Christoph Eschenbach, Grandseigneur der klassischen Musik, vielbeschäftigt als Dirigent und Pianist rund um den Globus sowie Förderer junger Talente hat sein neuestes Werk vollbracht und mit der Einspielung sämtlicher Sinfonien von Johannes Brahms eine tiefgründige Arbeit abgeliefert. In Zusammenarbeit mit dem Konzerthausorchester Berlin, einem kongenialen Klangkörper, als dessen Chefdirigent er seit der Saison 2019/2020 tätig ist, erschien Ende September eine 4-CD-Box, die nicht nur inhaltlich begeistert, sondern auch von der optischen Gestaltung her im Regal auffallen dürfte. Zwar hat Eschenbach den Zyklus bereits Ende der 80er Jahre mit dem Symphony Orchestra in Houston eingespielt, wie er selbst sagt, hat sich seine Sichtweise auf die Sinfonien aber nicht gravierend verändert. Die Details jedoch wurden weiterentwickelt und stärker focussiert.
Brahms hat sich mit der Veröffentlichung seiner 1. Sinfonie sehr viel Zeit gelassen. Einerseits saß ihm der übermächtige Beethoven im Genick und andererseits ein Publikum, welches ungeduldig mit den Füßen scharrend darauf wartete, endlich erhört zu werden. Eschenbach gelingt schon beim un poco sestenuto allegro ein ungeheurer Spannungsaufbau.
Christoph Eschenbach gestaltet
Die Einleitung düster und melancholisch, das andante eher versöhnlich, einer Romanze ähnelnd (möglicherweise eine versteckte Andeutung in Richtung Clara Schumann) und das sehr melodische un poco allegretto lassen die Sinfonie bis zum epischen Finale an Beethovens Fünfte und Neunte erinnern. Es ist deutlich hörbar, dass Orchester und Dirigent in beiderseitigem Einvernehmen einen Brahms geschaffen haben, der dank hervorragender Solisten bei den Oboen, Hörnern und Streichern auch tatsächlich nach Brahms klingt und in den Tutti perfekt miteinander harmoniert.
Schon bei der zweiten Sinfonie sind die Schatten von Beethoven kaum noch wahrnehmbar. Sie kommt eher leicht daher, wurde im damaligen Volksmund „Pastorale“ genannt und erinnert beim Hören in der Tat an die Schönheiten der Natur, vielleicht an einen Spaziergang durch den Prater, wenn die Bäume wieder blühen. Auch hier gelingt Christoph Eschenbach eine nuancierte Detailarbeit, insbesondere beim umfangreichen allegro non troppo. Bei der dritten Sinfonie fällt beim poco allegretto das bedächtig gewählte und so eher selten gehörte Tempo positiv auf. Wunderschön herausgearbeitet auch die Details des allegro non troppo der eher barock gehaltenen vierten Sinfonie. Besonders beeindruckt hier das stürmische Finale, welches mit ungestümer Wucht über den Hörer hereinbricht.
Dafür, dass die Sinfonien einerseits im ausverkauften Konzertsaal und andererseits pandemiebedingt vor leeren Rängen aufgezeichnet wurden, ist der Tontechnik eine sauber ausbalancierte Aufnahme gelungen. Details sind gut hörbar, der Klang ist schlank und auch in leisen Passagen sehr dynamikbetont. Christoph Éschenbach und das Konzerthausorchester Berlin haben einen lebhaften und detailoptimierten Brahms geschaffen, den anzuhören sich definitiv lohnt.
Das Album
Titelfoto: Christoph Eschenbach, Foto von Marco Borggreve