglichkeiten geweckt wird. In knapper, fast minimalistischer Form zeichnen die Stücke starke Bilder und fokussieren – wie in einer kühn gedachten Konzertetude – bestimmte pianistische Phänomene: Zum Beispiel eigenwillig rhythmisierte, kontrapunktische Linien, die latent nach Bach und zugleich nach etwas völlig anderem klingen. Die Systematik, die Gabunia hier erkennen lässt, deutet auf eine pädagogische Intention hin. Zugleich schöpft Gabunia aus Tonsystemen der georgischen Volksmusik, was für westliche Ohren aufregend wirkt. Ketevan Sepiashvili bringt all diese Qualitäten zum Leben. Ihr ist impulsiv, aber auch bei kraftvollen Temperamentsausbrüchen überwiegt ein ausgesprägter Sinn, feinste Schwingungen in der Klangpalette aufleuchten zu lassen. Sie bevorzugt dabei einen Fazioli-Flügel, der nach ihrem eigenen Bekunden auf solche Nuancen am besten reagiert.
Dieses Hörerlebnis einer ungekannten Musik öffnet auch für scheinbar Vertrautes ganz neu Ohren und Geist. Erfahrbar wird so, dass Frédéric Chopin in seinen Préludes opus 28 aus den Jahren 1834/36 auf einer vergleichbaren Wellenlänge funkt – zumindest, wenn Ketevan Sepiasvhili auch hier mit seismografischem Empfinden zu Werke geht. Klug analysierend arbeitet sie jene polyphonischen Verbindungen heraus, die Chopins Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach wiederspiegelt. Verblüffend wirkt auch, dass stärkste Kraftentfaltung in Momenten, wo diese angezeigt ist, die Klarheit im Ausdruck nie in Frage stellt, allein weil sich ein feinfühliger Einsatz von Legato als geschmeidiges Bindeglied erweist. Fazit: Mit Ketevan Sepashvili ist hier eine Pianistin am Werk, die jenseits aller Bravour künstlerisch tiefer blickt.