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Einfach Klassik.

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CD-Review: Maria Cecilia Muñoz – Libertad

Mélanie Hélène Bonis war eine der ganz Großen in der Zunft der Komponistinnen und Komponisten. Die Wirkkraft ihres Schaffens, die Bedeutung, die ihre Werke ausstrahlen, die Geltung und Relevanz die sie in verschiedenen Stil- und Stimmungsrichtungen geschaffen hat, all das wird mit Recht von vielen gepriesen, und es ist nur logisch dass ihre Musik stetig immer mehr in Programme aufgenommen wird. Wenn also eine CD mit ihren Werken beginnt, dann verspricht das ein interessantes Hörerlebnis zu werden.

So geschehen bei „Libertad: The Will to Freedom“ der neuen CD der argentinischen Flötistin Maria Cecilia Muñoz und der kanadischen Pianistin Tiffany Butt. Wie viele kreative Ergebnisse der letzten Jahre während der Pandemie erdacht, thematisiert das Album Individuen die in einer beschränkenden Situation über kreative Betätigung Freiheit suchen. Und das auf unterschiedliche Weise. 

Versonnene Artikulation

Besagte Bonis nannte sich „Mel Bonis“, um sich als Mann auszugeben und dadurch wenigstens als Komponist arbeiten zu können. Unvorstellbare Hürden, die das Erreichen ihres heutigen Status umso wertvoller machen. Gleich den Beginn von „Piéce Op. 189“ tragen Maria Cecilia Muñoz und Tiffany Butt so einfühlsam vor, so kunstvoll wie die Komposition selbst ist, dass der Einstieg in das Album vortrefflich gelingt. Die Harmoniewanderungen des kurzen Stücks wirken sehr erzählend und malerisch, mit der entspannten Lässigkeit, die die Komponistin beim arbeiten hier gehabt haben muss. Muñoz artikuliert versonnen die hohen Melodien, lässt lange Töne frei und ungestört stehen ohne durchs Programm zu hetzen. Butt agiert dabei romantisch verspielt und perlend, führt oftmals die Themengänge an wodurch die Flötistin perfekt folgen kann. Schon zu Beginn des Albums offenbart sich hier die hohe Eingespieltheit der regelmäßig gemeinsam konzertierenden Musikerinnen. Erlebbare Musizierfreude ist für mich sowohl im Konzert als auch auf einer CD das höchste Gut eines Vortrags.

Maria Cecilia Muñoz, Foto © Martin Teschner
Maria Cecilia Muñoz, Foto © Martin Teschner

Mit „The Bird Fancier‘s New Delight“ gibt es dann aber anderes Programm zu hören. Das neue Werk des Komponisten David Braid aus dem Jahr 2023 ist wohlweislich im Programm dieses Albums, haben doch Maria Cecilia Muñoz und Tiffany Butt bereits die Uraufführung des Werkes in Buenos Aires im letzten August gespielt. Braid beruft sich mit dem kurzen, fünfsätzigen Werk auf eine Kompostion von John Walsh in der er Vogelrufe transkribiert. Im Sinne des Albumkonzepts sind es hier also die Vögel, die mit ihren Rufen in die Freiheit ausbrechen wollen. Und dabei gibt es so einige verblüffende Momente. Beginnt „Clock-Caged Canary“ noch sehr jovial und melodiefreudig und lässt die Flöte im besten Sinne pfeifen und glucksen, so kommen dann in „Canary PTSD“ mehr moderne Elemente zur Anwendung die widersprüchlichere Stimmung verbreiten. Richtig perkussiv agieren Muñoz und Butt dann in „Woodland Dogfight“, ein wahrer Vogelkampf, oder doch Dogfight? Vorwitzig, verspielt und frech beendet das wirklich kurze „Country Linnett“ dieses Werk in dem vor allem die Pianistin mit den Sekundabschlägen begeistert.

Maria Cecilia Muñoz derwischartig

Ein weiteres modernes Stück auf dem Album stammt von der nicht weniger bekannten Komponistin Sofia Gubaidulina. Im „Allegro rustico“ begeistert Tiffany Butt mit dem Wechsel zwischen sehr klein gespielten, miniaturhaften Gebilden und erhabener, orchestraler Größe. Darüber ergeht sich Maria Cecilia Muñoz in wilden, derwischartigen Wirbeln und feinen Pizzicati. Ein intensiver Genuss Neuer Musik.

Und auch die Komponistin Amy Beach ist auf dem vorliegenden Album vertreten. Für sie gilt in gewisser Weise ähnliches wie für Bonis. Sie hat ein sehr großes Oevre hinterlassen und zeigt darin ähnlich epochale Bedeutung. Die Violinsonate in a-moll, B157 ist ein viersätziges Großwerk mit über 30 Minuten Spieldauer, das weit ausgreifend große klassikmusische Emotionalität verwendet und überwiegend orchestral wirkt. Muñoz und Butt schaffen es meisterhaft als Duo diese symphonische Größe zu erreichen, selbst in leisen Stellen wähnt man sich vor eine Orchester. Dabei spielt Butt mit exakt der richtigen Agogik und Anschlagssteuerung, baut die Harmonien aus gebrochenen Akkorden mit ansteigender Kraft auf und kann dann wieder lauernd abwarten, wenn es nötig ist. Damit schafft sie für die Flötistin das perfekte musikalische Ökosystem um die vielen Geschichten eines solchen Werkes mit großer Anforderungbreite an ihre Stimme zu gestalten. Der Verlauf des dritten Satzes „Largo con dolore“ zeigt sehr schön welche Kompositionsintensität und welche Wucht Amy Beach bisweilen in ihren Werken kultivierte. Mir scheint, die beiden Musikerinnen sind genau das richtige Duo um so ein Werk aufzuführen.

Maria Cecilia Muñoz, Foto © Martin Teschner
Maria Cecilia Muñoz, Foto © Martin Teschner

Jetzt reicht es ja eigentlich schon, aber da ist immer noch ein besonderer Leckerbissen auf der CD der sogar ein spätes Highlight sein könnte. Die Pianistin selbst hat „Ich wandre durch Theresienstadt“, ein Lied von Ilse Weber für Flöte und Klavier gesetzt. Die Lyrikerin ist 1944 in Auschwitz in den Tod gegangen, und hat noch dort ihre Lieder mit Kindern im KZ gespielt und sie bis in den allerletzten Moment damit getröstet. Die Interpretation dieses eigenen Satzes durch Maria Cecilia Muñoz und Tiffany Butt bedarf keiner Beschreibung. Ihr müsst es hören! So wie das ganze Album „Libertad: The Will to Freedom“. Es ist eine starke und beeindruckende, epochenübergreifende Sammlung an Werken die von zwei außergewöhnlichen Musikerinnen gespielt werden. Dafür bitte Platz im Plattenregal!

Titelfoto © Martin Teschner

Das Album

Icon Autor lg
Stefan Pillhofer ist gelernter Toningenieur und hat viel Zeit seines Lebens in Tonstudios verbracht. Er hat viel Hörerfahrung mit klassischer und Neuer Musik gesammelt und liebt es genau hinzuhören. In den letzten Jahren hat sich die Neue und zeitgenössische Musik zu einem seiner Schwerpunkte entwickelt und er ist stets auf der Suche nach neuen Komponist*innen und Werken. Stefan betreibt das Online-Magazin Orchestergraben, in dem er in gemischten Themen über klassische Musik schreibt. Darüberhinaus ist er auch als Konzertrezensent für Bachtrack tätig.
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