Nie werde ich meine erste Begegnung mit William Steinberg vergessen. Es ist viele Jahre her, als mir mein damaliger Musiklehrer nach der Klavierstunde verheißungsvoll eine Musikcassette, versehen mit den Worten „hör dir das mal an“, in die Hand drückte. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, waren meine Eltern nicht daheim. Ich nutzte die Gelegenheit und marschierte ins Esszimmer. Dort stand die Musikanlage meines Vaters, die ich eigentlich nicht benutzen durfte, da ich die Angewohnheit hatte, immer andere Radiosender einzustellen. Ich legte die Cassette ins Fach und hörte erstmalig die 3. Sinfonie von Brahms, eingespielt von William Steinberg und dem Pittsburgh Symphony Orchestra. Die Aufnahme war schon alt, aber der Klang hatte mich trotzdem sofort gepackt. Immer wieder hörte ich vor allem das poco allegretto und drehte die Lautstärke der Anlage fast bis zum Anschlag auf. Die ganze Sache flog natürlich auf, da sich unsere Nachbarin am Nachmittag bei meinen Eltern über den Lärm beschwerte. Mir war ́s egal, hatte ich doch Brahms für mich entdeckt…..und das Pittsburgh Symphony Orchestra dazu.
William Steinberg (eigentlich Hans Wilhelm) wurde 1899 in Köln geboren, assistierte bei Otto Klemperer und emigrierte Mitte der 30er Jahre aufgrund der politischen Situation in Deutschland nach Amerika. Dort ließ er sich ein paar Jahre später einbürgern und ging 1952 zum Pittsburgh Symphony Orchestra, das von 1938 bis 1948 übrigens von Fritz Reiner geleitet wurde. Steinberg animierte das Orchester zu Höchstleistungen und etablierte es zu einem der weltweit besten Klangkörper. Er leitete das PSO dann bis 1976.
William Steinberg mit Gespür für Nuancen
Steinbergs Brahms ist absolut spannend und opulent. Das allegro non troppo der 4. Sinfonie zum Beispiel wurde selten schöner gespielt. Besonders der Spannungsaufbau fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Steinbergs Interpretation ist in den Tempi allgemein straff, ohne dabei feinste Details zu vernachlässigen. Sein Gespür für Nuancen wirkt ungemein farbig und empathisch, die Tragik und Lyrik der Sinfonien, insbesondere der vierten, ausdrucksstark und leidenschaftlich wie selten zuvor gehört.
Auch die Tontechniker haben während der Aufnahmesessions zwischen 1961 und 1965 ganze Arbeit geleistet und damals verfügbare modernste Technik zum Einsatz gebracht. Was heute selbstverständlich erscheint, war in den 60er Jahren noch Pionierarbeit. Denn was nützt die beste Interpretation, wenn der Klang nicht in der Lage ist, die Vorstellungen des musikalischen Leiters zu transportieren.
Die Veröffentlichung
Als die Deutsche Grammophon vor einiger Zeit ankündigte, alle 4 Brahms-Sinfonien von William Steinberg und dem Pittsburgh Symphony Orchestra erstmalig auf CD zu veröffentlichen, war die Freude darüber entsprechend groß, ebenso die Erwartungshaltung. Aber kein Grund zur Sorge. Die vorliegenden Aufnahmen wurden behutsam restauriert und sind ein Fest für die Ohren. Der warme analoge Klang, versehen mit einem ausgewogenen Bassfundament, ist dynamisch und üppig. Natürlich konnte das Grundrauschen nicht ganz beseitigt werden, ist aber zu keiner Zeit auffällig oder störend. Ganz im Gegenteil wird dadurch der Grundcharakter der Aufnahmen beibehalten.
Nachdem die Deutsche Grammophon vor zwei Jahren bereits Steinbergs Beethoven-Zyklus veröffentlicht hat, war die Edition der Brahms-Sinfonien nur eine Frage der Zeit. Doch das Warten hat sich definitiv gelohnt. Ein alter Schatz wurde wiederentdeckt und hat nichts von seiner ursprünglichen Faszination verloren. Als William Steinberg 1978 starb, hinterließ er ein Kernrepertoire hochvirtuoser Aufnahmen mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra. Der Wunsch nach einer Gesamtbox wäre daher durchaus legitim.
2 Kommentare
Herzlichen Dank für diesen Beitrag, habe mir die vier Symphonie auf Spotify angehört und bin begeistert. Das Rauschen hört man, aber es stört überhaupt nicht, es sind tolle Aufnahmen. Habe die jetzt als CD gekauft, weiterhin viel Erfolg mit diesem Blog.
Na, das freut uns doch sehr. Dann weiterhin viel Spaß mit dem blog